4.2 Disclaimer, die in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbart sind
Zu prüfen ist, ob der nach Aufnahme des Disclaimers im Patentanspruch verbleibende Gegenstand dem Fachmann, der am Anmeldetag (oder am Prioritätstag gemäß Art. 89) allgemeines Fachwissen heranzieht, in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unmittelbar und eindeutig offenbart wird, sei es implizit oder explizit, siehe G 2/10, Leitsatz 1a.
Die Prüfung ist dieselbe, mit der auch die Zulässigkeit einer Anspruchsbeschränkung durch ein positiv definiertes Merkmal geprüft wird (siehe H‑V, 3.2).
Wenn es also zu bestimmen gilt, ob der Anspruch nach der Aufnahme des Disclaimers gegen Art. 123 (2) verstößt oder die Erfordernisse dieses Artikels erfüllt, so kann dies nicht allein durch die Feststellung entschieden werden, dass der beanspruchte Gegenstand in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart war.
Ob der Fachmann neue Informationen erhält, hängt davon ab, wie er den geänderten Anspruch, d. h. den im geänderten Anspruch verbleibenden Gegenstand verstehen würde und ob er unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens diesen Gegenstand als zumindest implizit in der Anmeldung offenbart ansehen würde.
Tatsächlich erforderlich ist dagegen eine Beurteilung aller technischen Umstände des jeweiligen Einzelfalls, bei der es Art und Umfang der Offenbarung in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung, Art und Umfang des ausgeklammerten Gegenstands sowie dessen Verhältnis zu dem nach der Änderung im Anspruch verbleibenden Gegenstand zu berücksichtigen gilt.
In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die Ausklammerung eines Gegenstands durch einen Disclaimer z. B. dazu führen könnte, dass Verbindungen oder Unterklassen von Verbindungen oder andere sogenannte Zwischenverallgemeinerungen, die in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung weder speziell erwähnt noch implizit offenbart sind, ausgegrenzt werden (siehe G 2/10).
Ob die Erfindung für den beanspruchten Gegenstand funktioniert und welche Aufgabe damit glaubhaft gelöst wird, ist für die Beurteilung, ob dieser Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht relevant (siehe T 2130/11).