6. Prioritätsanspruch (siehe auch F‑VI)
Eine Abschrift der früheren Anmeldung, deren Priorität in Anspruch genommen wird (Prioritätsdokument, -unterlage oder -beleg), ist bis zum Ablauf des sechzehnten Monats nach dem Prioritätstag einzureichen. Prioritätsunterlagen können auf Papier oder in elektronischer Form mittels OLF der Online-Einreichung des EPA oder der Online-Einreichung 2.0 eingereicht werden. Bei der elektronischen Einreichung müssen die Unterlagen in einem akzeptierten Format und von der ausstellenden Behörde mit einer vom EPA anerkannten Signatur digital signiert sein. Solche elektronischen Prioritätsunterlagen werden derzeit von den Patentämtern der USA, Brasiliens, Portugals, Italiens, Österreichs, Frankreichs und Polens Brasiliens, Frankreichs, Griechenlands, Italiens, Österreichs, Polens, Portugals, Singapurs, der Tschechischen Republik und der USA ausgestellt; weitere Ämter dürften folgen. Prioritätsunterlagen dürfen nicht über den EPA-Dienst zur Web-Einreichung oder den EPO Contingency Upload Service eingereicht werden (siehe Beschluss des Präsidenten des EPA vom 3. Mai 2023, ABl. EPA 2023, A48 14. Mai 2021, ABl. EPA 2021, A42), und auch nicht per Fax (siehe Beschluss des Präsidenten des EPA vom 20. Februar 2019, ABl. EPA 2019, A18). Werden mehrere Prioritäten in Anspruch genommen, so beginnt die oben genannte Frist vom frühesten Prioritätstag an zu laufen.
Die Abschrift und der Tag der Einreichung der früheren Anmeldung sind von der Behörde, bei der die frühere Anmeldung eingereicht worden ist, zu beglaubigen. Diese Beglaubigung kann eine separate Bescheinigung dieser Behörde über den Tag der Einreichung der früheren Anmeldung (Regel 53 (1) Satz 2) oder Bestandteil der Prioritätsunterlage selbst sein. Die Beglaubigung der Authentizität der Abschrift kann ebenfalls ein separates Dokument oder Bestandteil der Prioritätsunterlage sein.
Eine Abschrift der früheren Anmeldung (Prioritätsbeleg) kann außer auf Papier auch auf anderen Datenträgern, z. B. auf CD-ROM, eingereicht werden, vorausgesetzt, dass
a)der Datenträger, der den Prioritätsbeleg enthält, von der Behörde erstellt wird, bei der die frühere Anmeldung eingereicht wurde, und gewährleistet ist, dass der Inhalt nicht nachträglich unbemerkt verändert werden kann,
b)der Inhalt des Datenträgers von der Behörde als mit (Teilen) der früheren Anmeldung übereinstimmend bescheinigt ist und
c)auch der Anmeldetag der früheren Anmeldung von dieser Behörde bescheinigt wird.
Die Bescheinigungen können separat in Papierform vorgelegt werden. Der Datenträger muss lesbar sein und darf keine Computerviren oder andere Arten bösartiger Software enthalten.
Auf Antrag des Anmelders nimmt das Europäische Patentamt eine über den digitalen Zugangsservice der WIPO (DAS) bereitgestellte Abschrift der früheren Anmeldung, deren Priorität in Anspruch genommen wird, gebührenfrei in die Akte der europäischen Patentanmeldung auf. Der DAS erlaubt den automatischen elektronischen Austausch von Prioritätsunterlagen zwischen den teilnehmenden Ämtern. Anmelder können beim Amt der Erstanmeldung beantragen, dass beglaubigte Abschriften früherer Patentanmeldungen im DAS-System bereitgestellt werden, und dann die Ämter der Nachanmeldung ersuchen, die Abschriften mittels der angegebenen Zugangscodes über den DAS abzurufen (siehe Beschluss des Präsidenten des EPA vom 13. November 2021, ABl. EPA 2021, A83 und Mitteilung des EPA vom 22. Februar 2019, ABl. EPA 2019, A27).
Kann eine Prioritätsunterlage nicht über den DAS abgerufen werden oder wurde der Abruf über den DAS nicht beantragt, nimmt das EPA eine Abschrift der früheren Anmeldung gebührenfrei in die Akte der europäischen Patentanmeldung auf, wenn die frühere Anmeldung
i)eine europäische Patentanmeldung
ii)eine beim EPA als PCT-Anmeldeamt eingereichte internationale Anmeldung
ist. Ein Antrag ist hierfür nicht erforderlich. Ist die frühere Anmeldung eine chinesische, koreanische oder US-Anmeldung, nimmt das EPA eine Abschrift der früheren Anmeldung nur dann gebührenfrei auf, wenn die europäische Patentanmeldung vor dem 1. Januar 2022 eingereicht wurde, oder im Fall einer vor diesem Tag in die europäische Phase eingetretenen Euro-PCT-Anmeldung, wenn die erforderliche Prioritätsunterlage bis 30. Juni 2023 in die Akte der Anmeldung aufgenommen werden kann (siehe die Mitteilung des EPA vom 13. November 2021, ABl. EPA 2021, A84). Ist die frühere Anmeldung nicht in einer Amtssprache des EPA abgefasst, so kann weiterhin die Einreichung der Übersetzung oder die Erklärung nach Regel 53 (3) erforderlich sein (siehe A‑III, 6.8).
Hat der Anmelder im Zusammenhang mit dem Antrag, dass nachgereichten Teilen der Beschreibung oder nachgereichten Zeichnungen nach Regel 56 die beanspruchte Priorität zugrunde gelegt werden soll (siehe A‑II, 5.4 v)) oder dass richtigen Anmeldungsunterlagen oder Teilen nach Regel 56a die beanspruchte Priorität zugrunde gelegt werden soll (siehe A‑II, 6.4 v)), bereits eine Abschrift der Prioritätsunterlage eingereicht, so braucht er sie nicht noch einmal einzureichen. Fehlt bei der bereits eingereichten Abschrift jedoch die Beglaubigung im Hinblick auf Inhalt und/oder Tag der Einreichung, so hat der Anmelder die fehlende Beglaubigung innerhalb der oben genannten Frist vorzulegen.
Legt der Anmelder innerhalb der oben genannten Frist keine beglaubigte Abschrift der Prioritätsunterlage vor (Regel 53 (1)), so fordert das EPA ihn nach Regel 59 auf, dies innerhalb einer Frist von zwei Monaten nachzuholen. Diese Frist kann gemäß Regel 132 (2) verlängert werden (siehe E‑IX, 2.3.5 zu Euro-PCT-Anmeldungen); die Weiterbehandlung ist jedoch durch Regel 135 (2) ausgeschlossen. Legt der Anmelder auch innerhalb dieser Frist die genannten Unterlagen nicht vor, erlischt der betreffende Prioritätsanspruch (Art. 90 (5)).
Wenn eine Abschrift der früheren Anmeldung nicht in die Akte der europäischen Patentanmeldung aufgenommen werden kann, gilt die Abschrift nicht nach Regel 53 (2) als ordnungsgemäß eingereicht. Das EPA setzt den Anmelder rechtzeitig darüber in Kenntnis und gibt ihm die Möglichkeit, die beglaubigte Abschrift gemäß Regel 53 (1) EPÜ nachzureichen (siehe Beschluss des Präsidenten des EPA vom 13. November 2021, ABl. EPA 2021, A83 und Mitteilung des EPA vom 13. November 2021, ABl. EPA 2021, A84).