5.5 Mikrobiologische Verfahren
Die im ersten Halbsatz des Art. 53 b) angegebene Ausnahme gilt, wie im zweiten Halbsatz ausdrücklich erwähnt, nicht für "mikrobiologische Verfahren oder deren Erzeugnisse".
Ein "mikrobiologisches Verfahren" ist jedes Verfahren, bei dem mikrobiologisches Material verwendet, ein Eingriff in mikrobiologisches Material durchgeführt oder mikrobiologisches Material hervorgebracht wird. Somit ist der Begriff "mikrobiologisches Verfahren" dahin gehend auszulegen, dass er nicht nur Verfahren umfasst, bei denen ein Eingriff in mikrobiologisches Material vorgenommen oder solches Material hervorgebracht wird, z. B. durch gentechnische Veränderungen, sondern auch Verfahren, die den Patentansprüchen zufolge mikrobiologische wie auch nicht mikrobiologische Verfahrensschritte umfassen.
Darüber hinaus kann das Erzeugnis eines mikrobiologischen Verfahrens als solches patentierbar sein (Erzeugnisanspruch). Art. 53 b) ist so auszulegen, dass die Vermehrung des Mikroorganismus selbst ein mikrobiologisches Verfahren darstellt. Als ein Erzeugnis dieses Verfahrens ist daher der Mikroorganismus als solcher dem Patentschutz zugänglich (siehe G‑II, 3.1). Unter den Begriff "Mikroorganismus" fallen Bakterien und andere für das bloße Auge nicht sichtbare, im Allgemeinen einzellige Organismen, die im Labor vermehrt und manipuliert werden können (siehe T 356/93), einschließlich Plasmiden und Viren, einzelliger Pilze (einschließlich Hefen), Algen, Protozoen sowie menschlicher, tierischer und pflanzlicher Zellen. Isolierte Pflanzen- oder Tierzellen oder In-vitro-Kulturen von Pflanzen- oder Tierzellen werden wie Mikroorganismen behandelt, da Zellen mit einzelligen Organismen vergleichbar sind (G 1/98, 5.2).
Andererseits können Erzeugnisansprüche für Pflanzensorten oder Tierrassen auch dann nicht zugelassen werden, wenn diese mittels eines mikrobiologischen Verfahrens gewonnen wurden (Regel 27 c)). Das Patentierungsverbot des Art. 53 b) erster Halbsatz gilt für Pflanzensorten unabhängig davon, auf welche Weise sie erzeugt wurden.
Pflanzenzellen oder -gewebe sind jedoch in der Regel totipotent und können wieder die gesamte Pflanze generieren. Selbst wenn Pflanzenzellen oder Zellkulturen also als Erzeugnis eines mikrobiologischen Verfahrens angesehen werden können, ist Pflanzenmaterial, das die ganze Pflanze hervorbringen kann, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, wenn die Pflanze, von der das Material stammt, ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren erzeugt wurde (G 3/19) (zur Bedeutung des Begriffs "ausschließlich" in Bezug auf beispielweise Nachkommen transgener Organismen oder Mutanten siehe G‑II, 5.4). Dieser Patentierbarkeitsausschluss gilt nicht für Patente, die vor dem 1. Juli 2017 erteilt wurden, oder für anhängige Patentanmeldungen mit einem Anmeldetag und/oder Prioritätstag vor dem 1. Juli 2017 (siehe G 3/19, XXIX).