Kapitel IV – Patentansprüche (Art. 84 und Formerfordernisse)
Beispiel 1
Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zum Lagern von Gel-umhüllten Samen mit einer Gelbeschichtung, die ein wässriges Gel umfasst, das durch ein Metallion wasserunlöslich gemacht wurde. Das Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gel-umhüllten Samen in einer wässrigen Lösung gelagert werden, die das Metallion enthält. Gemäß der Beschreibung soll die Erfindung ein Verfahren für die einfache Lagerung von Gel-umhüllten Samen bereitstellen, ohne dass sich dadurch Nachteile beim Ertrag und bei den Handhabungseigenschaften ergeben. In der Beschreibung wird betont, dass die Metallionenkonzentration in einem bestimmten Bereich liegen muss, damit die Ziele der Erfindung erreicht werden. Liegt die Metallionenkonzentration außerhalb dieses Bereichs, hat dies negative Folgen für den Ertrag und die Handhabungseigenschaften. Durch den Gegenstand von Anspruch 1 – in dem der bestimmte Bereich nicht angegeben ist – wird somit die in der Beschreibung genannte Aufgabe nicht gelöst.
Beispiel 2
Die Erfindung betrifft eine Vorrichtung zur konkaven Formgebung eines Metallstreifens. Im nächstliegenden Stand der Technik durchläuft der Metallstreifen quer zu seiner Länge eine Gruppe von Formgebungswalzen, mit denen dem Metallstreifen die konkave Form aufgeprägt wird. Gemäß der Beschreibung besteht das Problem darin, dass es mit den Walzen nicht möglich ist, eine Krümmungskraft auf die seitlichen Enden auszuüben, sodass diese normalerweise flach bleiben. Das Unterscheidungsmerkmal des unabhängigen Anspruchs sieht ein flexibles Förderband oder eine Förderbahn vor, um den Metallstreifen beim Durchlaufen der Gruppe von Formgebungswalzen abzustützen. Dieses Merkmal ist ausreichend, um die Aufgabe zu lösen. Weitere Merkmale wie die Einzelheiten des Mechanismus zur Einbringung des Metallstreifens in die Formgebungswalzen oder die Bereitstellung von mindestens drei Walzen sind zur Lösung der Aufgabe nicht erforderlich: solche zusätzlichen Merkmale würden den Anspruch unangemessen einschränken (siehe T 1069/01).
Beispiel 3
Anspruch 1 ist auf eine Vorrichtung für die Kodierung von Fernsehsignalen gerichtet, die neben anderen Merkmalen ein Mittel zur Generierung von Parametern umfasst, das sicherstellt, dass der Fehler zwischen den Pixeldaten des prädizierten und des tatsächlichen laufenden Halbbildes minimiert wird. Die Beschreibung umfasst nur ein Beispiel für die Minimierung des Fehlers, nämlich ein Verfahren der kleinsten Quadrate. Hier kommt es darauf an, dass der Fachmann erkennen kann, wie die Fehlerminimierungsfunktion umgesetzt werden kann. Ob das Verfahren der kleinsten Quadrate das einzige anwendbare Verfahren ist, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es ist daher nicht nötig, das beanspruchte Mittel zur Parametergenerierung dahin gehend weiter einzuschränken, dass es auf einem Verfahren der kleinsten Quadrate beruht (siehe T 41/91).
Beispiel 4
Gemäß der Beschreibung wird eine Verbindung C erhalten, indem man eine Mischung aus A und B für mindestens 10 Minuten bei 100 °C reagieren lässt. Es wird betont, dass A und B für mindestens diese Zeitspanne miteinander reagieren müssen, weil die Reaktion andernfalls unvollständig ist und C nicht gebildet wird. Anspruch 1 ist auf ein Verfahren zur Herstellung der Verbindung C gerichtet, das dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Mischung aus A und B für 5 bis 15 Minuten bei 100 °C reagiert. Der Anspruch enthält nicht alle wesentlichen Merkmale der Erfindung, weil es in der Beschreibung eindeutig heißt, dass A und B für mindestens 10 Minuten miteinander reagieren müssen, damit die Reaktion vollständig ist.
Beispiel 5
Gemäß der Beschreibung besteht die zu lösende Aufgabe darin, Aerosolzusammensetzungen bereitzustellen, bei denen der Anteil der als Treibmittel benötigten unerwünschten flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) dramatisch reduziert wird, sodass weniger VOCs in die Atmosphäre abgegeben werden. Anspruch 1 nennt einen Mindestanteil von 15 Gew.-% Treibmittel (VOC) im Aerosol, enthält aber keinerlei Angaben zu einer etwaigen Höchstmenge. Die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe, weniger VOCs in die Umwelt abzugeben, wird nur gelöst, wenn das Treibmittel eine bestimmte Höchstmenge in der Aerosolzusammensetzung nicht überschreitet: dieser Höchstwert ist daher ein wesentliches Merkmal der Erfindung. Anspruch 1 umfasst Aerosole mit einem Treibmittelanteil von 15 Gew.-% oder mehr und deckt somit konventionelle Aerosole mit einem unerwünscht hohen Anteil an Treibmitteln ebenfalls ab. Der Anteil an unerwünschten VOCs in den beanspruchten Aerosol- Zusammensetzungen ist daher nicht "dramatisch reduziert", und das erklärte Ziel der Erfindung wird nicht erreicht (siehe T 586/97).
Beispiel 6
Im Hinblick auf Diagnostizierverfahren wurde in G 1/04 festgestellt, dass die deduktive human- oder veterinärmedizinische Entscheidungsphase als wesentliches Merkmal in den unabhängigen Anspruch aufzunehmen ist, wenn sie sich aus der Anmeldung oder dem Patent insgesamt zweifelsfrei ergibt. Wenn also das zwangsläufige Ergebnis der ersten drei Phasen eines solchen Verfahrens (siehe G‑II, 4.2.1.3) eine bestimmte Diagnose zu Heilzwecken ist, durch die die Abweichung einem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden kann, muss die Entscheidungsphase im unabhängigen Anspruch enthalten sein, damit die Erfordernisse von Art. 84 erfüllt sind. Jedoch fällt der Anspruch dann möglicherweise unter das Patentierungsverbot von Art. 53 c) (siehe auch G‑II, 4.2.1.3). Die abschließende Entscheidungsphase muss nur dann als wesentliches Merkmal im unabhängigen Anspruch enthalten sein, wenn aus der Anmeldung/dem Patent insgesamt klar hervorgeht, dass die Untersuchungsergebnisse zwangsläufig und eindeutig zu einer bestimmten Diagnose führen: dies ist von der Abteilung im Einzelfall zu entscheiden.