3.9 Auf computerimplementierte Erfindungen gerichtete Ansprüche
Ein weiterer häufiger Typ computerimplementierter Erfindungen wird in einer verteilten Computerumgebung verwirklicht. Beispiele sind ein vernetztes Client-Server-System mit einem Smartphone als Client, der Zugriff auf Speicher- oder Verarbeitungsressourcen in einer Computercloud hat, Filesharing durch Geräte in einem Peer-to-Peer-Netz, eine Augmented-Reality-Umgebung mit Head-Mounted Displays, autonome Fahrzeuge, die über ein Ad-hoc-Netz interagieren oder in einem Distributed-Ledger-System mittels Blockchain vernetzt sind.
Für derartige verteilte computerimplementierte Erfindungen kann der Anspruchssatz Ansprüche umfassen, die auf jeden einzelnen Gegenstand des verteilten Systems und/oder auf das Gesamtsystem und die entsprechenden Verfahren gerichtet sind. Ein solcher Anspruchssatz kann nach Regel 43 (2) a) gewährbar sein (F‑IV, 3.2). Jeder unabhängige Anspruch muss nichtsdestotrotz die Voraussetzungen der Patentierbarkeit erfüllen, insbesondere die Erfordernisse von Art. 54, Art. 56 und Art. 84. Besteht die Erfindung beispielsweise in der Implementierung einer Computercloud unter Verwendung virtueller Maschinen, die die Anpassung an Veränderungen des Arbeitsaufkommens durch automatische Zuweisung von Ressourcen ermöglichen, kann ein Client-Gerät, das auf die Cloudressourcen zugreift, bereits im Stand der Technik bekannt sein. Der Anspruchssatz muss auch dem Erfordernis der Einheitlichkeit genügen.
Es kann notwendig sein, auf die spezifischen Merkmale der verschiedenen Gegenstände Bezug zu nehmen und ihre Wechselwirkung zu definieren, um das Vorliegen aller wesentlichen Merkmale sicherzustellen. Bei der Bezugnahme auf die Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Gegenständen ist besonders darauf zu achten, dass der Anspruch klar ist. In manchen Fällen kann es notwendig sein, den Anspruch auf die Kombination der Gegenstände zu beschränken (siehe F‑IV, 4.14). Ist die Verteilung der Schritte eines Verfahrens auf die beteiligten Gegenstände wesentlich für die Erfindung, so muss definiert werden, welcher Verfahrensschritt von welchem Gegenstand ausgeführt wird, damit die Erfordernisse von Art. 84 erfüllt sind. In allgemeinen Ansprüchen auf computerimplementierte Erfindungen kann dies hingegen undefiniert bleiben (siehe F‑IV, 3.9.1).
Einige Überlegungen zu diesen Erfordernissen werden an den folgenden Beispielen veranschaulicht. Neben den in den Beispielen genannten können auch andere Formulierungen (F‑IV, 3.9.1) Teil des Anspruchssatzes sein, wurden aber der Kürze halber weggelassen.
Beispiel
1. Sendevorrichtung, umfassend Mittel zur Codierung von Daten durch Ausführung der Schritte A und B sowie Mittel zum Senden der codierten Daten an eine Empfangsvorrichtung.
2. Empfangsvorrichtung, umfassend Mittel zum Empfang codierter Daten von einer Sendevorrichtung und Mittel zur Decodierung der Daten durch Ausführung der Schritte C und D.
3. System, umfassend eine Sendevorrichtung nach Anspruch 1 und eine Empfangsvorrichtung nach Anspruch 2.
4. Computerprogramm[produkt], umfassend Befehle, die bei der Ausführung des Programms durch einen ersten Computer diesen veranlassen, durch Ausführung der Schritte A und B Daten zu codieren und die codierten Daten an einen zweiten Computer zu senden.
5. Computerprogramm[produkt], umfassend Befehle, die bei der Ausführung des Programms durch einen zweiten Computer diesen veranlassen, durch Ausführung der Schritte C und D codierte Daten von einem ersten Computer zu empfangen und die empfangenen Daten zu decodieren.
Anmerkung: Die durch die Erfindung zu lösende Aufgabe besteht in der Übertragung von Daten über ein Netzwerk. Die Sendevorrichtung codiert die Daten mittels eines Algorithmus, der die Schritte A und B umfasst, und die Empfangsvorrichtung führt die komplementäre Funktion der Dekodierung der Daten mittels eines Algorithmus aus, der die Schritte C und D umfasst. Die Erfordernisse der Regel 43 (2) sind erfüllt, denn die Vorrichtungen von Anspruch 1 und Anspruch 2 stehen insoweit miteinander in Beziehung, als sie interagieren, um die Erfindung auszuführen und die genannte Aufgabe zu lösen. Die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit müssen für jeden unabhängigen Anspruch einzeln beurteilt werden. Ermöglicht beispielsweise die Codierung anhand der Schritte A und B eine effizientere Codierung in einem bekannten Codierungsformat und ist die Decodierung anhand der Schritte C und D konventionell, so kann es sein, dass nur die Ansprüche 1, 3 und 3 4 neu und erfinderisch sind.