7.2 Feststellungen der Abteilung über die Vorbenutzung
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass etwas der Öffentlichkeit durch Benutzung oder in sonstiger Weise nicht zugänglich gemacht ist, wenn eine Geheimhaltung ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart und nicht gebrochen worden ist.
Um festzustellen, ob eine stillschweigende Vereinbarung besteht, muss die Abteilung die besonderen Umstände des Falls prüfen, insbesondere wenn mindestens eine der an der Vorbenutzung beteiligten Parteien ein objektiv erkennbares Interesse an der Aufrechterhaltung der Geheimhaltung hat. Wenn nur einige der Parteien ein solches Interesse hatten, ist festzustellen, ob die übrigen Parteien implizit akzeptiert haben, entsprechend zu handeln. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn von den übrigen Parteien Geheimhaltung gemäß der üblichen Geschäftspraxis in dem betreffenden Industriezweig erwartet werden konnte. Wichtige Aspekte für die Feststellung, ob eine stillschweigende Vereinbarung vorliegt, sind unter anderem das Geschäftsverhältnis zwischen den Parteien sowie der genaue Gegenstand der Vorbenutzung. Mögliche Hinweise auf eine stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung sind das Verhältnis Mutter- und Tochtergesellschaft, ein Treue- und Vertrauensverhältnis, ein Joint Venture oder die Lieferung von Testexemplaren. Hinweise auf das Fehlen einer solchen Vereinbarung sind dagegen ein normales Geschäftsverhältnis oder der Verkauf von Teilen für die Serienproduktion.
Generell findet der allgemeine Grundsatz des "Abwägens der Wahrscheinlichkeit" Anwendung. Wenn allerdings praktisch alle Beweismittel der Verfügungsmacht der Partei unterliegen, die die Beweislast trägt, müssen die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Behauptet z. B. ein Einsprechender, dass ein Gegenstand ohne ausdrücklich oder stillschweigend vereinbarte Geheimhaltung öffentlich zugänglich gemacht wurde, muss er begründen und, falls Zweifel angemeldet werden, auch überzeugend belegen, welche Umstände auf die öffentliche Zugänglichkeit hinweisen (z. B. normaler Verkauf an einen Kunden, gelieferte Teile für die Serienproduktion). Der Inhaber kann dies anfechten, indem er Widersprüche und Lücken in der Beweiskette aufdeckt oder indem er Tatsachen belegt, die auf eine Geheimhaltung hinweisen (z. B. gemeinsame Entwicklung, Testexemplare). Wenn diese Elemente zu begründeten Zweifeln an der öffentlichen Zugänglichkeit führen, wurde keine öffentliche Vorbenutzung festgestellt.
Zum Sonderfall der unschädlichen, auf einem offensichtlichen Missbrauch zum Nachteil des Anmelders beruhenden Offenbarung siehe G‑IV, 7.3.2 und G‑V.