3.5 Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten
Nach Art. 52 (2) c) und Art. 52 (3) sind Pläne, Regeln und Verfahren für Spiele von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, wenn sie als solche beansprucht werden. Das Patentierungsverbot gilt für Regeln von traditionellen Spielen wie Karten- oder Brettspielen sowie für Spielregeln, die modernen Spielformen wie Spielautomaten oder Videospielen zugrunde liegen.
Spielregeln definieren einen konzeptuellen Rahmen von Konventionen und Bedingungen, die das Spielerverhalten und die Entwicklung eines Spiels in Abhängigkeit von Entscheidungen und Handlungen der Spieler bestimmen. Sie umfassen den Spielaufbau, im Spielverlauf entstehende Optionen sowie Ziele, die den Spielfortschritt definieren. Sie werden von den Spielern normalerweise als Regeln wahrgenommen (denen auch zugestimmt wird), die explizit dem Zweck dienen, das Spiel durchzuführen. Spielregeln sind daher abstrakter, rein gedanklicher Art und nur im Spielkontext von Bedeutung (T 336/07). Eine Spielregel ist zum Beispiel die Bedingung, dass zwei zufällig gezogene Nummern übereinstimmen müssen, damit das Spiel gewonnen ist.
Moderne Spiele und insbesondere Videospiele sind oft durch komplexe interaktive und narrative Elemente einer virtuellen Spielwelt gekennzeichnet. Solche Spieleelemente bestimmen, wie das Spiel von sich aus (z. B. durch sich entwickelnde Figuren und Handlungsstränge) und wie es in der Interaktion mit den Spielern weitergeht (z. B. zum Spielsoundtrack klopfen, um die Figur bei übereinstimmendem Rhythmus zum Tanzen zu bringen). Da diese Elemente konzeptioneller Art sind, können sie im weiteren Sinne als Spielregeln im Sinne von Art. 52 (2) c) betrachtet werden (T 12/08). Dies gilt unabhängig von der Tatsache, dass sie nur während des Spiels zurückgenommen bzw. offenbart werden können.
Wenn der beanspruchte Gegenstand technische Mittel zur Umsetzung von Spielregeln spezifiziert, hat er technischen Charakter. So ist beispielsweise bei der Umsetzung der oben genannten Bedingung, dass zufällig gezogene Nummern übereinstimmen müssen, die Verwendung eines Computers, der eine pseudozufällige Sequenz berechnet, oder von mechanischen Mitteln wie Würfeln oder in gleichförmige Sektoren aufgeteilten Walzen ausreichend, um einen Einwand nach Art. 52 (2) c) und Art. 52 (3) auszuräumen.
Bei einem Anspruch, der eine Mischung aus Spielregeln und technischen Merkmalen enthält, wird die erfinderische Tätigkeit nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz für Mischerfindungen geprüft, wie in G‑VII, 5.4 erläutert ist. Grundsätzlich kann die erfinderische Tätigkeit nicht durch die Spielregeln selbst – egal wie originell sie sind – oder durch ihre bloße Automatisierung begründet werden. Sie muss vielmehr auf weitere technische Wirkungen einer technischen Umsetzung des Spiels gestützt sein, d. h. auf technische Wirkungen, die über die in den Regeln enthaltenen Wirkungen hinausgehen. So leistet zum Beispiel die vernetzte Umsetzung eines Glücksspiels wie Bingo, bei dem von einem Bediener physisch gezogene Zahlen nach dem Zufallsprinzip zugeordnet werden, bevor sie an Remote-Spieler weitergeleitet werden, einen technischen Beitrag, weil das Mischen der Ergebnisse die technische Wirkung hat, eine Datenübertragung analog zur Verschlüsselung sicherzustellen, die sich aber nicht auf die eigentliche Durchführung des Spiels auswirkt. Hingegen stellt eine Reduzierung von Speicher-, Netzwerk- oder Computerressourcen durch Begrenzung der Komplexität eines Spiels keine Überwindung von technischen Beschränkungen durch eine technische Lösung dar. Anstatt die technische Aufgabe zu lösen, die Umsetzung effizienter zu machen, würde eine solche Beschränkung die Aufgabe im besten Fall umgehen (G‑VII, 5.4.1). Ähnlich ist auch der kommerzielle Erfolg eines Spielerzeugnisses, der aus vereinfachten Regeln resultiert, eine Begleiterscheinung ohne unmittelbare technische Ursache.
Die erfinderische Tätigkeit einer Umsetzung ist aus der Perspektive des Fachmanns zu beurteilen, im Regelfall eines Ingenieurs oder eines Spieleprogrammierers, dessen Aufgabe darin besteht, Spielregeln umzusetzen, die er von einem Spieledesigner erhalten hat. Eine bloße Formulierung von Ansprüchen wie die Paraphrasierung nichttechnischer Spieleelemente ("Gewinnberechnungsmittel" zur Überwachung der Zahl von Spielmarken) oder ihre Abstrahierung ("Gegenstände" anstelle von "Spielmarken") unter Verwendung von Begriffen, die nur an der Oberfläche technisch sind, hat keine Auswirkung auf die erfinderische Tätigkeit.
Spielregeln werden oft so konzipiert, dass sie unterhalten und das Interesse der Spieler wachhalten, und zwar durch psychologische Effekte wie Belustigung, Spannung oder Überraschung. Solche Effekte zählen nicht als technische Effekte. Ähnlich liegen einem ausgewogenen, fairen oder anderweitig lohnenden Spiel keine technischen, sondern psychologische Effekte zugrunde. Regeln und entsprechende Berechnungen, die einen Spielstand oder die Geschicklichkeitsstufe eines Spielers bestimmen, gelten daher – auch wenn sie rechnerisch komplex sind – im Allgemeinen als nichttechnisch.
Stark interaktive Spiele wie Videospiele beinhalten technische Mittel zum Erfassen von Nutzer-Input, zur Aktualisierung des Spielstands und zur Ausgabe von visuellen, auditiven oder haptischen Informationen. Merkmale, die eine solche Präsentation von Informationen und Nutzeroberflächen definieren, werden gemäß G‑II, 3.7 und 3.7.1 beurteilt. Kognitive Inhalte, die den Spieler über den aktuellen Spielstatus auf nichttechnischer Ebene informieren, z. B. über einen Spielstand, die Anordnung und Kartenfarbe beim Kartenspielen, den Status und die Attribute einer Spielfigur werden als nichttechnische Information betrachtet. Dies gilt auch für Anweisungen auf Spielbrettern oder Karten wie "Zurück zum Anfang". Ein Beispiel für einen technischen Kontext, in dem die Art der Präsentation von Informationen einen technischen Beitrag leisten kann, ist die interaktive Kontrolle von Echtzeitmanövern in einer Spielewelt, deren Anzeige unterschiedlichen technischen Anforderungen unterliegt (T 928/03).
Abgesehen von Regeln kann sich der Stand einer Spielwelt auch im Einklang mit numerischen Daten und Gleichungen entwickeln, die physikalische Grundprinzipien oder pseudophysisches Verhalten modellieren, insbesondere in Videospielen. Die systematische Berechnung von Aktualisierungen solcher Spielstände entspricht einer computerimplementierten Simulation auf Grundlage dieser Modelle (G 1/19). Für die Zwecke der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in diesem Zusammenhang sind die Modelle so zu verstehen, dass sie eine bestimmte Vorgabe für eine entsprechende Implementierung auf einem Computer definieren (G‑VII, 5.4). Im Gegensatz zu Effekten, die der virtuellen Spielwelt innewohnen oder auf andere Weise dem Modell bereits inhärent sind, erzeugt eine spezifische Implementierung einer Simulation, die an die interne Funktionsweise eines Computersystems angepasst ist, eine technische Wirkung. So löst die bloße Vorhersage der virtuellen Bahn einer von einem Spieler gestoßenen Billardkugel, selbst wenn sie äußerst genau ist, nicht eine technische Aufgabe über ihre Implementierung hinaus. Die auf den aktuellen Netzwerklatenzen beruhende Anpassung der Schrittweiten, die in der verteilten Simulation von in einem Multiplayer-Online-Spiel abgefeuerten Kugeln verwendet werden, erzeugt dagegen eine technische Wirkung.
Merkmale, die angeben, wie Nutzer-Input geliefert wird, leisten in der Regel einen technischen Beitrag (G‑II, 3.7.1). Die Zuordnung von Parametern, die aus bekannten Inputmechanismen stammen, zu den Parametern eines Computerspiels gilt jedoch als Spielregel im weiteren Sinne, wenn sie die Entscheidung des Spieledesigners widerspiegelt, um das Spiel zu definieren oder es interessanter oder schwieriger zu machen (z. B. eine Bedingung, wonach eine Wischbewegung auf einem Touchscreen sowohl die Stärke als auch die Drehung eines virtuellen Golfschlags bestimmt).