3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Ein Anmelder kann nur dann wieder in den vorigen Stand eingesetzt werden, wenn er nachweist, dass er trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert worden ist, gegenüber dem EPA eine Frist einzuhalten. Das Sorgfaltsgebot muss ausgehend von der Situation beurteilt werden, wie sie vor Ablauf der versäumten Frist bestand. Unter "aller gebotenen Sorgfalt" ist alle angemessene Sorgfalt zu verstehen, d. h. das Maß an Sorgfalt, das der normale, hinreichend kompetente Anmelder, Patentinhaber oder Vertreter unter den gegebenen Umständen aufwenden würde (siehe T 30/90).
Für Fälle, in denen das Fristversäumnis auf einem Fehler bei der Ausführung der Absicht des Verfahrensbeteiligten beruht, die Frist einzuhalten, gilt alle gebotene Sorgfalt als beachtet, wenn das Fristversäumnis entweder durch außerordentliche Umstände oder durch ein einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem verursacht worden ist.
Die Feststellung außerordentlicher Umstände, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen, hängt von der konkreten Sachlage des Einzelfalls ab. Dazu gehören unter anderem organisatorische Umstellungen oder eine plötzliche schwere Krankheit. In einem solchen Fall muss der Antragsteller nicht nur nachweisen, dass diese Umstände vorlagen, sondern auch, dass er alle gebotene Sorgfalt aufgewendet hat, indem er z. B. die Umorganisation sorgfältig vorbereitet hat oder über eine wirksame Vertretungsregelung verfügt.
Wird ein einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem geltend gemacht, muss der betreffende Beteiligte nachweisen, dass das Überwachungssystem normalerweise gut funktioniert. So muss ein solches System über einen unabhängigen, wirksamen Kontrollmechanismus verfügen. Allerdings gilt dieses Erfordernis nicht für relativ kleine Kanzleien bzw. Patentabteilungen (siehe T 166/87 und J 11/03).
Die Sorgfaltspflicht obliegt in erster Linie dem Anmelder und geht erst durch die Übertragung der Zuständigkeit auf den Vertreter über, den der Anmelder ordnungsgemäß damit betraut hat, die Anmeldung in seinem Namen zu verfolgen (siehe J 3/93). Es ist klar zu unterscheiden zwischen den Pflichten des Anmelders und denen seines Vertreters; Letztere hängen von dem Verhältnis zwischen beiden ab (siehe T 112/89 und J 19/04). Im Hinblick darauf sind der Umfang des erteilten Mandats und etwaige ausdrückliche Anweisungen an den Vertreter zu berücksichtigen.
Der Anmelder darf sich auf seinen Vertreter verlassen. Insoweit, als dem Anmelder klar ist, dass es zur Wahrung einer Frist entsprechender Anweisungen bedarf, kommt jedoch auch ihm eine Pflicht zur Beachtung der gebotenen Sorgfalt bei der Fristeinhaltung zu (siehe T 381/93). Die fehlerfreie Arbeit des Vertreters schützt den Anmelder nicht vor den Folgen eigenen Fehlverhaltens oder einfach nur eigener Nachlässigkeit.
Im Verfahren vor dem EPA ist der zugelassene Vertreter verantwortlich, und es darf von ihm erwartet werden, dass er seine eigene Arbeit laufend überwacht (siehe T 1095/06). Wenn ein Vertreter von seinem Mandanten angewiesen wurde, eine bestimmte Verfahrenshandlung vorzunehmen, von Letzterem aber nicht rechtzeitig die erforderlichen weiteren Anweisungen oder Mittel erhält, so muss er sich grundsätzlich aktiv darum bemühen, diese Anweisungen von seinem Mandanten zu bekommen und dessen Intentionen zu ermitteln (siehe T 112/89 und J 19/04).
Der zugelassene Vertreter kann Routinearbeiten, wie z. B. das Eingeben von Text, die Absendung von Schreiben und das Notieren von Fristen, einer Hilfsperson übertragen. In diesem Fall werden an die Sorgfalt der Hilfsperson nicht die gleichen strengen Anforderungen wie an die des zugelassenen Vertreters selbst gestellt. Der Vertreter muss aber belegen, dass das Hilfspersonal sorgfältig ausgewählt, ordnungsgemäß instruiert und regelmäßig kontrolliert wurde (siehe J 5/80 und T 439/06).
Bevollmächtigt der Anmelder einen Dritten mit der Verfolgung seiner Anmeldung, beispielsweise einen außerhalb Europas ansässigen Anwalt oder eine Gebührenabwicklungsfirma, so muss nachgewiesen werden, dass dieser Dritte der dem Anmelder oder Inhaber eines europäischen Patents auferlegten Sorgfaltspflicht genügt hat (siehe J 3/88). Insbesondere ein außereuropäischer Anwalt muss belegen, dass ein zuverlässiges Fristenüberwachungssystem existierte, als die Frist versäumt wurde (siehe J 4/07).