4. Beweiswürdigung
Übersicht
T 116/18 × View decision
The following questions are referred to the Enlarged Board of Appeal for decision. If for acknowledgement of inventive step the patent proprietor relies on a technical effect and has submitted evidence, such as experimental data, to prove such an effect, this evidence not having been public before the filing date of the patent in suit and having been filed after that date (post-published evidence): 1. Should an exception to the principle of free evaluation of evidence (see e.g. G 3/97, Reasons 5, and G 1/12, Reasons 31) be accepted in that post-published evidence must be disregarded on the ground that the proof of the effect rests exclusively on the post-published evidence? 2. If the answer is yes (the post-published evidence must be disregarded if the proof of the effect rests exclusively on this evidence), can the post-published evidence be taken into consideration if, based on the information in the patent application in suit or the common general knowledge, the skilled person at the filing date of the patent application in suit would have considered the effect plausible (ab initio plausibility)? 3. If the answer to the first question is yes (the post-published evidence must be disregarded if the proof of the effect rests exclusively on this evidence), can the post-published evidence be taken into consideration if, based on the information in the patent application in suit or the common general knowledge, the skilled person at the filing date of the patent application in suit would have seen no reason to consider the effect implausible (ab initio implausibility)?
T 1418/17 × View decision
1. Hinsichtlich der von der Einspruchsabteilung vorgenommenen Feststellung der relevanten Fakten ist zu berücksichtigen, dass vor dem Europäischen Patentamt anerkanntermaßen der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt, was auch Auswirkungen auf die Überprüfung im Beschwerdeverfahren haben muss.
2. Soweit kein Rechtsanwendungsfehler vorliegt (etwa ein falscher Beweismaßstab angewandt wurde), sollte eine Beschwerdekammer daher die Beweiswürdigung eines erstinstanzlichen Spruchkörpers nur aufheben und durch ihre eigene ersetzen, wenn diese erkennbar (i) wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat, oder (ii) sachfremde Erwägungen mit einbezogen hat oder (iii) einen Verstoß gegen die Denkgesetze, etwa logische Fehler und Widersprüche in der Begründung, erkennen lässt.
T 1604/16 × View decision
The boards have competence to review appealed decisions in full, including points of law and fact. This applies also to findings of fact of the department of first instance which are based, at least in part, on the evaluation of witness evidence obtained in the course of hearing a witness (reasons, point 3.1 and sub-points).
In T 1418/17 hatte die Einspruchsabteilung die Vorbenutzung durch Ausstellung und Vorführung der Maschine "UWS 500" als Stand der Technik (Art. 54 (2) EPÜ) als ausreichend bewiesen betrachtet, aber den Verkauf an verschiedene Kunden dieser Maschine als nicht offenkundig angesehen. Die Kammer stellte fest, dass alle relevanten Argumente der Parteien hinsichtlich beider Vorbenutzungen (Verkauf/Ausstellung) bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht und berücksichtigt worden waren. Hinsichtlich der von der Einspruchsabteilung vorgenommenen Feststellung der relevanten Fakten sei zu berücksichtigen, dass vor dem EPA anerkanntermaßen der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt (G 3/97, ABl. 1999, 245; G 1/12, ABl. 2014, A114), was auch Auswirkungen auf die Überprüfung im Beschwerdeverfahren haben muss (T 1107/12, T 621/14). Soweit kein Rechtsanwendungsfehler vorliegt (wie etwa ein falscher Beweismaßstab), sollte eine Beschwerdekammer daher die Beweiswürdigung eines erstinstanzlichen Spruchkörpers nur aufheben und durch ihre eigene ersetzen, wenn diese erkennbar (i) wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat (T 1553/07) oder (ii) sachfremde Erwägungen mit einbezogen hat (T 2565/11) oder (iii) einen Verstoß gegen die Denkgesetze, etwa logische Fehler und Widersprüche in der Begründung, erkennen lässt (T 2565/11). Nichts von dem war vorliegend erkennbar. Die Kammer erachtete die Entscheidung der ersten Instanz hinsichtlich der Frage der Offenkundigkeit der vorgebrachten Vorbenutzungen vielmehr als rechts- und logikfehlerfrei, sodass die Beweiswürdigung der Einspruchsabteilung nicht zu beanstanden war. Hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer offenkundigen Vorbenutzung durch die Verkäufe der "UWS 500"-Maschine an verschiedene Kunden sowie durch ihre Ausstellung und Vorführung auf Messen vor dem Prioritätstag des Streitpatents schloss sich die Kammer somit den Feststellungen der Einspruchsabteilung und der Begründung der angefochtenen Entscheidung an und hielt es für sachdienlich, die Gründe für ihre Entscheidung hinsichtlich dieser Punkte (offenkundige Vorbenutzungen) in gekürzter Form nach Art. 15 (8) VOBK 2020 abzufassen. Anders als die Einspruchsabteilung war die Kammer jedoch der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 9 des Hauptantrags von der vorgebrachten offenkundigen Vorbenutzung durch Ausstellung und Vorführung der "UWS 500"-Maschine auf Messen neuheitsschädlich getroffen war. Der Hauptantrag war somit nicht gewährbar. Bislang haben zwei Entscheidungen auf T 1418/17 Bezug genommen. In T 1057/15 wurde auf die im zweiten Orientierungssatz von T 1418/17 angeführten Grundsätze verwiesen und die Beweis- und Tatsachenwürdigung der Einspruchsabteilung in der vorliegenden Sache bestätigt. In der noch jüngeren Entscheidung T 1604/16 wich die Kammer von T 1418/17 ab und vertrat die Auffassung, dass die Kammern befugt seien, die angefochtene Entscheidung vollständig zu überprüfen – auch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (siehe unten). In T 1604/16 betraf die Erfindung eine faltbare Rampe zum Verladen eines Rollstuhls in ein Fahrzeug. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass eine Vorbenutzung der Erfindung vorlag und dass insbesondere eine solche Rampe an dem Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war, an dem der (frühere) Einsprechende das in den Fotografien in E1/1 abgebildete Fahrzeug mit einer solchen Rampe an Frau M. ausgeliefert hatte, wie durch die Rechnung E1 belegt. Aus E1 geht hervor, dass der (frühere) Einsprechende vor dem Prioritätstag ein Fahrzeug mit einer Taxirampe an Frau M. verkauft und ausgeliefert hatte. Die Fotografien in E1/1, auf denen das Fahrzeug von Frau M. abgebildet ist, waren vom (früheren) Einsprechenden nach dem Anmeldetag und nach der Beschädigung des Fahrzeugs bei einem Unfall und seiner Reparatur aufgenommen worden. Entscheidend war also, ob die auf den Fotografien abgebildete Rampe dieselbe war wie die, die beim Kauf des Fahrzeugs an Frau M. ausgeliefert worden war. Dazu wurde auch Frau M. als Zeugin gehört. Ausgehend von E1, E1/1 und der Zeugenaussage hatte die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung getroffen. Die der Kammer vorgelegten Beweismittel umfassten somit die Unterlagen E1, E1/1 und die Niederschrift über die Zeugeneinvernahme in der ersten Instanz. Da die Kammer die Zeugin nicht selbst vernommen hatte, sondern sich lediglich auf die Niederschrift ihrer Anhörung stützen konnte, stellte sich die Frage, ob dies ihre Befugnis zur Überprüfung und Aufhebung der Tatsachenfeststellung der Einspruchsabteilung beschränke. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin stand außer Frage (siehe dazu im Allgemeinen T 474/04), und die in der Niederschrift wiedergegebenen Fragen und Antworten ließen weder Lücken noch Fragen offen, zu deren Klärung die Kammer die Zeugin hätte hinzuziehen müssen. Nach Auffassung der Kammer hat der Grundsatz der freien Beweiswürdigung keine unmittelbare Auswirkung auf den Umfang ihrer Befugnis, Entscheidungen im Allgemeinen und Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz im Besonderen zu überprüfen. Würden die in T 1418/17 aufgestellten Kriterien so breit angewendet, so würde dies die Befugnisse der Kammern signifikant einschränken. Die Kammer verwies auf die Erläuterungen zu Art. 12 (2) VOBK 2020, wonach die Kammern befugt sind, die angefochtene Entscheidung vollständig zu überprüfen, so auch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie war sich sehr wohl dessen bewusst, dass es Rechtsprechung gibt, die die Befugnis der Kammern zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen einschränkt, doch erachtete sie die Beweiswürdigung nicht als eine Ermessensentscheidung. Die Kammer sah keinen Grund, warum sie ihre Überprüfung der Tatsachenfeststellungen der Einspruchsabteilung bezüglich der offenkundigen Vorbenutzung durch eine Anwendung der in T 1418/17 aufgestellten Kriterien beschränken sollte. Im vorliegenden Fall gingen sämtliche Beweismittel allein auf den (früheren) Einsprechenden zurück, der das Fahrzeug verkauft, die Reparaturen ausgeführt und die als E1/1 vorgelegten Fotografien aufgenommen hatte. Insbesondere bezüglich der Fotografien merkte die Kammer an, dass die Versicherung des Unfallgegners zumindest unmittelbar nach dem Unfall Fotografien des Fahrzeugs von Frau M. hätte haben müssen, sich aber keine solchen Fotografien in der Akte befänden. In Anbetracht dessen und da weiterhin gewisse Zweifel bestanden, die sich aus dem Inhalt der Niederschrift ergaben, befand die Kammer, dass die vorgelegten Beweismittel unzureichend waren und die Einspruchsabteilung somit fälschlicherweise entschieden habe, dass die in E1/1 abgebildete Rampe zum Stand der Technik gehöre. Siehe auch Kapitel V.A.1.1 "Vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens (Artikel 12 (2) VOBK 2020)".
4. Beweiswürdigung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
- T 734/18
- T 116/18
- T 1418/17
- T 1604/16
- Rechtsprechung 2021
- Rechtsprechung 2020