1. Prioritätsrecht
Damit ein Prioritätsanspruch gültig ist, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
i)Die frühere Anmeldung wurde in einem oder mit Wirkung für einen Staat oder ein Mitglied der Welthandelsorganisation eingereicht, in dem die Hinterlegung gemäß den Vorschriften des EPÜ als prioritätsbegründend anerkannt ist (siehe auch A‑III, 6.2).
ii)Der Anmelder des europäischen Patents war der Anmelder oder ist der Rechtsnachfolger des Anmelders, der die frühere Anmeldung eingereicht hat (siehe auch A‑III, 6.1 und zur Übertragung von Teilprioritäten F‑VI, 1.5).
iii)Die europäische Anmeldung wird während einer Frist von zwölf Monaten nach dem Anmeldetag der früheren Anmeldung eingereicht (vorbehaltlich gewisser Ausnahmen, siehe A‑III, 6.6).
iv)Die europäische Anmeldung gilt für dieselbe Erfindung, die in der früheren Anmeldung offenbart worden ist, wobei die frühere Anmeldung die "erste Anmeldung" gewesen sein muss (siehe F‑VI, 1.4 und F-VI, 1.4.1).
Die in A‑III, 6.2 genannten Worte "in einem oder mit Wirkung für einen" Staat der Pariser Verbandsübereinkunft oder ein Mitglied der WTO bedeuten, dass die Priorität einer früheren nationalen Anmeldung, einer früheren europäischen Anmeldung, einer nach einem anderen regionalen Patentvertrag eingereichten früheren Anmeldung oder einer früheren PCT-Anmeldung in Anspruch genommen werden kann. Ist die frühere Anmeldung in einem oder mit Wirkung für einen EPÜ-Vertragsstaat eingereicht worden, so kann dieser Vertragsstaat auch in der europäischen Anmeldung benannt werden. Die frühere Anmeldung kann ein Patent, ein Gebrauchsmuster oder ein Gebrauchszertifikatbetreffen. Prioritätsansprüche aus Geschmacksmusterhinterlegungen werden jedoch nicht anerkannt (siehe J 15/80). Soweit der Inhalt der Anmeldung ausgereicht hat, um einen Anmeldetag festzulegen, kann diese Anmeldung für die Inanspruchnahme einer Priorität herangezogen werden, wobei das spätere Schicksal der Anmeldung ohne Bedeutung ist; sie kann beispielsweise in der Folge fallen gelassen oder zurückgewiesen werden (siehe A‑III, 6.2).
Der Ausdruck "dieselbe Erfindung" in Art. 87 (1) ist so auszulegen, dass die Priorität einer früheren Anmeldung für den Gegenstand eines Anspruchs in einer europäischen Patentanmeldung nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann. Das bedeutet, dass die spezifische Merkmalskombination dieses Anspruchs zumindest implizit in der Anmeldung offenbart sein muss (siehe F‑VI, 2.2 und G 2/98).