3.3 Mathematische Methoden
Ansprüche, die auf Verfahren der Simulation, Konstruktion oder Modellierung gerichtet sind, umfassen in der Regel Merkmale, die unter die Kategorie der mathematischen Verfahren oder der Verfahren für gedankliche Tätigkeiten fallen. Daher kann der beanspruchte Gegenstand als Ganzes unter die in Art. 52 (2) a), Art. 52 (2) c) und Art. 52 (3) genannten Ausnahmen von der Patentierbarkeit fallen (siehe G‑II, 3.3 und 3.5.1).
Die in diesem Abschnitt behandelten Verfahren sind jedoch zumindest teilweise computerimplementiert, sodass der beanspruchte Gegenstand als Ganzes nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist.
Computerimplementierte Verfahren der Simulation, Konstruktion oder Modellierung sind anhand derselben Kriterien zu prüfen wie alle anderen computerimplementierten Erfindungen (G‑VII, 5.4, G 1/19).
Für den Nachweis einer technischen Wirkung ist es nicht entscheidend, ob das simulierte System oder Verfahren technisch ist oder ob die Simulation technische Prinzipien widerspiegelt, die dem simulierten System zugrunde liegen, und mit welcher Genauigkeit sie das tut.
Mit der externen physischen Realität zusammenwirkende Simulationen
Computerimplementierte Simulationen, die Merkmale umfassen, die auf Ebene ihrer Ein- oder Ausgabe eine Wechselwirkung mit einer externen physischen Realität symbolisieren, können eine mit dieser Wechselwirkung zusammenhängende technische Wirkung erzeugen. Eine computerimplementierte Simulation, die Messungen als Eingabe verwendet, kann Teil eines indirekten Messverfahrens sein, das den physikalischen Zustand eines existierenden realen Gegenstands berechnet oder vorhersagt, und damit einen technischen Beitrag leisten, unabhängig davon, welcher Verwendung ihre Ergebnisse zugeführt werden.
Rein numerische Simulationen
Eine computerimplementierte Simulation ohne eine Ein- oder Ausgabe, die eine direkte Verbindung zur physischen Realität hat, kann trotzdem eine technische Aufgabe lösen. In einer solchen "rein numerischen" Simulation können die zugrunde liegenden Modelle und Algorithmen mittels Anpassung an eine spezifische technische Umsetzung oder mittels einer beabsichtigten technischen Verwendung der aus der Simulation resultierenden Daten zum technischen Charakter der Erfindung beitragen.
Modelle und Algorithmen, die nicht zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, diktieren zwingend zu erfüllende Vorgaben, die bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe aufgegriffen werden können, wenn der in G‑VII, 5.4 beschriebene COMVIK-Ansatz befolgt wird.
Spezifische technische Umsetzung einer numerischen Simulation
Der technische Beitrag, den Modelle oder Algorithmen aufgrund ihrer Anpassung an die interne Funktionsweise des Computersystems oder -netzwerks, in dem sie umgesetzt sind, leisten können, wird auf dieselbe Weise beurteilt wie Anpassungen von mathematischen Methoden für spezifische technische Umsetzungen, siehe G‑II, 3.3.
Beabsichtigte technische Verwendung der berechneten numerischen Ausgabedaten einer numerischen Simulation
Berechnete numerische Daten, die den physikalischen Zustand oder das physische Verhalten eines lediglich in einem Computer modellierten Systems oder Prozesses widerspiegeln, können normalerweise nicht zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, selbst wenn das Verhalten des realen Systems oder Prozesses adäquat widergespiegelt wird.
Berechnete numerische Daten können eine "potenzielle technische Wirkung" haben, nämlich die technische Wirkung, die erzeugt wird, wenn die Daten entsprechend einer beabsichtigten technischen Verwendung verwendet werden. Eine solche potenzielle technische Wirkung kann bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur dann berücksichtigt werden, wenn die beabsichtigte technische Verwendung entweder explizit oder implizit im Anspruch angegeben ist.
Wenn die durch eine numerische Simulation erzeugten Daten speziell für eine beabsichtigte technische Verwendung angepasst sind, sie beispielsweise Daten zur Steuerung einer technischen Vorrichtung sind, kann eine potenzielle technische Wirkung der Daten als durch den Anspruch "impliziert" gelten. Die spezielle Anpassung impliziert, dass der Anspruch keine weiteren nichttechnischen Verwendungen umfasst, weil die beabsichtigte technische Verwendung dann dem beanspruchten Gegenstand über im Wesentlichen den gesamten Schutzbereich des Anspruchs inhärent ist (siehe auch G‑II, 3.6.3). Wenn der Anspruch andererseits auch nichttechnische Verwendungen der Simulationsergebnisse umfasst (wie die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse über ein technisches oder natürliches System), dann wird die potenzielle technische Wirkung nicht über im Wesentlichen den gesamten Schutzbereich des Anspruchs erreicht und kann daher nicht als Grundlage für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dienen.
Genauigkeit
Ob eine Simulation zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beiträgt, hängt nicht von der Qualität des zugrunde liegenden Modells ab oder von dem Grad, in dem die Simulation die "Realität" abbildet.
Die Genauigkeit der Simulation ist jedoch ein Faktor, der eine über die bloße Implementierung der Simulation auf einem Computer hinausgehende bereits festgestellte technische Wirkung beeinflussen kann. Es kann sein, dass die behauptete Verbesserung nicht erreicht wird, wenn die Simulation für ihren beabsichtigten technischen Zweck nicht ausreichend genau ist. Dies kann bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe (Art. 56) oder bei der Prüfung der ausreichenden Offenbarung (Art. 83) berücksichtigt werden, siehe F‑III, 12. Umgekehrt könnte ein Verfahren trotzdem eine technische Wirkung erzielen, wenn bestimmte Simulationsparameter zwar ungenau, für seine beabsichtigte technische Verwendung aber ausreichend sind.
Entwurfsverfahren
Die vorstehend genannten Grundsätze gelten auch, wenn die computerimplementierte Simulation als Teil eines Entwurfsverfahrens beansprucht wird.
Resultiert ein computerimplementiertes Verfahren bloß in einem abstrakten Modell eines Erzeugnisses, Systems oder Verfahrens, z. B. einem Satz von Gleichungen, so gilt dies per se nicht als technische Wirkung, auch wenn das modellierte Erzeugnis, System oder Verfahren technisch ist (T 49/99, T 42/09). So hat beispielsweise ein logisches Datenmodell für eine Familie von Produktkonfigurationen keinen inhärenten technischen Charakter, und ein Verfahren, das bloß spezifiziert, wie man ein solches logisches Datenmodell erhält, würde keinen technischen Beitrag leisten, der über die Computerimplementierung hinausgeht. Ebenso wenig leistet ein Verfahren, das bloß spezifiziert, wie man ein Multiprozessorsystem in einer grafischen Modellierungsumgebung beschreibt, einen über die Computerimplementierung hinausgehenden Beitrag. Es wird auf G‑II, 3.6.2 verwiesen, wo die Informationsmodellierung als intellektuelle Aktivität beschrieben wird.