4.2.1 Beschränkung der Ausnahmen nach Art. 53 c)
Unter Diagnostizierverfahren fallen nicht alle Verfahren, die mit der Diagnose zu tun haben.
Um zu bestimmen, ob ein Anspruch auf ein Diagnostizierverfahren im Sinne von Art. 53 c) gerichtet und damit von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, muss zuerst geprüft werden, ob der Anspruch alle notwendigen Phasen umfasst (siehe G 1/04).
Der Anspruch muss für alle nachstehend genannten Phasen Verfahrensschritte enthalten:
i)Untersuchungsphase mit der Sammlung von Daten
ii)Vergleich dieser Daten mit den Normwerten
iii)Feststellung einer signifikanten Abweichung, d. h. eines Symptoms, bei diesem Vergleich
iv)Zuordnung der Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild, d. h. die deduktive human- oder veterinärmedizinische Entscheidungsphase (Diagnose zu Heilzwecken im strengen Sinne)
Wenn zu diesen Phasen gehörende Merkmale fehlen und für die Definition der Erfindung wesentlich sind, sind diese Merkmale in den unabhängigen Anspruch aufzunehmen (siehe Beispiel 6 in der Anlage zu F‑IV). Zu berücksichtigen sind auch Schritte, die als implizit angesehen werden können: Schritte, die sich auf den Vergleich von Daten mit Normwerten beziehen (Phase ii), könnten z. B. die Feststellung einer signifikanten Abweichung (Phase iii) implizieren (siehe T 1197/02). Unter der deduktiven human- oder veterinärmedizinischen Entscheidungsphase (Phase iv), d. h. unter der Diagnose zu Heilzwecken im strengen Sinne, ist die Bestimmung der Art eines human- oder veterinärmedizinischen Zustandes mit dem Ziel der Erkennung oder Aufdeckung einer Pathologie zu verstehen; die Bestimmung der zugrunde liegenden Erkrankung ist nicht erforderlich (siehe T 125/02).
Außerdem gilt ein Verfahren nur dann als Diagnostizierverfahren im Sinne des Art. 53 c) und ist somit nur dann von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, wenn alle technischen Verfahrensschritte, die für das Stellen der Diagnose konstitutiv sind und ihr vorausgehen, d. h. die Phasen i – iii, das Kriterium "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" erfüllen. Die Schritte der Phasen ii und iii, die in einem Abgleich der in der Untersuchungsphase gesammelten Daten mit den Normwerten und in der Feststellung von signifikanten Abweichungen bestehen, unterliegen diesem Kriterium jedoch nicht, weil sie im Wesentlichen nichttechnischer Art sind und normalerweise nicht am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden. Das heißt, in den meisten Fällen kann nur Phase i, die die Untersuchungsphase betrifft und das Sammeln von Daten beinhaltet, tatsächlich technischer Art im Sinne von G 1/04 sein, sodass das Merkmal "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" hier ins Spiel kommen kann (siehe T 1197/02, T 143/04 und T 1016/10).
Es ist darauf hinzuweisen, dass bei der Ermittlung des diagnostischen Charakters des beanspruchten Verfahrens nur die Schritte zu berücksichtigen sind, die genau die Phasen i – iv beschreiben. Zusätzliche, vorbereitende oder zwischengeschaltete Schritte, die möglicherweise in das beanspruchte Verfahren aufgenommen wurden, sind für diese Frage unerheblich (siehe T 1197/02, T 143/04 und T 1016/10). So könnte ein Verfahrensanspruch beispielsweise vorbereitende Schritte umfassen, die das Anpassen oder Vorbereiten der Vorrichtung betreffen, mit der die Datengewinnung durchgeführt wird. Solche zusätzlichen Merkmale sind jedoch nicht Teil der für die Diagnosestellung konstitutiven Phasen i – iii. Ebenso wenig ist die mithilfe eines Automaten durchgeführte Datenverarbeitung Teil der Untersuchungsphase, die die Datengewinnungsphase umfasst, sondern sie ergibt sich aus einem späteren technischen Schritt, der zwischen die Datengewinnung und den Abgleich der ermittelten Daten mit Normwerten zwischengeschaltet ist. Die Frage, ob solche zusätzlichen Schritte technischer Natur sind und am menschlichen oder tierischen Körper durchgeführt werden, ist daher irrelevant für die Beurteilung, ob das beanspruchte Verfahren ein unter das Patentierungsverbot von Art. 53 c) fallendes Diagnostizierverfahren ist.
Damit festgestellt werden kann, ob ein technischer Verfahrensschritt das Kriterium "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" erfüllt, muss geprüft werden, ob eine Wechselwirkung mit dem menschlichen oder tierischen Körper stattfindet. Art oder Intensität dieser Wechselwirkung ist nicht entscheidend: das Kriterium ist erfüllt, wenn die Ausführung des betreffenden Verfahrensschritts die Präsenz des Körpers voraussetzt. Direkter physischer Kontakt mit dem Körper ist nicht erforderlich.
Zu beachten ist, dass die Beteiligung eines Human- oder Veterinärmediziners, der persönlich anwesend ist oder die Verantwortung trägt, nicht erforderlich ist.
Sind alle obigen Kriterien erfüllt, definiert der Anspruch ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes Diagnostizierverfahren, und es wird ein Einwand nach Art. 53 c) erhoben.
Entsprechend sind Verfahren zur bloßen Ermittlung von Messwerten (Daten, physikalische Größen) am lebenden menschlichen oder tierischen Körper (z. B. Röntgen- und Kernresonanzuntersuchungen (MRI) sowie Blutdruckmessungen) nicht nach Art. 53 c) von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.