1.1. Allgemeines
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Art. 128 EPÜ regelt die Einsichtnahme in europäische Patentanmeldungen. Die ersten beiden Absätze von Art. 128 EPÜ sowie Absatz 5 regeln die Einsichtnahme in Akten vor der Veröffentlichung einer Patentanmeldung (Art. 93 EPÜ). Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gilt der Grundsatz der Geheimhaltung einer Patentanmeldung, sodass es sich bei diesen Absätzen um Ausnahmeregelungen handelt. So kann nach Art. 128 (1) EPÜ Akteneinsicht dann gewährt werden, wenn der Anmelder zustimmt, oder nach Art. 128 (2) EPÜ, wenn der Anmelder selbst sich auf diese Anmeldung beruft. Absätze Art. 128 (3) EPÜ und Art. 128 (4) EPÜ des Art. 128 EPÜ regeln dagegen die Akteneinsicht nach dem Zeitpunkt der Veröffentlichung (s. dieses Kapitel III.M.1.2.).
Nach J 5/81 (ABl. 1982, 155) wird als Endzeitpunkt der vertraulichen Behandlung die Veröffentlichung der Anmeldung nach Art. 128 EPÜ festgelegt und nicht der Ablauf der in Art. 93 (1) EPÜ genannten 18 Monate. Wer nachweist, dass der Anmelder sich ihm gegenüber auf seine europäische Patentanmeldung berufen hat, kann nach Art. 128 (2) EPÜ vor der Veröffentlichung dieser Anmeldung und ohne Zustimmung des Anmelders Akteneinsicht verlangen.
Nach J 14/91 (ABl. 1993, 479) liegt eine Berufung auf eine Patentanmeldung gemäß Art. 128 (2) EPÜ vor, wenn sich die Berufung nach ihrem Wortlaut auf eine Erstanmeldung in einem Vertragsstaat bezieht, aber die europäische Nachanmeldung gleichzeitig erwähnt ist. Besteht zwischen dem Anmelder und einem Dritten Streit über dessen Berechtigung zur Akteneinsicht nach Art. 128 (2) EPÜ, so wird über diesen Streit zweckmäßigerweise in einer kurzfristig anberaumten mündlichen Verhandlung entschieden.
In J 27/87 bestätigte die Kammer die Entscheidung der Eingangsstelle auf Zurückweisung des Antrags nach Art. 128 (2) EPÜ, weil es keinen Beweis dafür gab, dass die Anmelder sich gegenüber den Beschwerdeführern auf ihre Rechte aus der Anmeldung berufen hatten. Die Korrespondenzauszüge, in denen der Vertreter der Anmelder behauptete, dass seine Mandanten eine neue Technologie entwickelt hätten, und die Patentanmeldung erwähnte, wurden nicht als ausreichendes Beweismaterial angesehen.
Im Verfahren T 1101/99 lehnte ein Formalsachbearbeiter den Antrag auf Akteneinsicht im Namen der Einspruchsabteilung ab. Die Kammer erklärte hierzu, dass mit der Formulierung "Gewährung der Akteneinsicht" in der Mitteilung des Vizepräsidenten der GD 2 über die Wahrnehmung einzelner den Einspruchsabteilungen des EPA obliegender Geschäfte durch Formalsachbearbeiter (Mitteilung vom 28.4.1999, ABl. 1999, 504, Nr. 13) offenbar nur positive Entscheidungen gemeint seien, während in der angefochtenen Entscheidung die Akteneinsicht verweigert wurde. Nach Ansicht der Kammer gab es keinen Grund, die Vorschriften zur Übertragung von Geschäften weiter auszulegen als im tatsächlichen Wortlaut beabsichtigt und sie auch auf die Ablehnung von Anträgen auf Akteneinsicht auszudehnen.