7. Stand der Technik, der der Öffentlichkeit "durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise" zugänglich gemacht worden ist
Standards und Normen definieren Eigenschaften und Qualitätsvorgaben für Erzeugnisse, Verfahren, Dienstleistungen oder Materialien (z. B. die Merkmale einer Schnittstelle) und werden in der Regel von Normungsorganisationen im Einvernehmen mit den relevanten Interessengruppen der Wirtschaft entwickelt.
Endgültige Standards und Normen selbst gehören grundsätzlich zum Stand der Technik nach Art. 54 (2); allerdings gibt es einige wichtige Ausnahmen. Eine davon betrifft private Normungsgremien (z. B. in den Bereichen CD-ROM, DVD und Blu-ray), die ihre endgültigen Standards nicht veröffentlichen, sondern interessierten Kreisen nur gegen Unterzeichnung einer Geheimhaltungsvereinbarung (die es den Empfängern der Dokumente streng untersagt, ihren Inhalt zu offenbaren) zugänglich machen.
Bevor eine Normungsorganisation sich auf die Festlegung oder Weiterentwicklung einer Norm einigt, werden verschiedene Arten vorbereitender Dokumente vorgelegt und erörtert. Diese vorbereitenden Dokumente werden wie jede andere schriftliche oder mündliche Offenbarung behandelt, d. h. um als Stand der Technik gelten zu können, müssen sie vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein, und zwar ohne eine Verpflichtung zur Geheimhaltung. Wird einer Anmeldung im Recherchen- oder Prüfungsverfahren ein vorbereitendes Normungsdokument entgegengehalten, müssen dieselben Sachverhalte geklärt werden wie bei jedem anderen Beweismittel (siehe G‑IV, 1 und T 738/04).
Ob eine ausdrückliche Verpflichtung zur Geheimhaltung besteht, muss im Einzelfall auf der Grundlage der Dokumente geprüft werden, die eine solche Verpflichtung belegen sollen (siehe T 273/02 und T 738/04). Dabei kann es sich um allgemeine Richtlinien, Leitlinien oder Grundsätze der betreffenden Normungsorganisation, Lizenzbestimmungen oder ein Memorandum of Understanding zwischen der Normungsorganisation und ihren Mitgliedern handeln. Im Fall einer allgemeinen Geheimhaltungsklausel, d. h. einer Vorgabe, die nicht auf oder in dem relevanten vorbereitenden Dokument selbst angegeben ist, muss nachgewiesen werden, dass die allgemeine Verpflichtung zur Geheimhaltung sich tatsächlich bis zum maßgeblichen Zeitpunkt auf das fragliche Dokument erstreckt hat. Das bedeutet aber nicht, dass das Dokument selbst ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnet sein muss (siehe T 273/02).
Ist ein vorbereitendes Dokument in den internen Datenbanken des EPA oder über eine frei zugängliche Quelle (z. B. im Internet) verfügbar, kann es der Prüfer im Recherchenbericht anführen und im Verfahren darauf Bezug nehmen. Die öffentliche Zugänglichkeit des Dokuments kann im Prüfungs- und Einspruchsverfahren gemäß den vorstehend genannten Grundsätzen weiter untersucht werden, sofern dies erforderlich erscheint.
Während Dokumente in den internen Datenbanken des EPA als öffentlich zugänglich gelten, kann keine solche allgemeine Aussage für Dokumente aus anderen Quellen getroffen werden.
Ähnlich wie bei Marken kann sich der Inhalt von Standards und Normen im Laufe der Zeit verändern. Sie müssen daher durch die Angabe der Versionsnummer und des Veröffentlichungsdatums eindeutig identifiziert werden (siehe auch F‑III, 7, F‑IV, 4.8 und H‑IV, 2.2.9).