4.2 Chirurgische, therapeutische und Diagnostizierverfahren
Overview
Europäische Patente werden nicht erteilt für "Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren". Für Instrumente oder Vorrichtungen, die bei chirurgischen oder therapeutischen Verfahren und bei Diagnostizierverfahren verwendet werden, können demnach Patente erteilt werden. Die Herstellung von Prothesen oder künstlichen Gliedern kann patentierbar sein. Nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist z. B. ein Verfahren zur Herstellung von Einlegesohlen zwecks Korrektur der Körperhaltung oder ein Verfahren zur Herstellung künstlicher Gliedmaßen. Das Abnehmen eines Fußabdrucks oder eines Abdrucks von einem Stumpf, an den eine künstliche Gliedmaße angepasst wird, ist eindeutig kein chirurgischer Eingriff. Zudem werden sowohl die Einlegesohlen als auch die künstlichen Gliedmaßen außerhalb des Körpers hergestellt. Dagegen wäre ein Verfahren zur Herstellung einer Endoprothese, das zwar außerhalb des Körpers angewendet wird, bei dem aber für das Maßnehmen ein chirurgischer Eingriff erforderlich ist, nach Art. 53 c) von der Patentierbarkeit ausgeschlossen (siehe T 1005/98).
Die Ausnahme nach Art. 53 c) erstreckt sich nicht auf Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Verwendung bei diesen Behandlungs- und Diagnostizierverfahren.
Wenn ein Stoff oder ein Stoffgemisch bereits bekannt ist, kann (fiktive) Neuheit von einer neuen medizinischen Verwendung gemäß Art. 54 (4) und Art. 54 (5) hergeleitet werden.
Nach Art. 54 (4) darf ein bekannter Stoff oder ein bekanntes Stoffgemisch dennoch für die Verwendung in einem in Art. 53 c) genannten Verfahren patentiert werden, wenn der bekannte Stoff oder das Stoffgemisch nicht schon vorher zur Verwendung in einem solchen Verfahren offenbart war ("erste medizinische Indikation"). Ein Patentanspruch auf einen bekannten Stoff oder ein bekanntes Stoffgemisch zur Verwendung in chirurgischen, therapeutischen und/oder diagnostischen Verfahren muss etwa folgende Form haben: "Stoff oder Stoffgemisch X" gefolgt von der Angabe des Verwendungszwecks, z. B. "... zur Verwendung als Arzneimittel" oder "... zur Verwendung in therapeutischen/in-vivo-diagnostischen/chirurgischen Verfahren" (siehe G‑VI, 6.1 G‑VI, 7.1).
War der bekannte Stoff oder das Stoffgemisch außerdem bereits vorher zur Verwendung in chirurgischen, therapeutischen oder diagnostischen Verfahren am menschlichen oder tierischen Körper offenbart, kann dennoch nach Art. 54 (5) ein Patent für eine zweite oder weitere Verwendung des Stoffs in diesen Verfahren erlangt werden, sofern die Verwendung neu und erfinderisch ist ("weitere medizinische Indikation"). Ein Anspruch auf eine weitere medizinische Verwendung eines bekannten Stoffs muss folgende Form haben: "Stoff oder Stoffgemisch X" gefolgt von der Angabe der spezifischen therapeutischen/in-vivo-diagnostischen/chirurgischen Verwendung, z. B. "… zur Verwendung bei der Behandlung der Krankheit Y" (siehe G‑VI, 6.1 G‑VI, 7.1).
Gegenstände in der Beschreibung, die als Patentierbarkeitsausnahme anzusehen sind, müssen entweder gestrichen oder so umformuliert werden, dass sie nicht unter die Patentierbarkeitsausnahmen fallen, oder es muss eindeutig darauf hingewiesen werden, dass sie nicht Teil der beanspruchten Erfindung sind (siehe F‑IV, 4.3). Im letzteren Fall kann die Beschreibung im Einklang mit Art. 53 c) beispielsweise durch Hinzufügen des folgenden Hinweises geändert werden: "Die Verweise auf therapeutische oder chirurgische Behandlungsverfahren oder In-vivo-Diagnostizierverfahren in den Beispielen X, Y und Z dieser Beschreibung sind als Verweis auf Verbindungen, pharmazeutische Zubereitungen und Arzneimittel zur Anwendung in diesen Verfahren zu verstehen".