Kapitel IV – Stand der Technik
Für die Anwendung von Art. 54 (2) und (3) gilt sowohl für die zu prüfende europäische Anmeldung als auch für kollidierende europäische Anmeldungen nach Art. 54 (3) der Prioritätstag als Anmeldetag, sofern die entsprechende Prioriät wirksam ist (Art. 89). Dabei kann für verschiedene Patentansprüche oder alternative Gegenstände, die in einem Patentanspruch beansprucht werden, jeweils ein anderes wirksames Datum gelten, nämlich der Anmeldetag oder (einer) der beanspruchte(n) Prioritätstag(e). Die Frage der Neuheit muss für jeden Patentanspruch (oder Teil eines Patentanspruchs) gesondert geprüft werden. Der bei einem Patentanspruch oder einem Teil eines Patentanspruchs zu berücksichtigende Stand der Technik kann Merkmale, z. B. aus der Zwischenliteratur (siehe B‑X, 9.2.4), umfassen, die einem anderen Patentanspruch oder einem anderen im selben Patentanspruch enthaltenen alternativen Gegenstand nicht entgegengehalten werden können, weil für diese ein früheres wirksames Datum gilt.
Das Prioritätsrecht der zu prüfenden Anmeldung oder des angefochtenen Patents kann auch verloren gehen, wenn eine nach Regel 53 (3) geforderte Übersetzung der Prioritätsunterlage nicht eingereicht wird (siehe A‑III, 6.8 und Unterpunkte).
Wenn natürlich alle zum Stand der Technik gehörenden Merkmale der Öffentlichkeit vor dem Datum des frühesten Prioritätsdokuments zugänglich gemacht worden sind, muss (und darf) sich der Prüfer nicht mehr mit der Zuteilung der wirksamen Daten befassen.
Reicht der Anmelder fehlende Teile der Beschreibung oder fehlende Zeichnungen (siehe A‑II, 5.1) nach Regel 56 nach, ist der zuerkannte Anmeldetag nach Regel 56 (2) der Tag, an dem diese fehlenden Teile eingereicht werden (siehe A‑II, 5.3), es sei denn, sie sind in der Prioritätsunterlage vollständig enthalten und die Erfordernisse der Regel 56 (3) sind erfüllt (siehe A‑II, 5.4) ‒ in diesem Fall ändert sich der Anmeldetag nicht. Der Tag der Anmeldung ist daher entweder der Tag der Einreichung fehlender Teile oder der ursprüngliche Tag der Einreichung. Dasselbe gilt, wenn der Anmelder im Fall von fälschlicherweise eingereichten Unterlagen nach Regel 56a eine richtige Beschreibung, richtige Ansprüche oder richtige Zeichnungen bzw. Teile davon einreicht (siehe A‑II, 6).
Ansprüche, die auf eine Mitteilung nach Regel 58 hin eingereicht werden, führen nicht zu einer Neufestsetzung des Anmeldetags (siehe A‑III, 15), da sie als Änderung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung angesehen werden (siehe H‑IV, 2.2.4).