5. Aufgabe-Lösungs-Ansatz
In der zweiten Phase wird die zu lösende technische Aufgabe objektiv bestimmt. Hierfür werden die Anmeldung (oder das Patent), der nächstliegende Stand der Technik und die zwischen der beanspruchten Erfindung und dem nächstliegenden Stand der Technik bestehenden Unterschiede in Bezug auf die (strukturellen oder funktionellen) Merkmale untersucht (die auch als Unterscheidungsmerkmal(e) der beanspruchten Erfindung bezeichnet werden), anschließend wird die aus diesen Unterscheidungsmerkmalen resultierende technische Wirkung bestimmt und dann die technische Aufgabe formuliert.
Merkmale, die offensichtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Merkmalen nicht zum technischen Charakter einer Erfindung beitragen, können das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht stützen (siehe T 641/00). Dieser Fall kann beispielsweise eintreten, wenn ein Merkmal ausschließlich zur Lösung einer nichttechnischen Aufgabe beiträgt, z. B. in einem von der Patentierbarkeit ausgenommenen Gebiet. Zur Behandlung von Ansprüchen, die technische und nichttechnische Merkmale aufweisen, siehe G‑VII, 5.4. Die Kriterien zur Feststellung, ob ein Merkmal, auch wenn es für sich allein nichttechnisch ist, zur Erzeugung einer technischen Wirkung im Rahmen der Erfindung beiträgt, sind in G‑II, 3 und Unterpunkten für unterschiedliche in Art. 52 (2) aufgezählte Gegenstände erläutert.
Im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes besteht die technische Aufgabe darin, über die Änderung oder Anpassung des nächstliegenden Stands der Technik die technischen Wirkungen zu erzielen, die die Erfindung über den nächstliegenden Stand der Technik mit sich bringt. Die so definierte technische Aufgabe wird oft als die "objektive technische Aufgabe" bezeichnet.
Die auf diese Weise abgeleitete objektive technische Aufgabe entspricht möglicherweise nicht dem, was der Anmelder in seiner Anmeldung als "die Aufgabe" dargestellt hat. Letztere muss unter Umständen neu formuliert werden, da die objektive technische Aufgabe auf objektiv festgestellten Sachverhalten beruht, die sich insbesondere aus dem im Laufe des Verfahrens ermittelten Stand der Technik ergeben, der sich von dem dem Anmelder zum Zeitpunkt der Patentanmeldung bekannten unterscheiden kann. Insbesondere aufgrund des im Recherchenbericht angeführten Stands der Technik kann die Erfindung in ein völlig anderes Licht gerückt werden als beim Lesen der Anmeldungsunterlagen allein. Eine Neuformulierung kann dazu führen, dass die objektive technische Aufgabe weniger anspruchsvoll abgefasst ist als ursprünglich in der Anmeldung beabsichtigt. Ein Beispiel dafür wäre ein Fall, in dem die ursprünglich genannte Aufgabe in der Bereitstellung eines Erzeugnisses oder eines Verfahrens besteht, das zu einer Verbesserung führen soll, aber keine Beweise dafür vorliegen, dass der beanspruchte Gegenstand dadurch gegenüber dem bei der Recherche ermittelten nächstliegenden Stand der Technik verbessert wird; vielmehr liegen nur Nachweise auf einen entfernteren Stand der Technik (oder möglicherweise überhaupt keine Nachweise) vor. In einem solchen Fall muss die Aufgabe dahin gehend umformuliert werden, dass sie auf die Bereitstellung eines alternativen Erzeugnisses oder Verfahrens gerichtet ist. Anschließend ist zu prüfen, ob die beanspruchte Lösung im Hinblick auf die neu formulierte Aufgabe im Lichte des angeführten Stands der Technik naheliegend ist (siehe T 87/08).
Inwieweit eine solche Neuformulierung der technischen Aufgabe möglich ist, muss entsprechend dem Sachverhalt im Einzelfall beurteilt werden. Grundsätzlich kann jede Wirkung der Erfindung als Grundlage für die Neuformulierung der technischen Aufgabe verwendet werden, sofern die entsprechende Wirkung aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableitbar ist (siehe T 386/89). Es können auch neue Wirkungen herangezogen werden, über die der Anmelder erst im Verfahren berichtet, sofern der Fachmann ausgehend vom allgemeinen Fachwissen am wirksamen Anmeldetag und auf der Grundlage der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung schlussfolgern würde, dass diese Wirkung von der technischen Lehre umfasst und von derselben ursprünglich offenbarten Erfindung verkörpert wird für den Fachmann erkennbar ist, dass diese Wirkungen in der ursprünglich gestellten Aufgabe impliziert sind oder mit ihr im Zusammenhang stehen (siehe G‑VII, 11 und G 2/21 T 184/82).
Hinzuweisen ist darauf, dass die objektive technische Aufgabe einer Erfindung so zu formulieren ist, dass sie keine technischen Lösungsansätze enthält, denn das Einbeziehen eines Teils eines technischen Lösungsgedankens aus der Erfindung in die Aufgabe muss bei der Bewertung des Stands der Technik unter dem Aspekt dieser Aufgabe zwangsläufig zu einer retrospektiven Betrachtungsweise der erfinderischen Tätigkeit führen (siehe T 229/85). Wenn der Anspruch jedoch auf eine Zielsetzung auf einem nichttechnischen Gebiet verweist, darf diese Zielsetzung bei der Formulierung der Aufgabe als Teil der Rahmenbedingungen für die zu lösende technische Aufgabe aufgegriffen werden, insbesondere als eine zwingend zu erfüllende Vorgabe (siehe G‑VII, 5.4 und G-VII, 5.4.1).
Der Begriff "technische Aufgabe" wird weit ausgelegt; er impliziert nicht notwendigerweise, dass die technische Lösung eine Verbesserung des Stands der Technik bringt. So könnte die Aufgabe einfach darin bestehen, nach einer Alternative zu einer bekannten Vorrichtung oder einem bekannten Verfahren zu suchen, das die gleichen oder ähnliche Wirkungen hat oder kostengünstiger ist. Die technische Aufgabe kann nur dann als gelöst gelten, wenn glaubhaft ist, dass praktisch alle beanspruchten Ausführungsformen die technischen Wirkungen aufweisen, auf denen die Erfindung beruht. Die Kriterien für die Beurteilung, ob die mangelnde Wiederholbarkeit der beanspruchten Erfindung nach Art. 56 oder Art. 83 zu behandeln ist, sind in F‑III, 12 ausgeführt.
Manchmal muss die objektive technische Aufgabe als Aneinanderreihung verschiedener "Teilaufgaben" gesehen werden. Das ist der Fall, wenn alle Unterscheidungsmerkmale in Kombination miteinander keine technische Wirkung erzielen, sondern vielmehr eine Reihe von Teilaufgaben unabhängig voneinander durch verschiedene Gruppen von Unterscheidungsmerkmalen gelöst werden (siehe G‑VII, 6 und T 389/86).