3. Nächstliegender Stand der Technik
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3.2. Gleicher Zweck bzw. dieselbe Wirkung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach der ständigen Rechtsprechung kommt es bei der Wahl des nächstliegenden Stands der Technik vor allem darauf an, dass seine Lösung auf den gleichen Zweck bzw. dieselbe Wirkung gerichtet ist wie die Erfindung; andernfalls kann er den Fachmann nicht in naheliegender Weise zu der beanspruchten Erfindung hinführen.
In T 606/89 wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass der nächstliegende Stand der Technik, anhand dessen die erfinderische Tätigkeit objektiv festgestellt werden könne, im Allgemeinen derjenige sei, der sich auf einen ähnlichen Zweck beziehe, weil er die wenigsten strukturellen und funktionellen Änderungen erforderlich mache (s. auch T 574/88, T 606/89, T 686/91, T 834/91, T 482/92, T 59/96, T 650/01, T 1747/12). In T 273/92 bestätigte die Beschwerdekammer diese ständige Rechtsprechung, wonach sich ein Dokument in Bezug auf eine Erfindung nicht aufgrund der bloßen Ähnlichkeit in der stofflichen Zusammensetzung der Produkte als nächster Stand der Technik qualifizieren könne; vielmehr müsse auch deren Eignung für den erfindungsgemäß angestrebten Zweck beschrieben sein (s. auch T 327/92). Laut T 506/95 ist nächstliegender Stand der Technik derjenige, der für den erfindungsgemäß angestrebten Zweck am geeignetsten ist und nicht nur äußerlich strukturelle Ähnlichkeiten aufweist. Im Idealfall sollte dieser Zweck schon im Dokument des Stands der Technik als anzustrebendes Ziel erwähnt sein (T 298/93, T 859/03). Dahinter steht die Absicht, der Beurteilung eine Ausgangssituation zugrunde zu legen, die sich der vom Erfinder vorgefundenen Ausgangssituation annähert. Es gilt den realitätsbezogenen Umständen Rechnung zu tragen. Sollte sich die Wahl des nächstliegenden Stands der Technik nicht als eindeutig erweisen, wäre der Aufgabe-Lösungs-Ansatz mit den alternativ in Frage kommenden Ausgangspunkten zu wiederholen (T 710/97, T 903/04, T 2123/14).
In T 2255/10 erklärte die Kammer mit Verweis auf T 482/92 Folgendes: Bei der Bestimmung des nächstliegenden Stands der Technik sollte der Zweck der Erfindung nicht ausgehend von einer subjektiven Auswahl unter den möglicherweise in der Beschreibung genannten Zweckangaben definiert werden, ohne auf die Erfindung, so wie sie in den Ansprüchen gekennzeichnet ist, Bezug zu nehmen. Zu fragen ist vielmehr, was sich durch die in den Ansprüchen definierte Erfindung im Lichte der Anmeldung als Ganzem erreichen lässt. Aus diesem Grund sind Zweckangaben in Verbindung mit den Ansprüchen zu lesen. Die bloße Aufnahme einer solchen Zweckangabe in die Beschreibung berechtigt den Anmelder nicht, sich gegen jeden Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu verwehren, der sich auf ein nicht mit diesem Zweck zusammenhängendes Dokument stützt, wenn nicht glaubhaft ist, dass die Erfindung, so wie sie in den Ansprüchen definiert ist, den angegebenen Zweck tatsächlich erfüllt.
In T 53/08 stellte die Kammer fest, dass die Offenbarung der beiden Dokumente (1) und (10) sich jeweils nur durch ein einziges Merkmal vom Streitpatent unterschied. Bei der Beurteilung, welches der Dokumente (1) bzw. (10) als nächstliegender Stand der Technik anzusehen war, berücksichtigte sie die Zielrichtung des Patents, welches darin bestand, den hochwirksamen herbiziden Wirkstoff der Formel (A1) so weiterzuentwickeln, dass er in herbizid wirksamer Konzentration Kulturpflanzen nicht nennenswert schädigte. Der natürliche Ausgangspunkt für die Erfindung war daher das Dokument, das den Wirkstoff der Formel (A1) offenbarte.
In T 2571/12 befand die Kammer, dass bei Ansprüchen auf medizinische Verwendungen der nächstliegende Stand der Technik in der Regel ein Dokument ist, in dem dieselbe therapeutische Indikation offenbart ist.