Kapitel V – Materiellrechtliche Prüfung beim Einspruch
Mangelnde Klarheit ist kein Einspruchsgrund. Das Einspruchsverfahren ist nicht dafür bestimmt, generell Patente, die einen Mangel aufweisen, zu ändern (oder zu widerrufen); das Einspruchsverfahren ist deshalb nicht als Fortsetzung des Prüfungsverfahrens zu sehen. Allgemein bleibt somit ein erteilter Anspruch so wie er ist, auch wenn neue Tatsachen (z. B. neuer Stand der Technik) zeigen, dass der Anspruch unklar ist (G 3/14).
Bei der Prüfung, ob ein geändertes Patent für die Zwecke des Art. 101 (3) den Erfordernissen des EPÜ genügt, können die Patentansprüche nur dann auf Konformität mit den Erfordernissen des Artikels 84 geprüft werden, wenn und insoweit eine Änderung zu einem Verstoß gegen Art. 84 führt (G 3/14, in der die durch T 301/87 veranschaulichte Rechtsprechung bestätigt wurde). Ein Verstoß gegen Art. 84 kann nicht als Ergebnis einer Änderung betrachtet werden, wenn ein in den Ansprüchen in der erteilten Fassung bereits vorhandenes Klarheitsproblem durch die Änderung nur aufgezeigt, verdeutlicht oder sichtbar gemacht wird.
Gemäß G 3/14 kann die Änderung eines Anspruchs oder eines Teils eines Patents nicht dazu führen, dass andere, nicht geänderte Teile des Patents erneut geprüft werden. Die Streichung eines unabhängigen Anspruchs mit den von ihm abhängigen Ansprüchen oder die Streichung eines abhängigen Anspruchs, bei der die unabhängigen Ansprüche und andere abhängige Ansprüche unverändert bleiben, erlaubt somit keine Prüfung der restlichen Ansprüche auf Konformität mit Art. 84.
Ein im Einspruchsverfahren geänderter Anspruch wird nicht auf Konformität mit Art. 84 geprüft, wenn
i)ein abhängiger Anspruch in der erteilten Fassung vollständig in einen unabhängigen Anspruch eingefügt wird;
ii)eine von mehreren alternativen Ausführungsformen des abhängigen Anspruchs in der erteilten Fassung mit dem unabhängigen Anspruch in der erteilten Fassung kombiniert wird;
iii)Textteile aus einem erteilten (unabhängigen oder abhängigen) Anspruch gestrichen werden, wodurch der Schutzumfang eingeschränkt wird, aber ein bereits vorhandener Verstoß gegen Art. 84 bestehen bleibt (veranschaulicht in T 301/87); oder
iv)fakultative Merkmale aus einem erteilten (unabhängigen oder abhängigen) Anspruch gestrichen werden.
Ein geänderter Anspruch ist jedoch auf Konformität mit Art. 84 zu prüfen,
v)wenn Merkmale aus der Beschreibung genommen und als Änderung in einen erteilten Anspruch eingefügt werden; oder
vi)wenn ein Merkmal aus einem abhängigen Anspruch in der erteilten Fassung in einen unabhängigen Anspruch in der erteilten Fassung eingefügt wird, wobei dieses Merkmal zuvor mit anderen Merkmalen dieses abhängigen Anspruchs verbunden war und diese Änderung zu einem angeblichen Verstoß gegen Art. 84 führt.
Entsprechend kann die Beschreibung des Patents nur dann auf Konformität mit den Erfordernissen des Art. 84 geprüft werden, wenn und insoweit eine Änderung des Patents zu einem Verstoß gegen Art. 84 führt. Insbesondere sind Widersprüche zwischen der Beschreibung und den Patentansprüchen, die aus Änderungen im Einspruchsverfahren hervorgehen und Zweifel an dem Gegenstand aufkommen lassen, für den Schutz beantragt wird, zu vermeiden (siehe F‑IV, 4.3 zur Prüfung von Widersprüchen zwischen der Beschreibung und den Patentansprüchen allgemein).
Andere Änderungen der Beschreibung, die nicht aus Änderungen der Patentansprüche im Einspruchsverfahren hervorgehen, können unter den in H‑II, 3.2. genannten Bedingungen zugelassen werden.