5.4.2 Beispiele zur Anwendung des COMVIK-Ansatzes
Anspruch 1:
Ein Verfahren zur Beschichtung eines Werkstücks durch thermisches Spritzen, das folgende Schritte umfasst:
a)Auftragen eines Werkstoffs auf das Werkstück mittels Spritzstrahl durch thermisches Spritzen,
b)Überwachung des thermischen Spritzvorgangs in Echtzeit durch Erfassen der Eigenschaften der im Spritzstrahl enthaltenen Partikel und Bereitstellung der Eigenschaften als Istwerte,
c)Vergleich der Istwerte mit Sollwerten
und bei Abweichung der Istwerte von den Sollwerten
d)automatische Anpassung der Verfahrensparameter für das thermische Spritzen durch einen Regler auf Basis eines neuronalen Netzes, wobei der Regler ein Neuro-Fuzzy-Regler ist, der ein neuronales Netz und Fuzzy-Logik-Regeln kombiniert und damit statistische Zusammenhänge zwischen Eingangs- und Ausgangsvariablen des Neuro-Fuzzy-Reglers abbildet.
Hintergrund: Die Erfindung betrifft die Regelung eines industriellen Verfahrens, nämlich der thermischen Spritzbeschichtung eines Werkstücks. Der Werkstoff für die Beschichtung wird mithilfe eines Trägergases in den Hochtemperaturstrahl injiziert, wo er beschleunigt und/oder geschmolzen wird. Die Eigenschaften der resultierenden Beschichtungen unterliegen großen Schwankungen, selbst bei scheinbar konstanten Parametern des Beschichtungsvorgangs. Der Spritzstrahl wird mit einer CCD-Kamera optisch überwacht. Das von der Kamera aufgenommene Bild wird an ein Bildverarbeitungssystem übertragen, das die Eigenschaften der Partikel im Spritzstrahl (Geschwindigkeit, Temperatur, Größe usw.) ermitteln kann. Ein Neuro-Fuzzy-Regler ist ein mathematischer Algorithmus, der ein neuronales Netz mit Fuzzy-Logik-Regeln kombiniert.
Anwendung der Schritte des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes gemäß COMVIK:
Schritt i): Das Verfahren ist auf thermisches Spritzen gerichtet, d. h. auf einen spezifischen technischen Vorgang, der verschiedene konkrete technische Merkmale umfasst wie z. B. Partikel, ein Werkstück, eine Spritzvorrichtung (implizit).
Schritt ii): In Dokument D1 ist ein Verfahren zur Regelung eines thermischen Spritzvorgangs offenbart, bei dem Material mit einem Spritzstrahl auf ein Werkstück aufgetragen wird, Abweichungen bei den Eigenschaften der in diesem Spritzstrahl enthaltenen Partikel ermittelt werden und die Verfahrensparameter automatisch auf Grundlage des Ergebnisses einer neuronalen Netzanalyse angepasst werden. Dieses Dokument stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar.
Schritt iii): Der Unterschied zwischen dem Verfahren nach Anspruch 1 und D1 betrifft die Verwendung eines Neuro-Fuzzy-Reglers, der ein neuronales Netz mit Fuzzy-Logik-Regeln kombiniert, wie im zweiten Teil von Schritt d) erläutert.
Rechenmodelle und Algorithmen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz sind, für sich genommen, von abstrakter mathematischer Natur (G‑II, 3.3.1). Das Merkmal einer Kombination von neuronaler Netzanalyse und Fuzzy-Logik definiert für sich genommen eine mathematische Methode. Zusammen mit dem Merkmal einer Anpassung der Verfahrensparameter trägt sie allerdings zur Regelung des Beschichtungsvorgangs bei. Das Ergebnis der mathematischen Methode wird also direkt zur Regelung eines spezifischen technischen Verfahrens verwendet.
Die Regelung eines spezifischen technischen Verfahrens ist eine technische Anwendung, siehe G‑II, 3.3 (Unterpunkt "Technische Anwendungen"). Das Unterscheidungsmerkmal leistet einen Beitrag zur Erzeugung einer technischen Wirkung, die einem technischen Zweck dient, und trägt damit zum technischen Charakter der Erfindung bei. Daher wird es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt.
Schritt iii) c): Die objektive technische Aufgabe muss von den technischen Wirkungen abgeleitet werden, die auf objektiv festgestellten Sachverhalten beruhen und unmittelbar und kausal mit den technischen Merkmalen des Anspruchs zusammenhängen.
Im vorliegenden Fall kann die Tatsache allein, dass die Parameter – ohne Einzelheiten betreffend die spezifische Anpassung an den thermischen Spritzvorgang – mittels einer Kombination der Ergebnisse einer neuronalen Netzanalyse mit Fuzzy-Logik berechnet werden, keine technische Wirkung über eine andere Anpassung der Verfahrensparameter hinaus glaubhaft sicherstellen. Insbesondere lässt sich kein Beleg für eine Verbesserung der Qualität der Beschichtungseigenschaften oder des thermischen Spritzverfahrens finden, die aus der Kombination der Merkmale nach Anspruch 1 resultieren würde. Mangels eines derartigen Belegs besteht die objektive technische Aufgabe darin, eine alternative Lösung für die bereits in D1 gelöste Aufgabe bereitzustellen, die Verfahrensparameter für die Regelung des thermischen Spritzverfahres anzupassen.
Naheliegen: Ausgehend von der Lehre aus D1 und angesichts der vorstehend beschriebenen objektiven technischen Aufgabe würde der Fachmann auf dem Gebiet der Regelungstechnik (G‑VII, 3) nach einer alternativen Lösung suchen, um die Regelparameter des Verfahrens zu bestimmen.
Eine zweite Vorveröffentlichung D2 offenbart eine Kombination eines neuronalen Netzes mit Fuzzy-Logik-Regeln, bei der ein Neuro-Fuzzy-Regler auf dem technischen Gebiet der Regelungstechnik bereitgestellt wird. Aus dieser Entgegenhaltung ergibt sich, dass Neuro-Fuzzy-Regler am Anmeldetag der Patentanmeldung allgemein bekannt waren und in der Regeltechnik angewandt wurden. Die vorliegende Lösung wird daher als naheliegende Alternative erachtet, sodass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch ist.
Anmerkungen: Dieses Beispiel veranschaulicht den Fall, dass ein mathematisches Merkmal, das isoliert betrachtet nichttechnisch ist, im Kontext des Anspruchs einen Beitrag zur Erzeugung einer technischen Wirkung leistet, die einem technischen Zweck dient. Das Merkmal, eine Kombination aus neuronalen Netzergebnissen und Fuzzy-Logik zu verwenden, um die Verfahrensparameter für die Regelung des thermischen Spritzvorgangs anzupassen, trägt zum technischen Charakter der Erfindung bei und kann daher das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit stützen.
Die Bekanntheit der Verwendung von Neuro-Fuzzy-Reglern auf dem Gebiet der Regeltechnik aus der allgemeinen Lehre führte zu dem Einwand, dass der Regler in Anspruch 1 eine naheliegende Alternative darstellt. Dieser Einwand hätte dadurch ausgeräumt werden können, dass im Anspruch weitere Merkmale der Fuzzy-Regelungsmethode genannt werden, die in einem Zusammenhang mit technischen Eigenschaften des Spritzvorgangs stehen. Würden sich die vorteilhaften Beschichtungseigenschaften beispielsweise aus spezifischen Ein- und Ausgangsvariablen des Neuro-Fuzzy-Reglers oder der Art ergeben, wie der Regler trainiert wird oder die Ausgangsdaten bei der Regelung der Verfahrensparameter verwendet werden, hätten diese Merkmale im Anspruch angeführt werden sollen. Die Beschreibung und die Zeichnungen in der eingereichten Fassung hätten Belege dafür liefern können, dass vorteilhafte Beschichtungseigenschaften tatsächlich erzielt werden. So wie er hier beansprucht ist, ist der Neuro-Fuzzy-Regler nicht an die spezifische Anwendung des thermischen Spritzens angepasst. Abgesehen von der Bereitstellung anderer Verfahrensparameter als Eingangsdaten für den Regler gibt es keinen Beleg für eine bestimmte technische Wirkung, die glaubhaft über den gesamten beanspruchten Bereich erzielt wird.