2. Verspätetes Vorbringen
Bei der Bewertung von verspätet eingereichten Anträgen im Einspruchsverfahren gelten die von der Großen Beschwerdekammer in G 9/91 und G 10/91 aufgestellten Grundsätze. Diesen Entscheidungen zufolge ist der Einspruch auf der Grundlage der während der Einspruchsfrist eingereichten Begründung und in dem dort angegebenen Umfang zu prüfen. Nach Art. 114 (1) kann die Einspruchsabteilung darüber hinausgehen, wenn prima facie die Aufrechterhaltung des Patents auf dem Spiel steht. Diese von der Großen Beschwerdekammer in Bezug auf neue Gründe aufgestellten Grundsätze gelten auch für verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel (siehe T 1002/92). Somit sind verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nur dann zum Verfahren zuzulassen, wenn sie prima facie relevant sind, d. h. wenn sich durch sie die Entscheidung ändern würde (E‑VI, 2).
Ändert ein Patentinhaber das Patent in Reaktion auf eine Einspruchsschrift, kann ein solcher Änderungsantrag nicht als verspätet eingereicht betrachtet werden und muss zum Verfahren zugelassen werden (Regel 79 (1)).
Beschränkt der Patentinhaber das Patent auf den Gegenstand eines abhängigen Anspruchs in der erteilten Fassung, sind neue Tatsachen und Beweismittel, die der Einsprechende in Erwiderung auf diese Änderung einreicht, daher in der Regel als verspätet eingereicht zu betrachten und nur dann nach Art. 114 (1) zuzulassen, wenn sie prima facie relevant sind: Der Einsprechende muss auf diese Art von Änderungen vorbereitet sein und innerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist Unterlagen einreichen.
Sind die neuen Tatsachen und Beweismittel prima facie nicht relevant, sind sie nach Art. 114 (2) nicht zu berücksichtigen. Eine Ausnahme von dieser Regel besteht, wenn die Patentschrift in der erteilten Fassung so viele abhängige Ansprüche enthält, dass vom Einsprechenden billigerweise nicht erwartet werden konnte, ihnen allen in der Einspruchsschrift Rechnung zu tragen.
Ändert der Patentinhaber das Patent hingegen in einem frühen Verfahrensstadium auf eine vom Einsprechenden nicht vorhersehbare Weise, indem er beispielsweise Merkmale aus der Beschreibung aufgreift, wird dem Einsprechenden Gelegenheit gegeben, neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, d. h. unter Umständen neue Einspruchsgründe und neue Unterlagen einzureichen. Ein solches Vorbringen ist zum Verfahren zuzulassen, weil sich der dem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt geändert hat. In einem späteren Verfahrensstadium muss auf solche unvorhersehbaren Änderungen das Kriterium der "eindeutigen Gewährbarkeit" angewandt werden (siehe H‑II, 2.7.1).