BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.1 vom 26. Oktober 2000 T 1129/97 - 3.3.1
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | A. J. Nuss |
Mitglieder: | P.-P. Bracke |
| J. P. B. Seitz |
Anmelder: CENTRE INTERNATIONAL DE RECHERCHES DERMATOLOGIQUES GALDERMA (CIRD GALDERMA)
Stichwort: Benzimidazole/GALDERMA
Schlagwort: "Deutlichkeit von Ansprüchen" - "Auslegung von Begriffen"
Leitsatz
Ist die genaue Bedeutung des Begriffs "Niederalkyl" nur in der Beschreibung explizit offenbart, aber nicht in den Ansprüchen, so ist das Erfordernis der Klarheit der Ansprüche nicht erfüllt.
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 92 911 098.9 (Veröffentlichungsnr. 0 643 701), die der unter der Nummer WO 92/21663 veröffentlichten internationalen Anmeldung entspricht, wurde mit Entscheidung vom 7. Juli 1997 wegen mangelnder Klarheit (Art. 84 EPÜ) zurückgewiesen.
Die Prüfungsabteilung befand, daß die Ansprüche, die Gegenstand dieser Entscheidung waren, nicht das Erfordernis der Klarheit erfüllten, weil sie die Begriffe "Niederalkyl" und "Fluorniederalkyl" enthielten. Sie stützte ihre Zurückweisung auf den in der Entscheidung T 337/95 (ABl. EPA 1996, 628) aufgestellten Grundsatz, wonach der Begriff "Niederalkyl" unklar ist.
Der Anspruchssatz, der dieser Entscheidung zugrunde lag, war mit Schreiben vom 27. Dezember 1996 vorgelegt worden und umfaßte 15 Patentansprüche für die benannten Staaten mit Ausnahme von ES und GR, 14 Patentsprüche für ES und 15 Patentansprüche für GR.
Anspruch 1 für die benannten Staaten mit Ausnahme von ES und GR lautete wie folgt:
"Benzimidazolderivate der allgemeinen Formel
worin
R1 und R2 ein Wasserstoffatom, ein Niederalkylradikal, ein OR4-Radikal, ein Fluorniederalkylradikal oder ein Halogenatom sind,
R3 ein Wasserstoffatom, ein Niederalkylradikal, ein Halogen, ein Hydroxyl oder ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen ist,
R4 ein Wasserstoffatom, ein Niederalkylradikal, ein Benzylradikal, ein -CO-R7-, PO3H- oder SO3H-Radikal oder ein Aminosäurerest ist,
R7 ein Niederalkylradikal, ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, das Radikal -(CH2)n-COOH mit n = 1 bis 6 oder das Radikal
- Nr'r'' ist,
wobei r' und r'' ein Wasserstoffatom oder ein Niederalkylradikal sind oder r' und r'' zusammen mit dem Stickstoffatom einen 5- oder 6-gliedrigen Heterocyclus bilden, der aus den Piperidino-, Morpholino-, Pyrrolidino- und Piperazinoradikalen ausgewählt und gegebenenfalls in der 4-Stellung durch ein Niederalkylradikal substituiert wurde,
R5 und R6 ein OR8-Radikal und ein mono- oder polycyclisches Cycloalkylradikal mit 5 bis 12 Kohlenstoffatomen sind, das durch einen tertiären Kohlenstoff an den Phenylkern gebunden ist;
R8 ein Wasserstoffatom, ein Niederalkylradikal, ein Acylradikal mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen, ein gegebenenfalls mit einem oder mehreren Halogenatomen substituiertes Benzylradikal oder das Benzoylradikal ist,
und die durch Zugabe einer pharmazeutisch brauchbaren Säure oder Base gewonnenen Salze dieser Verbindungen." (Hervorhebungen durch die Kammer)
II. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte mit Schreiben vom 31. Oktober 1997 einen Anspruchssatz als ersten Hilfsantrag und mit Schreiben vom 9. Juni 2000 zwei Anspruchssätze als zweiten und dritten Hilfsantrag ein; mit Telefax vom 5. September 2000 legte sie korrigierte Fassungen des Anspruchs 3 für ES und GR gemäß dem dritten Hilfsantrag vor.
Auf einen Bescheid der Beschwerdekammer hin zog die Beschwerdeführerin ihren ersten Hilfsantrag zurück.
Die Ansprüche des zweiten Hilfsantrags unterschieden sich von denen des Hauptantrags dadurch, daß die Begriffe "Niederalkylradikal" und "Fluorniederalkylradikal" (siehe Hervorhebungen in dem unter Nr. I angeführten Anspruch) durch "Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen" bzw. "Fluoralkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen" ersetzt waren.
Die Ansprüche des dritten Hilfsantrags unterschieden sich von denen des Hauptantrags dadurch, daß die Begriffe "Niederalkylradikal" und "Fluorniederalkylradikal" (siehe Hervorhebungen in dem unter Nr. I angeführten Anspruch) durch "Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen" bzw. "Fluoralkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und 1 bis 5 Fluoratomen" ersetzt waren.
III. Der dritte Hilfsantrag umfaßte 15 Patentansprüche für die benannten Staaten mit Ausnahme von ES und GR, 14 Patentsprüche für ES und 15 Patentansprüche für GR.
Die unabhängigen Ansprüche für die benannten Staaten mit Ausnahme von ES und GR lauteten nach dem dritten Hilfsantrag wie folgt:
"1. Benzimidazolderivate der allgemeinen Formel
worin
R1 und R2 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein OR4-Radikal, ein Fluoralkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und 1 bis 5 Fluoratomen oder ein Halogenatom sind,
R3 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Halogen, ein Hydroxyl oder ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen ist,
R4 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Benzylradikal, ein -CO-R7-, PO3H- oder SO3H-Radikal oder ein Aminosäurerest ist,
R7 ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, das Radikal -(CH2)n-COOH mit n = 1 bis 6 oder das Radikal -Nr'r'' ist,
wobei r' und r'' ein Wasserstoffatom oder ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen sind oder r' und r'' zusammen mit dem Stickstoffatom einen 5- oder 6-gliedrigen Heterocyclus bilden, der aus Piperidino-, Morpholino-, Pyrrolidino- und Piperazinoradikalen ausgewählt und gegebenenfalls in der 4-Stellung durch ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen substituiert wurde,
R5 und R6 ein OR8-Radikal und ein mono- oder polycyclisches Cycloalkylradikal mit 5 bis 12 Kohlenstoffatomen sind, das durch einen tertiären Kohlenstoff an den Phenylkern gebunden ist;
R8 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Acylradikal mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen, ein gegebenenfalls mit einem oder mehreren Halogenatomen substituiertes Benzylradikal oder das Benzoylradikal ist,
und die durch Zugabe einer pharmazeutisch brauchbaren Säure oder Base gewonnenen Salze dieser Verbindungen." (Hervorhebungen durch die Kammer)
"10. Verfahren zur Herstellung der Verbindungen der Formel (I) nach einem der Ansprüche 1 bis 9 und ihrer Salze, bei dem ein Derivat einer aromatischen Carbonsäure der Formel
umgesetzt wird mit einem Orthonitroanilin der Formel
worin R1, R2 und R4 dieselbe Bedeutung haben wie in Anspruch 1,
Q eine Hydroxygruppe oder ein Chloratom und Ar das Radikal
ist, wobei die Umsetzung in Pyridin durchgeführt wird und das entstandene Zwischenprodukt reduziert und anschließend durch Erhitzen in einem Lösungsmittel in Gegenwart eines Reagens cyclisiert wird, das aus Paratoluolsulfonsäure oder Phosphoroxidchlorid ausgewählt wurde, und, wenn erwünscht, die Salze der Verbindungen der Formel (I) durch Zugabe einer pharmazeutisch brauchbaren Säure oder Base hergestellt werden."
"11. Pharmazeutische Zusammensetzung, dadurch gekennzeichnet, daß sie in einem zur enteralen, parenteralen, topischen oder okularen Verabreichung geeigneten Trägermedium mindestens eine Verbindung der Formel (I) nach einem der Ansprüche 1 bis 9 enthält."
"13. Verwendung einer Verbindung nach einem der Ansprüche 1 bis 9 für die Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung von oder Vorbeugung gegen Entzündungen und/oder immuno-allergische Beschwerden."
"14. Kosmetische Zusammensetzung zur Vorbeugung gegen Hautunreinheiten, dadurch gekennzeichnet, daß sie in einem kosmetisch geeigneten Trägermedium mindestens eine Verbindung enthält, die in einem der Ansprüche 1 bis 9 definiert ist."
Die unabhängigen Ansprüche für ES lauteten nach dem dritten Hilfsantrag wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von Benzimidazolderivaten der allgemeinen Formel
worin
R1 und R2 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein OR4-Radikal, ein Fluoralkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und 1 bis 5 Fluoratomen oder ein Halogenatom sind,
R3 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Halogen, ein Hydroxyl oder ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen ist,
R4 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Benzylradikal, ein -CO-R7-, PO3H- oder SO3H-Radikal oder ein Aminosäurerest ist,
R7 ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, das Radikal -(CH2)n-COOH mit n = 1 bis 6 oder das Radikal -Nr'r'' ist,
wobei r' und r'' ein Wasserstoffatom oder ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen sind oder r' und r'' zusammen mit dem Stickstoffatom einen 5- oder 6-gliedrigen Heterocyclus bilden, der aus Piperidino-, Morpholino-, Pyrrolidino- und Piperazinoradikalen ausgewählt und gegebenenfalls in der 4-Stellung durch ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen substituiert wurde,
R5 und R6 ein OR8-Radikal und ein mono- oder polycyclisches Cycloalkylradikal mit 5 bis 12 Kohlenstoffatomen sind, das durch einen tertiären Kohlenstoff an den Phenylkern gebunden ist;
R8 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Acylradikal mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen, ein gegebenenfalls mit einem oder mehreren Halogenatomen substituiertes Benzylradikal oder das Benzoylradikal ist,
und der Salze dieser Verbindungen, bei dem ein Derivat einer aromatischen Carbonsäure der Formel
umgesetzt wird mit einem Orthonitroanilin der Formel
worin R1, R2 und R4 wie oben definiert sind,
Q eine Hydroxygruppe oder ein Chloratom und Ar das Radikal
ist, wobei die Umsetzung in Pyridin durchgeführt wird und das entstandene Zwischenprodukt reduziert und anschließend durch Erhitzen in einem Lösungsmittel in Gegenwart eines Reagens cyclisiert wird, das aus Paratoluolsulfonsäure oder Phosphoroxidchlorid ausgewählt wurde, und, wenn erwünscht, die Salze der Verbindungen der Formel I durch Zugabe einer pharmazeutisch brauchbaren Säure oder Base hergestellt werden." (Hervorhebungen durch die Kammer)
"10. Verfahren zur Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung, dadurch gekennzeichnet, daß mindestens eine Verbindung, die gemäß dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 9 gewonnen werden kann, mit einem zur enteralen, parenteralen, topischen oder okularen Verabreichung geeigneten Trägermedium vermischt wird."
"13. Kosmetische Zusammensetzung zur Vorbeugung gegen Hautunreinheiten, dadurch gekennzeichnet, daß sie in einem kosmetisch geeigneten Trägermedium mindestens eine Verbindung enthält, die gemäß dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 9 gewonnen werden kann."
Die unabhängigen Ansprüche für GR lauteten nach dem dritten Hilfsantrag wie folgt:
"1. Benzimidazolderivate der allgemeinen Formel
worin
R1 und R2 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein OR4-Radikal, ein Fluoralkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und 1 bis 5 Fluoratomen oder ein Halogenatom sind,
R3 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Halogen, ein Hydroxyl oder ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen ist,
R4 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Benzylradikal, ein -CO-R7-, PO3H- oder SO3H-Radikal oder ein Aminosäurerest ist,
R7 ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Niederalkoxyradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, das Radikal -(CH2)n-COOH mit n = 1 bis 6 oder das Radikal -Nr'r'' ist,
wobei r' und r'' ein Wasserstoffatom oder ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen sind oder r' und r'' zusammen mit dem Stickstoffatom einen 5- oder 6-gliedrigen Heterocyclus bilden, der aus Piperidino-, Morpholino-, Pyrrolidino- und Piperazinoradikalen ausgewählt und gegebenenfalls in der 4-Stellung durch ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen substituiert wurde,
R5 und R6 ein OR8-Radikal und ein mono- oder polycyclisches Cycloalkylradikal mit 5 bis 12 Kohlenstoffatomen sind, das durch einen tertiären Kohlenstoff an den Phenylkern gebunden ist;
R8 ein Wasserstoffatom, ein Alkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, ein Acylradikal mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen, ein gegebenenfalls mit einem oder mehreren Halogenatomen substituiertes Benzylradikal oder das Benzoylradikal ist
und die durch Zugabe einer pharmazeutisch brauchbaren Säure oder Base gewonnenen Salze dieser Verbindungen." (Hervorhebungen durch die Kammer)
"10. Verfahren zur Herstellung der Verbindungen der Formel (I) nach einem der Ansprüche 1 bis 9 und ihrer Salze, bei dem ein Derivat einer aromatischen Carbonsäure der Formel
umgesetzt wird mit einem Orthonitroanilin der Formel
worin R1, R2 und R4 dieselbe Bedeutung haben wie in Anspruch 1,
Q eine Hydroxygruppe oder ein Chloratom und Ar das Radikal
ist, wobei die Umsetzung in Pyridin durchgeführt wird und das entstandene Zwischenprodukt reduziert und anschließend durch Erhitzen in einem Lösungsmittel in Gegenwart eines Reagens cyclisiert wird, das aus Paratoluolsulfonsäure oder Phosphoroxidchlorid ausgewählt wurde, und, wenn erwünscht, die Salze der Verbindungen der Formel I durch Zugabe einer pharmazeutisch brauchbaren Säure oder Base hergestellt werden."
"11. Verfahren zur Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung, dadurch gekennzeichnet, daß mindestens eine Verbindung, die in einem der Ansprüche 1 bis 9 definiert ist, mit einem zur enteralen, parenteralen, topischen oder okularen Verabreichung geeigneten Trägermedium vermischt wird."
"14. Kosmetische Zusammensetzung zur Vorbeugung gegen Hautunreinheiten, dadurch gekennzeichnet, daß sie in einem kosmetisch geeigneten Trägermedium mindestens eine Verbindung enthält, die in einem der Ansprüche 1 bis 9 definiert ist."
IV. Die Beschwerdeführerin brachte vor, daß in ihrem Fall die Ausdrücke "Niederalkyl" und "Fluorniederalkyl" in der Beschreibung genau definiert seien, wogegen die Beschreibung in der Sache T 337/95 keine genaue Definition des in den Ansprüchen verwendeten Ausdrucks "Niederalkyl" enthalten habe. Daher sei der in der Entscheidung T 337/95 aufgestellte Grundsatz nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Da zudem in der Entscheidung T 238/88 (ABl. EPA 1992, 709) befunden worden sei, daß das Merkmal "Alkyl" nicht unklar oder mehrdeutig sei, könne sich die Beschwerdeführerin kaum vorstellen, daß gerade das Merkmal "Niederalkyl" zu einer unklaren Erweiterung des Umfangs des Anspruchs führen solle.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Erteilung des Patents
- auf der Grundlage des Anspruchssatzes, der Gegenstand der angefochtenen Entscheidung war (Hauptantrag),
- auf der Grundlage des mit Schreiben vom 31. Oktober 1997 als zweiter Hilfsantrag eingereichten Anspruchssatzes oder
- auf der Grundlage des mit Schreiben vom 31. Oktober 1997 als dritter Hilfsantrag eingereichten Anspruchssatzes mit den per Telefax vom 5. September 2000 vorgelegten korrigierten Ansprüchen 3 für ES und GR.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde wurde formgerecht eingelegt und ist daher zulässig.
2. Hauptantrag
2.1 Laut Artikel 84 EPÜ müssen die Patentansprüche, die den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird, deutlich sein. Nachdem der Anspruch 1 auf Benzimidazolderivate gerichtet ist, die durch eine allgemeine Formel (I) gekennzeichnet sind, ist dieses Erfordernis der Klarheit nur erfüllt, wenn die Gruppe von Verbindungen gemäß Anspruch 1 so definiert ist, daß der Fachmann eindeutig unterscheiden kann, welche chemischen Verbindungen zur beanspruchten Gruppe gehören und welche nicht.
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die Radikale in Anspruch 1 durch die Begriffe "Niederalkyl" und "Fluorniederalkyl" so deutlich und präzise definiert sind, daß eine solche Unterscheidung möglich ist.
2.1.1 Es wird nicht bestritten, daß der Begriff "Niederalkyl" keine allgemein anerkannte Bedeutung auf dem Gebiet der organischen Chemie hat, da er - wie bereits in der Entscheidung T 337/95 (s. Nr. 2.8 der Entscheidungsgründe) festgestellt wurde - keinerlei Aufschluß darüber gibt, wie hoch die Kohlenstoffatomzahl der Alkylgruppe höchstens sein darf.
Nun hatte die Beschreibung in dem der Entscheidung T 337/95 zugrunde liegenden Fall keine Definition des Begriffs "Niederalkyl" und damit auch keine schlüssige Lehre zur Zahl der Kohlenstoffatome enthalten, die eine "Niederalkyl"-Gruppe umfassen kann.
Dagegen heißt es im vorliegenden Fall in der Beschreibung auf Seite 2, Zeilen 31 und 32 sowie 35 bis 37 sehr präzise: "Unter einem Niederalkylradikal ist ein lineares oder verzweigtes Radikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen zu verstehen" bzw. "Unter einem Fluorniederalkylradikal ist ein Radikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und 1 bis 5 Fluoratomen wie das Trifluormethylradikal zu verstehen". Hier geht es also anders als in der Entscheidung T 337/95 (s. Nr. 2.9.3 der Entscheidungsgründe) in erster Linie um die Frage, ob es zur Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ notwendig und ausreichend ist, wenn ein fachkundiger Leser eine etwaige mangelnde Klarheit in Anspruch 1 für sich genommen durch Hinzuziehung der den Anspruch stützenden Beschreibung beseitigen könnte.
2.1.2 Das in Artikel 84 EPÜ verankerte Erfordernis der Klarheit betrifft tatsächlich nur die Patentansprüche und bedeutet somit nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, daß sie für einen Fachmann mit allgemeinem Fachwissen in sich deutlich sein müssen, so daß er nicht die Beschreibung des betreffenden Patents hinzuziehen muß (s. T 2/80, ABl. EPA 1981, 431, Nr. 2 der Entscheidungsgründe). Die Bedeutung eines Anspruchs muß sich also unmißverständlich aus den darin verwendeten Begriffen ergeben, damit der Anspruch für sich genommen einen zweckmäßigen und somit eindeutigen Schutz gewährleisten kann.
Im vorliegenden Fall ist der in Anspruch 1 enthaltene Begriff "Niederalkyl" aber nicht so präzise, daß ein Fachmann sofort und unmißverständlich die Höchstzahl der Kohlenstoffatome einer Niederalkylgruppe feststellen und so eindeutig unterscheiden könnte, welche chemischen Verbindungen zur beanspruchten Gruppe gehören und welche nicht.
2.1.3 Ist die genaue Bedeutung des Begriffs "Niederalkyl" nur in der Beschreibung explizit offenbart, aber nicht in Anspruch 1, so ist das Erfordernis der Klarheit nicht erfüllt.
Gewiß sieht Artikel 69 (1) EPÜ vor, daß die Beschreibung zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen ist. Artikel 69 EPÜ bezieht sich aber nur auf die Bestimmung des Schutzbereichs, insbesondere gegenüber Dritten, und nicht - wie Artikel 84 EPÜ - auf die Angabe des Gegenstands, für den in einem Anspruch Schutz begehrt wird. Daher kann sich die Beschwerdeführerin für die Zwecke des Artikels 84 EPÜ nicht auf Artikel 69 EPÜ und die Offenbarung der Beschreibung berufen, denn sonst wäre zum einen das grundlegende Erfordernis der Eigenständigkeit der Ansprüche nicht erfüllt, und zum anderen würde die Auslegung des gewährten Schutzes willkürlich.
2.1.4 Außerdem verweist die Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 860/93 (ABl. EPA 1995, 47), in der die zuständige Kammer die Auffassung vertrat, daß man die Beschreibung heranziehen könne, um zu bestimmen, ob die Ansprüche deutlich seien.
Dort stand aber nicht zur Debatte, ob die Offenbarung der Beschreibung herangezogen werden kann, um einen in einem Anspruch verwendeten Begriff zu klären. Im übrigen hat die Kammer in der Sache T 860/93 unter Nummer 5.5 der Entscheidungsgründe ausdrücklich befunden, daß die Beschreibung nicht dazu herangezogen werden darf, die Widersprüche im Wortlaut des Anspruchs aufzuklären.
2.1.5 Der Begriff "Niederalkyl" hat auf dem Gebiet der organischen Chemie keine allgemein anerkannte Bedeutung in bezug auf die Höchstzahl der Kohlenstoffatome; deshalb erfüllt der Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag nach Auffassung der Kammer nicht das Erfordernis der Klarheit nach Artikel 84 EPÜ.
2.1.6 Da sich die Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 238/88 berufen hat, hält es die Kammer für zweckmäßig, nochmals auf diese Entscheidung einzugehen. Im betreffenden Fall war das Merkmal "Alkyl" in der Definition der Substituenten der beanspruchten Verbindungen enthalten, und die zuständige Kammer befand, daß sich der Begriff "Alkyl" zweifellos auf einen bekannten Fachbegriff bezog, der im Bereich der Chemie gebräuchlich und nicht unklar oder mehrdeutig ist.
Im vorliegenden Fall lautet die Frage aber nicht, ob der Begriff "Alkyl" klar ist, sondern ob der Begriff "Niederalkyl" für sich genommen so klar ist, daß der Fachmann eindeutig unterscheiden kann, welche chemischen Verbindungen zur beanspruchten Gruppe gehören und welche nicht. Zwar ist der Begriff "Alkyl" ein im Bereich der Chemie gebräuchlicher Fachbegriff; angesichts der Einschränkung "Nieder", die keine allgemein anerkannte Bedeutung in bezug auf die Höchstzahl der Kohlenstoffatome hat, ist der Fachmann aber beim Lesen des Anspruchs alleine nicht in der Lage, zu unterscheiden, welche Verbindungen zur beanspruchten Gruppe gehören und welche nicht.
2.1.7 Ferner brachte die Beschwerdeführerin vor, sie könne nicht nachvollziehen, warum die Begriffe "Niederalkyl" und "Fluorniederalkyl" das Erfordernis der Klarheit nicht erfüllten, während gegen die Ausdrücke "Aminosäurerest" und "mono- oder polycyclisches Cycloalkylradikal mit 5 bis 12 Kohlenstoffatomen, das durch einen tertiären Kohlenstoff an den Phenylkern gebunden ist" kein derartiger Einwand erhoben werde.
Nun hat ein Fachmann bei letzteren beiden Ausdrücken keinerlei Schwierigkeiten, zwischen den beanspruchten und den nicht beanspruchten Verbindungen zu unterscheiden, obwohl der Wortlaut der Ansprüche eine Vielzahl von Radikalen umfaßt, denn unter beiden Ausdrücken sind genau abgegrenzte Gruppen von Radikalen zu verstehen. Daher sieht die Kammer keinen Grund, gegen diese Ausdrücke einen Einwand mangelnder Klarheit zu erheben.
2.1.8 Des weiteren hat die Beschwerdeführerin die Kammer darauf hingewiesen, daß das EPA auch nach der Entscheidung T 337/95 Patente mit dem Begriff "Niederalkyl" im Hauptanspruch erteilt habe und noch immer erteile.
Die Kammer ist aber nur für die vorliegende Beschwerde - gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf Zurückweisung der strittigen Patentanmeldung - zuständig und nicht befugt, sich darüber hinaus allgemein zur Zulässigkeit des Wortlauts von Ansprüchen in anderen Patentanmeldungen zu äußern, weil sie ultra petita entscheiden würde, wenn sie eine Grundsatzentscheidung fällen würde, die für alle künftigen Entscheidungen bindend sein soll.
2.1.9 Darüber hinaus brachte die Beschwerdeführerin vor, daß ein Patentanspruch nach Artikel 84 EPÜ nur klar sein müsse, was nicht unbedingt bedeute, daß er auch präzise sein müsse.
Dieses Argument ist nicht haltbar, weil es den Bestimmungen der ersten beiden Zeilen des Artikels 84 zuwiderläuft, wonach ein Anspruch den Schutz angeben muß, den das durch ein Patent verliehene Monopolrecht gewährt. Wenn dieser Zweck erfüllt werden soll, muß der Wortlaut des Anspruchs unbedingt - und sei es auch nur implizit - zum einen frei von Mehrdeutigkeiten sein und darf zum anderen keinerlei Angriffspunkt für eine willkürliche Auslegung bieten, d. h. er muß zwar knapp, aber dennoch präzise sein.
Anderenfalls würde Dritten ein angemessenes Maß an Sicherheit bezüglich des Schutzbereichs vorenthalten.
Artikel 69 (1) EPÜ besagt genau dasselbe, nämlich daß der Schutzbereich des Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt wird, die jedoch (zugestandenermaßen) im Lichte der Beschreibung ausgelegt werden können.
In Verbindung miteinander bedeuten diese beiden Bestimmungen, daß die Praxis, in einem Anspruch einen mehrdeutigen und damit unpräzisen Begriff zu verwenden und bezüglich seiner Auslegung implizit, aber zwingend auf die Beschreibung zu verweisen, nach wie vor nicht zulässig ist. Vielmehr muß der Grundsatz der Eigenständigkeit des Anspruchs bestehen bleiben.
2.2 Wenn Artikel 84 EPÜ im übrigen vorsieht, daß die Patentansprüche von der Beschreibung gestützt sein müssen, so bedeutet dies, daß der Gegenstand eines Anspruchs aus der Beschreibung entnommen sein muß und nichts beansprucht werden darf, was nicht beschrieben ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA spiegelt sich im Erfordernis von Artikel 84 EPÜ, daß nämlich die Patentansprüche von der Beschreibung gestützt sein müssen, nur der allgemeine Rechtsgrundsatz wider, wonach der durch die Ansprüche festgelegte Umfang des durch ein Patent verliehenen Ausschließungsrechts dem Beitrag zum Stand der Technik entsprechen muß. Dies bedeutet, daß die Angaben in den Ansprüchen im wesentlichen dem in der Beschreibung offenbarten Umfang der Erfindung zu entsprechen haben. Demnach muß ein technisches Merkmal, das in der Beschreibung als wesentliches Merkmal der Erfindung herausgestellt wird, unbedingt auch Bestandteil der unabhängigen Ansprüche sein, durch die diese Erfindung definiert wird (s. Entscheidung T 409/91, ABl. EPA 1994, 653, Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe).
2.2.1 Nachdem es im vorliegenden Fall in der Beschreibung nur heißt "Unter einem Fluorniederalkylradikal ist ein Radikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und 1 bis 5 Fluoratomen wie das Trifluormethylradikal zu verstehen" (S. 2, letzter Absatz) und die restliche Beschreibung keine weitere Präzisierung enthält, kann die Beschreibung nicht als Grundlage (oder Rechtfertigung) für einen Anspruch dienen, der auf Fluorniederalkylradikale mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und mehr als 5 Fluoratomen gerichtet ist.
2.2.2 Schließlich brachte die Beschwerdeführerin noch vor, daß sich die Zahl der Fluoratome bei einem Fluoralkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen sehr leicht berechnen lasse, weil sie nur zwischen 1 und 13 liegen könne. Da die Ansprüche in ihrem Kontext, d. h. unter Berücksichtigung der Offenbarung der Beschreibung zu sehen seien - im vorliegenden Fall der in der Beschreibung enthaltenen Passage "Unter einem Fluorniederalkylradikal ist ein Radikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen und 1 bis 5 Fluoratomen wie das Trifluormethylradikal zu verstehen" (Hervorhebungen durch die Kammer) -, bedeute dieser Ausdruck im Lichte der Beschreibung natürlich "ist insbesondere (oder vor allem) ... zu verstehen".
2.2.3 Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen, weil die Beschreibung nirgendwo einen Hinweis darauf enthält, daß es sich bei den Radikalen R1 und R2 um Alkylradikale mit mehr als 5 Fluoratomen handeln könnte, und der Fachmann beim Lesen der Beschreibung zwangsläufig zu dem Schluß gelangt, daß ein wesentliches Merkmal darin besteht, daß die Fluorniederalkylradikale nicht mehr als fünf Fluoratome aufweisen.
2.2.4 Daher ist die Kammer auch hier der Auffassung, daß der Anspruch 1 entgegen den Bestimmungen des Artikels 84 EPÜ nicht eindeutig von der Beschreibung gestützt ist.
2.3 Somit erfüllt der Hauptantrag nicht die in Artikel 84 EPÜ verankerten Erfordernisse der Klarheit und der Stützung durch die Beschreibung.
3. Zweiter Hilfsantrag
Da auch die Ansprüche nach dem zweiten Hilfsantrag den Ausdruck "Fluoralkylradikal mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen" enthalten, erfüllt dieser Anspruchssatz das in Artikel 84 EPÜ verankerte Erfordernis der Stützung durch die Beschreibung ebensowenig (s. Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe).
4. Dritter Hilfsantrag
4.1 Änderungen
Die Änderungen der Ansprüche nach dem dritten Hilfsantrag bestehen darin, daß aufgenommen wurde, was die Begriffe "Niederalkyl" und "Fluorniederalkyl" auf Seite 2, Zeilen 31 und 32 und 35 bis 37 der Anmeldung in der eingereichten Fassung eigentlich bedeuten; somit verstoßen diese Änderungen nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
4.2 Artikel 84 EPÜ
Durch die Änderungen der Ansprüche nach dem dritten Hilfsantrag werden die Einwände der Prüfungsabteilung bezüglich der Klarheit und der Stützung durch die Beschreibung ausgeräumt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, auf der Grundlage des mit Schreiben vom 31. Oktober 1997 als dritter Hilfsantrag eingereichten Anspruchssatzes mit den per Telefax vom 5. September 2000 vorgelegten korrigierten Ansprüchen 3 für ES und GR ein Patent zu erteilen.