2. Zulässige Beweismittel
2.1. Keine abschließende Aufzählung der zulässigen Beweismittel
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Art. 117 (1) EPÜ enthält keine abschließende Aufzählung der zulässigen Beweismittel, sondern nennt lediglich Beispiele. Die Verfahrensbeteiligten sind daher in der Wahl ihrer Beweismittel frei. In Verfahren vor dem EPA ist jede Art von Beweis zulässig.
Das EPÜ sieht nicht vor, dass bestimmte Tatsachenfragen nur mit Hilfe bestimmter Beweismittel nachgewiesen werden können. Tatsachenfragen sind auf der Grundlage aller verfügbaren glaubwürdigen Informationen zu klären (s. z. B. J 11/88, ABl. 1989, 433).
In diesem Zusammenhang ist klar zwischen der Zulässigkeit von Beweismitteln und ihrer Beweiskraft zu unterscheiden: Bei der Zulässigkeit geht es darum, ob ein Beweismittel überhaupt in Betracht zu ziehen ist, bei der Beweiskraft hingegen darum, ob das zu berücksichtigende Beweismittel die behaupteten Tatsachen hinreichend beweist (s. unter anderem T 1698/08 zur Unterscheidung zwischen der Zulässigkeit von Beweismitteln und der Beweiskraft eines Dokuments sowie T 1363/14 und T 838/92 zum Thema Zeugen). Die angebliche Befangenheit eines Zeugen macht seine Vernehmung an sich noch nicht unzulässig, sondern ist vielmehr im Rahmen der Beweiswürdigung zu prüfen (T 838/92). S. auch IV.C.2.2.8 "Angabe von Tatsachen und Beweismitteln – Substantiierung der Einspruchsgründe" sowie die darin angeführte Rechtsprechung, z. B. T 234/86 (ABl. 1989, 79), wonach die Beweiswürdigung Teil der Prüfung der sachlichen Begründetheit des Einspruchs ist (vgl. T 353/06, T 1194/07). Das Prinzip der freien Beweiswürdigung ist erst nach Erhebung der Beweismittel anwendbar und kann nicht zur Rechtfertigung verwendet werden, angebotene Beweise nicht zu erheben. Im Übrigen verlangt keine Vorschrift des EPÜ, dass das zu einer behaupteten Vorbenutzung gemachte Vorbringen innerhalb der Einspruchsfrist bereits bewiesen sein muss, damit die Vorbenutzung substantiiert wird (T 1363/14, T 2238/15).
In T 1710/12 befand die Kammer, dass die in Verfahren vor dem EPA zulässigen Beweismittel in Art. 117 (1) EPÜ in keiner Rangfolge aufgeführt sind und es der freien Wahl eines Beteiligten überlassen bleibt, einen Zeugen vernehmen (Art. 117 (1) d) EPÜ) oder eine schriftliche Erklärung unter Eid abgeben zu lassen (Art. 117 (1) g) EPÜ). Vergleiche T 918/11 und weiter unten T 2565/11 zur fehlenden Rangfolge zwischen Zeugenaussagen und Dokumenten als Beweismittel sowie T 441/04 (worin es allerdings zuvor heißt, dass die Beweisführung durch Vorlage von Dokumenten im Vergleich zu Zeugenaussagen über lange zurückliegende Vorgänge in der Regel vorzugswürdiger sein dürfte). Vergleiche jedoch T 329/02.
In T 885/02 stellte die Kammer fest, dass das Gutachten eines Sachverständigen aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt die Sichtweise des Fachmanns wiedergibt. Diese Sachverständigen, bei denen es sich im betreffenden Fall um hervorragende Wissenschaftler handelte, verfügen über eigene Erfahrungen, die nicht zwangsläufig mit dem allgemeinen Fachwissen identisch sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die entsprechenden Erklärungen keine Beachtung finden sollten.