VII. Institutionelle Fragen
3. Verwaltungsvereinbarungen nach Artikel 10 (2) a) EPÜ
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Gemäß Art. 10 (1) EPÜ obliegt die Leitung des Europäischen Patentamts dem Präsidenten, der dem Verwaltungsrat gegenüber für die Tätigkeit des Amts verantwortlich ist. Zu diesem Zweck ermächtigt und verpflichtet Art. 10 (2) a) EPÜ den Präsidenten dazu, "alle für die Tätigkeit des Europäischen Patentamts zweckmäßigen Maßnahmen" zu treffen.
Am 29. Juni 1981 hatten die Präsidenten des Deutschen Patentamts (DPA) und des EPA eine Verwaltungsvereinbarung über den Zugang von Schriftstücken und Zahlungsmitteln geschlossen (ABl. 1981, 381). Die Große Beschwerdekammer prüfte in G 5/88, G 7/88 und G 8/88 (ABl. 1991, 137) die Wirksamkeit dieser Verwaltungsvereinbarung. Sie hat vorrangig das Ziel und den Zweck, eine Regelung herbeizuführen, bei der Schriftstücke, die an das EPA gerichtet sind, aber versehentlich dem Deutschen Patentamt zugehen (und umgekehrt), in dem falschen Amt mit dem Eingangsdatum versehen und von dem Amt, an das sie gerichtet sind, entsprechend behandelt werden sollen.
Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass sich der Umfang der dem Präsidenten in Art. 10 (2) a) EPÜ erteilten Befugnis "alle für die Tätigkeit des Europäischen Patentamts zweckmäßigen Maßnahmen" zu treffen, nicht genau definieren lässt. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, wie weit eine besondere Maßnahme für die Tätigkeit des EPA zweckmäßig ist. Soweit die Vereinbarung die Frage der irrtümlichen Zustellung von Schriftstücken in München (beim EPA oder beim Deutschen Patentamt) betrifft, ließe sich durchaus die Auffassung vertreten, dass die Schließung der Vereinbarung eine Maßnahme war, die getroffen werden musste, um ungerechtfertigte Rechtsverluste der Beteiligten zu verhindern, und die somit für die ordnungsgemäße Tätigkeit des EPA zweckmäßig war. Für die Dienststelle Berlin des EPA habe es jedoch bis zum 1. Juli 989 keine Grundlage für eine derartige Vereinbarung gegeben. Denn vor diesem Zeitpunkt war in der Dienststelle Berlin des EPA weder eine Annahmestelle noch ein Einwurfkasten eingerichtet. Insoweit, als Schriftstücke und Zahlungen betroffen gewesen seien, die über die Dienststelle Berlin des DPA an das EPA gelangt seien, sei die Verwaltungsvereinbarung unwirksam gewesen. Die Große Beschwerdekammer wandte aber zugunsten des Einsprechenden, der im Vertrauen auf die im Amtsblatt veröffentlichte Vereinbarung einen Einspruch gegen ein europäisches Patent über die Dienststelle Berlin des DPA eingereicht hatte, den Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Benutzer des EPA an.
In T 485/89 (ABl. 1993, 214) hielt die Beschwerdekammer einen Einspruch, der am letzten Tag der Einspruchsfrist per Telekopie beim DPA in München eingereicht und am nächsten Tag an das EPA weitergeleitet worden war, für zulässig; die Einspruchsgebühr war bereits einige Tage zuvor entrichtet worden. An das EPA gerichtete Einsprüche, die fristgerecht per Telekopie beim DPA in München eingereicht würden, fielen rechtsgültig unter die Verwaltungsvereinbarung vom 29.6.1981 und sollten vom EPA, ob nun falsch zugestellt oder nicht, so behandelt werden, als seien sie unmittelbar bei ihm eingegangen.
Nach Gesprächen zwischen dem Präsidenten des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA, vormals DPA) und dem Präsidenten des Europäischen Patentamts sind die beiden Ämter übereingekommen, im Interesse der Rechtssicherheit die Verwaltungsvereinbarung vom 29. Juni 1981 über den Zugang von Schriftstücken und Zahlungsmitteln mit Wirkung vom 1. September 2005 nicht mehr anzuwenden (ABl. 2005, 444).