2.2. Formanforderungen an den Einspruch und fristgerechte Einlegung
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T 1000/19 × View decision
An error in a duly filed form for paying the opposition fee may be corrected under Rule 139, first sentence, EPC (points 4.1 to 4.6 of the reasons).
T 2037/18 × View decision
1. Nach den im Rahmen des EPÜ geltenden Regeln zur Darlegungs- und Beweislast hat jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, 'negativa non sunt probanda' (siehe Punkte 4 und 8).
2. Dementsprechend ist die Übergabe eines vorbenutzten Gegenstandes an einen Käufer durch den Einsprechenden vorzutragen und zu beweisen, die etwaige Bindung des Empfängers durch eine Geheimhaltungsvereinbarung (=Vertraulichkeitsabrede) vom Patentinhaber (siehe Punkt 8).
3. Der Vortrag des Patentinhabers kann zwar ggfs. zur Entstehung einer sekundären Darlegungs- und Beweislast des Einsprechenden führen, dies jedoch nur 'ex nunc' und damit ohne Auswirkung auf das Substantiierungserfordernis im Rahmen der Einspruchsschrift gemäß Regel 76 (2) c), 3. Punkt EPÜ (siehe Punkte 10 bis 13).
4. Es besteht keine aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern bekannte Vermutung, wonach zwischen Herstellern von Schienenfahrzeugen und Bahnbetreibergesellschaften bezüglich ausgelieferter und abgenommener Fahrzeuge in der Regel Vertraulichkeit vereinbart ist (siehe Punkt 17).
T 858/18 × View decision
If a facsimile transmission of a document within the meaning of Rule 50(3) EPC begins on an earlier date and extends beyond midnight to a later date, the entire document is accorded the later date as single date of receipt. There is no legal basis for according the earlier date as date of receipt to the part of the document arriving at the EPO before midnight (see in particular point 6 and for the term "document" point 4 and for the "date of receipt" point 5 of the reasons). Deviating from decisions T 2061/12 and T 2317/13 (see points 7.3 and 7.4 of the reasons).
In T 1000/19 hatten die Vertreter des Einsprechenden in ihrem Begleitschreiben zur Einspruchsschrift (die zwei Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht wurde) erwähnt, dass sie die zuständige Abteilung des EPA ermächtigten, die Einspruchsgebühr von ihrem laufenden Konto abzubuchen. Allerdings hatten sie versäumt, im Feld X des elektronischen EPA-Formblatts 2300E die Zahlungsmethode anzugeben. Die Einspruchsabteilung befand, dass der Einspruch als nicht eingelegt galt (Art. 99 (1) EPÜ). Die Kammer merkte zunächst an, dass es höchst fraglich ist, ob die Rechtsprechung (z. B. T 1265/10, T 152/82, ABl. 1987, 191 und T 806/99), wonach unter bestimmten Umständen die Absicht der Gebührenzahlung per Abbuchungsauftrag auch bei einem mangelhaften Abbuchungsauftrag als wirksame Zahlung betrachtet werden kann, nach der seit 1. Dezember 2017 geltenden Fassung der VLK weiterhin Anwendung findet. Allerdings musste im vorliegenden Fall weder diese Rechtsfrage noch die Frage, ob der Grundsatz des Vertrauensschutzes Anwendung findet, geklärt werden, weil die Kammer der Auffassung war, dass R. 139 EPÜ anwendbar war und die darin genannten Erfordernisse erfüllt waren. Die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass R. 139 EPÜ keine zeitliche Beschränkung kenne und deshalb nicht auf die nicht verlängerbare Frist für die Einlegung eines Einspruchs angewandt werden könne, wurde von der Kammer als juristisch falsch zurückgewiesen. Die Kammer verwies auf G 1/12 (ABl. 2014, A114), in der die Große Beschwerdekammer befunden hatte, dass das Verfahren für die Berichtigung von Mängeln nach R. 139 Satz 1 EPÜ im Falle einer fehlerhaften Angabe des Namens des Beschwerdeführers in einer Beschwerdeschrift greift. Wie die Kammer feststellte, ist die Frage, ob eine Beschwerdeschrift Namen und Anschrift des Beschwerdeführers enthält, untrennbar mit der Frage verbunden, ob die Beschwerde wirksam innerhalb der Frist nach Art. 108 Satz 1 EPÜ eingelegt worden ist. Es steht außer Zweifel, dass der Grundgedanke von G 1/12 auch greift, wenn es um die Zulässigkeit eines Einspruchs oder die Frage geht, ob ein Einspruch als eingelegt gilt (T 615/14, T 579/16). Die Kammer sah außerdem keinen Grund, warum die Argumentationslinien aus G 1/12 zur Anwendbarkeit der R. 139 EPÜ nicht ebenso für die Berichtigung eines fehlerhaft ausgefüllten Zahlungsformblatts gelten sollen (s. T 317/19). Die Anwendbarkeit der R. 139 EPÜ auf Abbuchungsaufträge war von den Beschwerdekammern bejaht oder zumindest nicht ausgeschlossen worden (T 152/82, T 17/83 vom 20. September 1983). Die Kammer stellte unter Verweis auf T 152/85 fest, dass R. 139 EPÜ nur für einen Fehler in einer Unterlage, nicht aber für einen Fehler durch Unterlassung einer Handlung gilt. Im vorliegenden Fall hatte der Einsprechende das EPA-Formblatt 2300E und damit eine Unterlage im Sinne der R. 139 Satz 1 EPÜ eingereicht; der Fehler in der Unterlage bestand darin, dass die Zahlungsmethode nicht aktiviert war. Die Kammer war auch überzeugt, dass die in G 1/12 genannten Erfordernisse für Berichtigungen nach R. 139 Satz 1 EPÜ erfüllt waren.
In T 623/18 warnte die Kammer vor einem zu strengen Ansatz. Sie betonte den Zweck der Erklärung nach R. 76 (1) und (2) c) EPÜ wie in G 9/91 und G 10/91 (ABl. EPA 1993, 408 und 420) erläutert, nämlich zum einen das Ausmaß und den Umfang des Einspruchs sowie den rechtlichen und faktischen Rahmen zu definieren, innerhalb dessen die materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs grundsätzlich durchzuführen ist, und zum anderen dem Patentinhaber eine gute Gelegenheit zu bieten, seine Lage schon in einer frühen Verfahrensphase beurteilen zu können. Die Kammer sah keine Grundlage dafür, die Zulässigkeit des Einspruchs von der Bewertung sachlicher Fragen abhängig zu machen, und zwar insbesondere der Frage, ob ein Einwand lediglich mangelnde Klarheit betrifft oder den Einspruchsgrund nach Art. 100 b) EPÜ stützt. Eine Frage der Sachprüfung sei ferner auch die Definition des Fachmanns, für den die Erfindung gemäß Art. 100 b) EPÜ ausreichend deutlich und vollständig beschrieben sein muss und in Bezug auf den nach Art. 100 a) EPÜ in Verbindung mit Art. 56 EPÜ beurteilt werden muss, ob sie vom Stand der Technik nahegelegt wird.
In T 2037/18 hatte die Einspruchsabteilung den auf eine Vorbenutzung gestützten Einspruch wegen mangelnder Substantiierung als unzulässig verworfen. Sie begründete dies damit, dass Angaben fehlten, um die im Zeitraum rund um die Übergabe/Abnahme von Zügen in der Hersteller-Kunden-Beziehung implizit vorausgesetzte Vertraulichkeit zu widerlegen. Die Kammer teilte diese Auffassung nicht. Sie legte zunächst dar, dass nach den im Rahmen des EPÜ geltenden Regeln zur Darlegungs- und Beweislast jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen hat (T 219/83, T 270/90). Die Kammer erläuterte, dass der Verkauf eines gebrauchsfertigen Gegenstands an einen Dritten der typische Fall der öffentlichen Zugänglichmachung ist (T 482/89), da der Dritte in der Regel daran interessiert ist, über den Gegenstand frei zu verfügen. Beim Verkauf eines Gegenstands an einen Kunden werden daher der Gegenstand und die an ihm erkennbaren technischen Merkmale öffentlich zugänglich, wenn er an den Käufer übergeben wird (positive Tatsache), es sei denn, der Käufer wäre durch eine Geheimhaltungsverpflichtung gebunden (negative Tatsache). Dementsprechend ist die Übergabe an einen Käufer durch den Einsprechenden vorzutragen und zu beweisen (T 326/93), die etwaige Bindung des Empfängers durch eine Geheimhaltungsvereinbarung aber vom Patentinhaber (T 221/91, T 969/90), wie dies auch durch den in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (R 15/11, R 4/17) anerkannten Grundsatz "negativa non sunt probanda" zum Ausdruck kommt. Die Kammer stellte weiterhin fest, dass die Darlegungs- und Beweislast wechseln kann, dass der Wechsel der Beweislast jedoch erst durch den prima facie geführten Beweis oder den Vortrag eines eine tatsächliche Vermutung tragenden typischen Geschehensablaufs durch die primär beweisbelastete Partei ausgelöst wird (T 570/08). Der Vortrag des Patentinhabers kann daher zwar ggf. zur Entstehung einer sekundären Darlegungs- und Beweislast des Einsprechenden führen, dies jedoch nur "ex nunc" und damit ohne Auswirkung auf das Substantiierungserfordernis im Rahmen der Einspruchsschrift gemäß R. 76 (2) c), drittes Kriterium EPÜ. Nach Auffassung der Kammer konnte es im vorliegenden Fall dahinstehen, ob der Fall anders zu beurteilen wäre, wenn die Einsprechende selbst im Einspruch Umstände geschildert hätte, die eine der in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern anerkannten Vermutungen für die Existenz einer Vertraulichkeitsabrede begründen, da eine vergleichbare Konstellation vorliegend nicht gegeben war. Insbesondere bestand keine aus der Rechtsprechung der Kammern bekannte Vermutung, wonach zwischen Herstellern von Schienenfahrzeugen und Bahnbetreibergesellschaften bezüglich ausgelieferter und abgenommener Fahrzeuge in der Regel Vertraulichkeit vereinbart sei.
In T 16/14 hatte der Einsprechende (Beschwerdeführer) zur Substantiierung des Einspruchsgrunds nach Art. 100 a) EPÜ einen Autorenabzug eines Artikels aus einer Fachzeitschrift eingereicht. Die Einspruchsabteilung hatte eine mangelnde Substantiierung mit der Begründung angenommen, eine Veröffentlichung dieses einzigen angeführten Dokuments E1 sei nicht nachgewiesen worden. Der Beschwerdegegner machte geltend, zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung sei nicht bekannt gewesen, dass es sich bei E1 um einen Autorenabzug handele. Die Beschwerdekammer wies diese Argumentation zurück. Eine etwaige inhaltliche Diskrepanz zwischen dem eingereichten Autorenabzug und dem tatsächlich veröffentlichten Artikel wäre ohne Weiteres überprüfbar gewesen, da die Bezeichnung der Veröffentlichungsstelle des Dokuments E1 jedenfalls dergestalt war, dass eine Überprüfung ohne unzumutbaren Aufwand möglich war. Überdies hat der Beschwerdeführer bereits in der Einspruchsschrift die Vorlage des tatsächlich veröffentlichten Artikels angeboten und diesen Beweis auch angetreten (E1a). Die Kammer stellte ferner fest, dass das Dokument E1/E1a vor dem Prioritätstag (31. Oktober 2006) des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war. Die Kammer kam daher zu dem Schluss, dass der Einspruchsgrund nach Art. 100 a) EPÜ im Ergebnis ausreichend substantiiert vorgetragen wurde.
2.2. Formanforderungen an den Einspruch und fristgerechte Einlegung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
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