1.2.2 Mängel, bei deren Nichtbehebung der Einspruch als unzulässig zu verwerfen ist
Hierunter fallen folgende Mängel:
i)Der Einspruch ist nicht innerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist, gerechnet vom Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt, beim EPA in München, seiner Zweigstelle in Den Haag oder seiner Dienststelle in Berlin schriftlich eingereicht worden (Art. 99 (1)).
Demgemäß liegt z. B. ein Mangel des Einspruchs vor, wenn die Einspruchsschrift verspätet, also nach Ablauf der Neunmonatsfrist, beim EPA eingegangen ist, oder wenn der Einspruch zwar rechtzeitig innerhalb der Einspruchsfrist, aber durch einen amtsseitig in einer Aktennotiz niedergelegten Telefonanruf nur mündlich mitgeteilt wurde. Ein hierunter fallender Mangel ist auch bei einem Einspruch vorhanden, der entgegen den Vorschriften des Art. 99 (1) bei einer Zentralbehörde für den gewerblichen Rechtsschutz eines Vertragsstaats oder einer dieser nachgeordneten Behörde eingereicht und von dieser Behörde nicht oder nicht so rechtzeitig weitergeleitet wurde, dass er bis zum Ablauf der Einspruchsfrist beim EPA eingegangen ist. Eine gesetzliche Verpflichtung, einen Einspruch an das EPA weiterzuleiten, besteht für die genannten Behörden nicht.
ii)In der Einspruchsschrift ist das europäische Patent, gegen das Einspruch eingelegt wird, nicht hinreichend bezeichnet.
Ein solcher Mangel liegt vor, wenn das EPA aufgrund der Angaben in der Einspruchsschrift das betreffende Patent nicht identifizieren kann, also wenn z. B. allein der Inhaber des angegriffenen Patents, gegebenenfalls in Verbindung mit der Bezeichnung der Erfindung dieses Patents, in der Einspruchsschrift genannt ist. Derartige Angaben allein bezeichnen das angegriffene europäische Patent nicht hinreichend, es sei denn, der alleinig genannte Inhaber besitzt nur ein einziges Patent oder ein Patent neben weiteren Patenten, dessen Gegenstand auf die in der Einspruchsschrift genannte Bezeichnung der Erfindung zutrifft, aber sich von den Gegenständen der übrigen Patente dieses Inhabers eindeutig unterscheidet. Die alleinige Nennung der Nummer des angegriffenen europäischen Patents in der Einspruchsschrift stellt eine hinreichende Bezeichnung des betreffenden Patents dar, vorausgesetzt, dass keine sich widersprechenden Informationen gegeben werden, z. B. die Namensangabe des Patentinhabers widersprüchlich ist, und der Widerspruch aufgrund der gegebenen Informationen nicht beseitigt werden kann.
iii)In der Einspruchsschrift fehlt eine Erklärung darüber, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt wird.
Ein Mangel dieser Art liegt vor, wenn aus der erforderlichen Erklärung nicht ersichtlich ist, ob sich der Einspruch gegen den gesamten Gegenstand des Patents oder nur gegen einen Teil davon richtet, also ob er gegen die gesamten Patentansprüche oder nur gegen einen Anspruch oder nur einen Teil davon, z. B. eine Alternative oder ein Ausführungsbeispiel, gerichtet ist.
iv)In der Einspruchsschrift fehlt eine Erklärung darüber, auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird.
Eine Einspruchsschrift ist mit einem Mangel dieser Art behaftet, wenn darin nicht mindestens einer der in Art. 100 genannten Einspruchsgründe (siehe D‑III, 5) genannt ist. Wird als Einspruchsgrund mangelnde Patentierbarkeit genannt, so muss sich zumindest implizit aus der Begründung ergeben, welche der Voraussetzungen für die Patentierbarkeit (Art. 52 bis Art. 57) als nicht erfüllt angesehen werden.
v)Die Einspruchsschrift ist nicht ausreichend substanziiert.
Nach Regel 76 (2) c) muss die Einspruchsschrift eine Erklärung darüber enthalten, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt und auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel.
Aus dem Wortlaut der Regel 76 (2) c) geht deutlich hervor, dass es zwischen den Einspruchsgründen, d. h. der Rechtsgrundlage für den Widerruf des Patents (z. B. Art. 100 a)), und den zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismitteln zu unterscheiden gilt. Wenn die Tatsachen und Beweismittel fehlen oder so vage sind, dass sie kein angemessenes Verständnis des Falles ermöglichen, gilt der Einspruch als Ausdruck einer bloßen Behauptung, die nicht für die Zulässigkeit des Einspruchs ausreicht.
Deshalb muss der Einsprechende seine Einspruchsgründe untermauern, indem er zumindest zu einem dieser Gründe Tatsachen und Beweismittel anführt. Der Einsprechende muss den rechtlichen und faktischen Rahmen herstellen, auf den sich der Einspruch stützt, damit überhaupt eine materiellrechtliche Prüfung stattfinden kann. Die Einspruchsabteilung und der Patentinhaber müssen folglich ohne weitere eigene Ermittlungen nachvollziehen können, worüber im betreffenden Fall zu entscheiden ist. Für die Zulässigkeit des Einspruchs ist es nicht erforderlich, dass eine endgültige Entscheidung ohne weitere Ermittlungen getroffen werden kann. Mit anderen Worten: Ob die Tatsachen, auf die ein Einsprechender seine Einspruchsbegründung stützt, bewiesen sind oder bewiesen werden können, ist eine Frage der materiellrechtlichen Prüfung und nicht der Zulässigkeit des Einspruchs.
Im Falle der Geltendmachung einer Vorbenutzung oder einer mündlichen Offenbarung vor dem Anmeldetag oder Prioritätstag sind Angaben zu den Tatsachen und Beweismitteln zu machen, die der Einspruchsabteilung die Feststellung erlauben,
a)wann die geltend gemachte Benutzung stattfand ("wann"),
b)was benutzt worden ist ("was")
c)und unter welchen Umständen ("wo, wie, durch wen") (G‑IV, 7.2 und G-IV, 7.3).
Sind bei Vorliegen mehrerer Einspruchsgründe die Tatsachen und Beweismittel für einen Einspruchsgrund ausreichend angegeben, so ist der Einspruch zulässig, auch wenn für die anderen Einspruchsgründe die Tatsachen und Beweismittel gegebenenfalls verspätet vorgebracht wurden. Derartige verspätete Tatsachen und Beweismittel werden in diesem Fall entsprechend E‑VI, 2 behandelt. Wegen der langen Einspruchsfrist (neun Monate) wird jedoch zur Straffung des Einspruchsverfahrens empfohlen, dass so bald wie möglich ein Exemplar der in der Einspruchsschrift angegebenen schriftlichen Beweismittel vorgelegt wird, idealerweise mit der Einspruchsschrift.
Andernfalls wird der Einsprechende, sofern sein Einspruch zulässig ist, aufgefordert, dies sobald wie möglich, in der Regel innerhalb einer Frist von zwei Monaten, nachzuholen. Werden die angeforderten Unterlagen weder beigefügt noch fristgerecht nachgereicht, so braucht die Einspruchsabteilung das darauf gestützte Vorbringen nicht zu berücksichtigen. (Zu verspätet vorgebrachten Tatsachen oder Beweismitteln sowie in einem fortgeschrittenen Stadium vorgebrachten Argumenten siehe E‑VI, 2).
Für die Frage der Zulässigkeit eines Einspruchs ist es unerheblich, ob und inwieweit die rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel auch tatsächlich den Widerruf des angegriffenen europäischen Patents oder seine Aufrechterhaltung in geändertem Umfang rechtfertigen. So kann ein nicht überzeugender Einspruchsgrund substanziiert worden sein (womit der Einspruch zulässig wäre), während andererseits ein mangelhaftes Vorbringen als unzulässig verworfen werden kann, das bei richtiger Formulierung hätte zum Erfolg führen können (siehe auch T 222/85).
Die Substanziierung der Einspruchsgründe ist also klar zu unterscheiden von der eigentlichen Beweiswürdigung, die Teil der Prüfung der sachlichen Begründetheit des Einspruchs ist. Vorbehaltlich der Zulässigkeit des Einspruchs ist diese Bewertung von der Einspruchsabteilung nach dem geltenden Maßstab bei der Beweiswürdigung vorzunehmen (G‑IV, 7.5.2).
vi)Der Einspruch lässt die Person, die Einspruch einlegt, nicht zweifelsfrei erkennen (Art. 99 (1) und Regel 76 (2) a)).