6. Sequenzprotokolle
Der Anmelder kann in der Anmeldung auf eine biologische Sequenz aus dem Stand der Technik Bezug nehmen, indem er lediglich eine entsprechende Zugangsnummer und die Versionsnummer oder die Nummer des Datenbankreleases für eine öffentlich zugängliche Datenbank angibt; die Sequenz selbst muss er dann weder in einem dem geltenden WIPO-Standard entsprechenden Sequenzprotokoll noch in irgendeinem anderen Format darstellen.
Da die Sequenz in diesem Fall bereits öffentlich zugänglich ist, muss der Anmelder kein Sequenzprotokoll vorlegen. Dies gilt auch dann, wenn in einem oder mehreren Ansprüchen auf diese Sequenzen Bezug genommen wird oder wenn sie wesentliche Merkmale der Erfindung sind oder für die Recherche zum Stand der Technik benötigt werden (siehe J 8/11). Sind in der europäischen Patentanmeldung Nucleotid- oder Aminosäuresequenzen offenbart, bei denen es sich um Fragmente oder Varianten einer zum Stand der Technik gehörenden Sequenz handelt, so ist für diese Sequenzfragmente oder -Varianten ein dem geltenden WIPO-Standard entsprechendes Sequenzprotokoll einzureichen (siehe Mitteilung des EPA vom 9. Dezember 2021, ABl. EPA 2021, A97, S. 7). Sind die betreffende Datenbank und/oder die Sequenzen nicht vollständig und eindeutig identifiziert, so sind die Sequenzen entgegen Art. 83 nicht ausreichend offenbart und können nicht zur Vervollständigung der Offenbarung in die Anmeldung aufgenommen werden, ohne gegen Art. 123 (2) zu verstoßen (siehe F‑III, 2).
Stellen solche nicht ausreichend offenbarten Sequenzen keine wesentlichen Merkmale der beanspruchten Erfindung dar, wird in der Regel kein Einwand erhoben. Stellen die Sequenzen aber wesentliche Merkmale zumindest eines Teils des beanspruchten Gegenstands dar, so ergeben sich daraus Probleme, was die ausreichende ursprüngliche Offenbarung nach Art. 83 betrifft, weil die Art der Sequenzen von der unvollständigen oder mehrdeutigen Bezugnahme auf die Datenbank nicht zweifelsfrei abgeleitet werden kann.
Fälle, in denen eine biologische Sequenz als wesentliches Merkmal der Erfindung anzusehen ist, wären beispielsweise ein Diagnoseverfahren, das eine bestimmte Nucleinsäuresequenz verwendet, oder ein Erzeugnis, das durch einen biochemischen Prozess hergestellt wird, bei dem ein Enzym mit einer bestimmten Aminosäuresequenz verwendet wird. Ein Beispiel für eine mehrdeutige Bezugnahme wäre der Verweis auf eine Zugangsnummer für ein bestimmtes Protein in der Datenbank des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (European Molecular Biology Laboratory, EMBL) ohne Angabe der Versionsnummer oder der Nummer des Datenbankreleases, wenn es mehrere solcher Nummern gibt, die sich auf verschiedene Sequenzen des Proteins beziehen.