4. Würdigung von Beweismitteln
Die zuständige Abteilung ist befugt und verpflichtet, zu prüfen, ob die behaupteten Tatsachen hinreichend nachgewiesen sind. Für die Verfahren nach dem EPÜ gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Das bedeutet, dass eine zuständige Abteilung unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Parteien nach eigenem Ermessen und eigener Überzeugung entscheiden darf und somit auch muss. Es gibt keine festen Regeln, nach denen bestimmten Beweismitteln eine bestimmte Überzeugungskraft beigemessen oder abgesprochen wird. Dies bedeutet nicht, dass die Beweiswürdigung willkürlich sein darf; die Beweismittel sind vielmehr umfassend und strikt zu beurteilen. Der einzig entscheidende Faktor ist, ob die Abteilung vom Wahrheitsgehalt der Tatsachenbehauptung überzeugt ist, d. h. für wie glaubhaft sie ein Beweismittel einstuft. Dafür muss sie alle Argumente für und gegen eine Tatsachenbehauptung im Verhältnis zum geforderten Beweismaß abwägen. Sie bleibt dabei an die Gesetze der Logik und die auf Erfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit gebunden. Die Abteilung legt in der Entscheidung die Gründe dar, die zu ihren Schlussfolgerungen geführt haben (G 2/21).
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung kann nicht dazu herangezogen werden, Beweismittel per se nicht zu berücksichtigen, sofern ein Beteiligter sie in zulässiger Weise vorgelegt hat und sich zur Stützung einer angefochtenen Schlussfolgerung darauf beruft und sie für die abschließende Entscheidung entscheidend sind, beispielsweise um das Vorhandensein einer technischen Wirkung nachzuweisen. Solche Beweismittel grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen, würde dem Beteiligten grundlegende verfahrensrechtliche Ansprüche vorenthalten, die in Art. 113 (1) und Art. 117 (1) verankert sind. So ist die bloße Tatsache, dass ein Beweismittel nachveröffentlicht ist, kein hinreichender Grund, es unberücksichtigt zu lassen.
Das zuständige Organ hat die von den Beteiligten aus den Beweismitteln und Tatsachen gezogenen Schlüsse auf ihre Richtigkeit zu prüfen und die seinerseits unter Berücksichtigung der Gesamtsituation aus freier Überzeugung gezogenen Schlüsse in der Entscheidung zu begründen.
Welcher Stand der Technik im Einzelnen im Rahmen des Art. 54 zu berücksichtigen ist, geht aus G‑IV, 1 bis G-IV, 5 und G-IV, 7 sowie aus G‑V hervor.
Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, brauchen nur in den in E‑VI, 2 gesetzten Grenzen berücksichtigt zu werden.