3.3 Mathematische Methoden
Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen basieren auf Rechenmodellen und Algorithmen zur Klassifizierung, Bündelung, Regression und Dimensionalitätsreduktion wie zum Beispiel neuronalen Netzen, genetischen Algorithmen, Support Vector Machines, k-Means, Kernel-Regression und Diskriminanzanalyse. Solche Rechenmodelle und Algorithmen sind per se von abstrakter mathematischer Natur, unabhängig davon, ob sie anhand von Trainingsdaten "trainiert" werden können. Daher gelten die Leitlinien in G‑II, 3.3 in der Regel auch für solche Rechenmodelle und Algorithmen.
Ausdrücke wie "Support Vector Machine", "Reasoning Engine" oder "neuronales Netz" können sich je nach Kontext lediglich auf abstrakte Modelle oder Algorithmen beziehen und implizieren deshalb für sich genommen nicht unbedingt die Verwendung technischer Mittel. Bei der Prüfung, ob der beanspruchte Gegenstand insgesamt technischen Charakter hat, ist dies zu berücksichtigen (Art. 52 (1), (2) und (3)).
Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen finden auf verschiedenen Gebieten der Technik Anwendung. So leistet zum Beispiel die Verwendung eines neuronalen Netzes in einem Herzüberwachungsgerät zum Identifizieren unregelmäßiger Herzschläge einen technischen Beitrag. Die Klassifizierung von digitalen Bildern, Videos, Audio- und Sprachsignalen auf der Grundlage von Low-level-Merkmalen (z. B. Kanten oder Pixelattributen für Bilder) ist eine weitere typische technische Anwendungsform von Klassifizierungsalgorithmen. Weitere Beispiele für den technischen Zweck von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen finden sich in der Liste unter G‑II, 3.3.
Dagegen gilt die Klassifizierung von Textdokumenten ausschließlich nach ihrem Textinhalt per se nicht als technischer, sondern als linguistischer Zweck (T 1358/09). Die Klassifizierung von abstrakten Datensätzen oder sogar "Telekommunikationsnetzwerk-Datensätzen" ohne Angabe einer technischen Verwendung der resultierenden Klassifikation stellt per se ebenfalls keinen technischen Zweck dar, auch wenn dem Klassifikationsalgorithmus wertvolle mathematische Eigenschaften wie Robustheit zugeschrieben werden können (T 1784/06).
Wenn eine Klassifizierungsmethode einem technischen Zweck dient, können die Schritte "Erzeugung des Trainings-Datensatzes" und "Training des Klassifikators" auch zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, wenn sie das Erreichen dieses technischen Zwecks unterstützen.
Die technische Wirkung eines Algorithmus für maschinelles Lernen kann offensichtlich sein oder durch Erläuterungen, mathematische Beweise, Versuchsdaten oder Ähnliches nachgewiesen werden. Reine Behauptungen reichen dazu nicht aus, es ist aber auch kein vollständiger Nachweis erforderlich. Hängt die technische Wirkung von bestimmten Merkmalen des verwendeten Trainingsdatensatzes ab, sind die zur Reproduktion dieser technischen Wirkung erforderlichen Merkmale zu offenbaren, es sei denn, der Fachmann kann sie ohne unzumutbaren Aufwand unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens ermitteln. Der konkrete Trainingsdatensatz selbst muss jedoch in der Regel nicht offenbart werden (siehe auch F‑III, 3 und G‑VII, 5.2).