5. Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung
T 54/17 × View decision
1. Wenn eine Beschwerde vor der Beschwerdekamme anhängig ist, hat die Rechtsabteilung keine ausschließliche Zuständigkeit für die Frage der Unterbrechung des Verfahrens (siehe 1.4 der Entscheidungsgründe).
2. Setzt ein Patentinhaber in Kenntnis der Unterbrechungs-voraussetzungen, die ausschließlich in seiner Sphäre liegen, nach dem Wegfall der Unterbrechungsvoraussetzungen das Verfahren über Jahre uneingeschränkt fort, ohne sich darauf zu berufen, so erscheint es unbillig die Unterbrechung zu einem so späten Zeitpunkt geltend zu machen, mit der Folge, dass das bis dahin erfolgte Verfahren, an dem er bis dato aktiv mitgewirkt hat, zu wiederholen wäre. Dies widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben (siehe 1.5 der Entscheidungs-gründe).
3. Wird die Lösung eines technischen Problems mithilfe eines neu formulierten und damit unüblichen Parameters definiert, so trifft den Patentinhaber eine besondere Pflicht, sämtliche Informationen zu offenbaren. Das beanspruchte "Betriebsereignis" und das beanspruchte "Reaktionsmuster" sind als solche "unüblichen Parameter" zu verstehen. Zwar haben sie einen gewissen Sinn in der deutschen Sprache, aber nicht ohne Weiteres einen technischen Sinn im Rahmen der Steuerung eines Prozessorssystems. Der Beitrag der Erfindung ist nur eine sehr allgemeine Idee, nämlich Umgebungsparameter in einem Überwachungs- und Steuerungsprozess zu berücksichtigen. Die Beschreibung enthält kein Ausführungsbeispiel, das diese Idee erläutern und darstellen würde. Weiterhin ist es nicht möglich diese Idee hinsichtlich der Parameter "Betriebsereignis" und "Reaktionsmuster" durch die Offenbarung der Beschreibung zu abstrahieren. (siehe Entscheidungsgründe 3.7, 3.8 and 3.13).
T 1845/14 × View decision
In case of an unclear parameter defined in a claim whose values required in the claim are indicated in the specification to be essential to solving the problem underlying the patent at issue, the ability of the skilled person to solve that problem by reproducing what is claimed is not a suitable criterion for assessing sufficiency of disclosure when the problem or an effect derivable from it are not explicitly or implicitly part of the definition of the claimed subject-matter (point 9.8 of the Reasons).
Die Entscheidung T 1845/14 betraf die Frage, ob die unbestrittene Mehrdeutigkeit zweier Parametermerkmale (SCBD und CDBI) in Anspruch 1 eine unzureichende Offenbarung zur Folge hat, wie von den Einsprechenden (Beschwerdegegnern) behauptet. Die Kammer analysierte die beiden Parameter eingehend und schloss, dass der Fachmann geeignete Messverfahren zur Feststellung der SCBD und des CDBI benötigte, um die Erfindung ausführen zu können. Entsprechende Verfahren waren dem Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents zugänglich (ungeachtet der Mehrdeutigkeit hinsichtlich der Definition des CDBI). Eine andere Argumentation der Beschwerdegegner betraf die Befähigung des Fachmanns, die dem Patent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen. Die Kammer analysierte den entsprechenden Beitrag der Entscheidungen T 593/09, T 815/07 und T 172/99 und nahm zudem Bezug auf die Entscheidung Kirin-Amgen Inc v. Hoechst Marion Roussel Ltd [2004] UKHL 46 des britischen House of Lords (Absatz 126), auf T 608/07 und im Zusammenhang damit auf die Entscheidung Zipher Ltd v. Markem Systems Ltd [2008] EWHC 1379 des High Court of England and Wales (in denen drei Arten von Einwänden beschrieben wurden: unzureichende Offenbarung im klassischen Sinn, unzureichende Offenbarung im Sinne der Biogen-Entscheidung (vgl. T 1727/12) und unzureichende Offenbarung aufgrund von Mehrdeutigkeit). Sie kam zu dem Schluss, dass all diesen Entscheidungen über einen mehrdeutig definierten Parameter in einem Anspruch eine Definition des Begriffs "Erfindung" zugrunde lag, die nicht auf die Kombination der im betreffenden Anspruch begrifflich definierten Merkmale gerichtet war, sondern vielmehr auf die erfinderische Idee, die der Erfinder im Sinn hatte und die den Patentinhaber bewogen hatte, für den beanspruchten Gegenstand Schutz zu begehren. In den Entscheidungen T 593/09, T 815/07 und insbesondere T 172/99 wurde für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung dasselbe Kriterium verwendet, nämlich die Befähigung des Fachmanns, bei der Nacharbeitung des beanspruchten Gegenstands die dem strittigen Patent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen, die zwar in der Beschreibung erwähnt, aber nicht als Teil des beanspruchten Gegenstands definiert wird. Die Kammer in T 1845/14 sah dagegen die Befähigung des Fachmanns, die dem angefochtenen Patent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen, indem er versucht, die Erfindung auszuführen, nicht als geeignetes Kriterium für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung, wenn die Aufgabe nicht als Teil des beanspruchten Gegenstands definiert ist. Die Kammer sah keinen Grund, dem Begriff "Erfindung" in Zusammenhang mit ausreichender Offenbarung eine andere Bedeutung beizumessen. So gebe es keinen Grund, die Erfindung auf der Grundlage einer laut Patent mit dem beanspruchten Gegenstand zu erzielenden Wirkung zu definieren oder auf der Grundlage spezifischer Bedingungen für die Messung eines Parameters, wenn der Anspruchswortlaut dies nicht erfordere. Dadurch würde nämlich die ausreichende Offenbarung auf der Grundlage einer beschränkten Auslegung des Anspruchs beurteilt. Bei der Beurteilung anderer Patentierbarkeitserfordernisse wie Neuheit und erfinderische Tätigkeit sei dies nicht der Fall, und es sei nicht ersichtlich, warum die ausreichende Offenbarung auf einer anderen Grundlage beurteilt werden sollte. Es gebe also keinen Grund, die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung darauf zu stützen, ob herausgefunden werden kann, welche Definition ein beanspruchter Parameter oder welche Bedingungen dessen Messung erfordere bzw. der Patentinhaber bei der Abfassung des Patents im Sinn gehabt habe, wenn diese Definition bzw. diese Bedingungen zur tatsächlichen Lösung der dem Patent zugrunde liegenden Aufgabe für erforderlich gehalten würden, aber weder die Aufgabe selbst noch eine daraus ableitbare Wirkung in den Ansprüchen definiert sei. Die Erfindung werde durch die in den Ansprüchen verwendeten Begriffe definiert, denen in ihrem Kontext die breiteste technisch sinnvolle Bedeutung zuzuweisen sei. Diese Position wird auch durch G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) (nichtfunktionsfähige Ausführungsformen) gestützt. Da die Bedeutung des Begriffs "Erfindung" durch G 2/98 (ABl. EPA 2001, 413) und G 1/03 gestützt werde, sei eine Vorlage nicht erforderlich. Die Kammer schloss, dass bei einem unklaren Parameter, der in einem Anspruch definiert wird und dessen anspruchsgemäßen Werte laut Beschreibung für die Lösung der dem strittigen Patent zugrunde liegenden Aufgabe wesentlich sind, die Befähigung des Fachmanns, diese Aufgabe zu lösen, indem er den beanspruchten Gegenstand nacharbeitet, kein angemessenes Kriterium für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung ist, wenn die Aufgabe oder eine daraus ableitbare Wirkung weder explizit noch implizit Teil der Definition des beanspruchten Gegenstands ist. Diese Schlussfolgerung bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Mehrdeutigkeit des CDBI lediglich die Klarheit betrifft.
In T 54/17 wurde auf die gängige Rechtsprechung verwiesen, dass bzgl. Art. 100 b) EPÜ zwei Bedingungen erfüllt sein müssen. Zum einem muss der Fachmann der Patentschrift zumindest einen Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung entnehmen können, zum anderen muss er die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ausführen können. In Bezug auf die erste Bedingung stimmte die Kammer dem Beschwerdegegner (Einsprechenden) zu, dass die Beschreibung kein Ausführungsbeispiel für die vom Beschwerdeführer als "zentral" bezeichnete Idee gab, nämlich Betriebsparameter einzelner Komponenten und gleichzeitig Umgebungsparameter zu erfassen und aus diesen Messwerten auf Betriebsereignisse zu schließen. Selbst wenn sich der Fachmann ein Ausführungsbeispiel vorstellen könnte, würde dies nicht ausreichen, um die zweite Bedingung zu erfüllen, nämlich dass die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sein muss. Die Beschreibung war sehr allgemein gefasst, indem von der Abschaltung einer stark überhitzten Komponente gesprochen wurde, nicht aber, wie entschieden werden sollte, dass die andere, benachbarte Komponente nicht auch abgeschaltet wird. Die Kammer stellte hierzu fest, dass diese (zweite) Bedingung eine besondere Bedeutung habe, vor allem wenn der Anspruch unübliche Parameter enthalte. Die Kammer verwies auf die in T 172/99 aufgelisteten Bedingungen. Wird die Lösung eines technischen Problems mithilfe eines neu formulierten und damit unüblichen Parameters definiert, so trifft den Patentinhaber eine besondere Pflicht, sämtliche Informationen zu offenbaren. Im vorliegenden Fall waren nach Meinung der Kammer das beanspruchte "Betriebsereignis" und das beanspruchte "Reaktionsmuster" als eben solche "unüblichen Parameter" zu verstehen. Zwar haben sie einen gewissen Sinn in der deutschen Sprache, aber nicht ohne Weiteres einen technischen Sinn im Rahmen der Steuerung eines Prozessorssystems. Der Beitrag dieser Erfindung war nach Ansicht der Kammer nur eine sehr allgemeine Idee, nämlich Umgebungsparameter in einem Überwachungs- und Steuerungsprozess zu berücksichtigen. Die Beschreibung enthielt kein Ausführungsbeispiel, das diese Idee erläutern und darstellen würde. Weiterhin war es nicht möglich diese Idee hinsichtlich der Parameter "Betriebsereignis" und "Reaktionsmuster" durch die Offenbarung der Beschreibung zu abstrahieren. Daher war die Kammer der Meinung, dass ein Fachmann die Erfindung nicht ausführen konnte (s. auch zur Unterbrechung des Verfahrens Kapitel III.D.2.).
5.5. Parameter
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Wird ein wesentliches Merkmal der Erfindung durch Parameter ausgedrückt, stellt sich die Frage, ob der Parameter so definiert ist, dass es dem Fachmann möglich ist, anhand der Offenbarung in ihrer Gesamtheit und mithilfe seines allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand die technischen Maßnahmen zu identifizieren, die zum beanspruchten Gegenstand führen (T 61/14).
Beschränkt sich die Offenbarung eines Streitpatents auf Erzeugnisse, die, wenn sie anhand des erfindungsgemäßen Verfahrens hergestellt werden, durch unterscheidungskräftige Parameter gekennzeichnet sind, so schließt ein Anspruch, der diese Parameter nicht von vornherein nennt, auch solche Ausführungsformen ein, die sich nicht durch das offenbarte Verfahren herstellen lassen. Eine solche Offenbarung eines einzigen Wegs für die Ausführung der Erfindung kann nur dann als ausreichend gelten, wenn sie den Fachmann in die Lage versetzt, die Erfindung im gesamten Bereich des Anspruchs auszuführen (T 517/98). In T 172/99 traf die Kammer folgende Entscheidung: Wird die Lösung eines technischen Problems, mit der sich eine relevante Wirkung erzielen lässt, für einen beanspruchten Gegenstand mithilfe eines neu formulierten und damit unüblichen Parameters definiert, so trifft den Patentinhaber eine besondere Pflicht, sämtliche Informationen zu offenbaren, die erforderlich sind, um den neuen Parameter zuverlässig nicht nur i) formal korrekt und vollständig zu definieren, sodass der Fachmann seine Werte ohne unzumutbaren Aufwand ermitteln kann, sondern auch ii) so, dass seine Gültigkeit für die Lösung des technischen Problems der Anmeldung bzw. des Patents insgesamt zuverlässig gewährleistet bleibt; die routinemäßig ermittelten Werte dürfen also nicht so ausfallen, dass unter den beanspruchten Gegenstand auch Varianten fallen, die die relevante Wirkung nicht herbeiführen und das entsprechende technische Problem somit nicht lösen können (in zahlreichen Entscheidungen bestätigt; s. z. B. T 914/01, T 179/05 und T 75/09).
In T 815/07 wies die Kammer darauf hin, dass der in einem Anspruch enthaltene Parameter dazu diene, ein wesentliches technisches Merkmal der Erfindung zu definieren. Seine Bedeutung bestehe darin, dass das Vorhandensein des technischen Merkmals zur Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden technischen Aufgabe beitrage. Mit dem angegebenen Verfahren zur Bestimmung des Parameters müssten sich daher gleichbleibende Werte erzielen lassen, sodass der Fachmann bei Ausführung der Erfindung erkennen könne, ob das, was er erhalte, die Aufgabe löse oder nicht. Diese Entscheidung wurde in T 120/08 und T 593/09 zitiert. Entscheidend ist laut der zuletzt genannten Entscheidung, ob der Parameter so ungenau definiert ist, dass es dem Fachmann nicht möglich ist, die zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe erforderlichen technischen Maßnahmen (z. B. Wahl geeigneter Verbindungen) anhand der Offenbarung als Ganzes und mit Hilfe seines allgemeinen Fachwissens (ohne unzumutbaren Aufwand) zu identifizieren (s. auch dieses Kapitel II.C.8.2. "Artikel 83 EPÜ und Klarheit der Ansprüche").
In T 147/12 zielte der Einwand des Beschwerdeführers (Einsprechenden) nicht darauf ab, dass es kein Verfahren zur Bestimmung des Alkalimetallgehalts in Polyethern gab. Vielmehr argumentierte der Beschwerdeführer unter Verweis auf D7 (wissenschaftliche Veröffentlichung), D8 (Studie) und D11 (vom Einsprechenden vorgelegter Versuchsbericht), dass der ermittelte Wert für den Alkalimetallgehalt in dem Polyether vom jeweils verwendeten Analyseverfahren abhänge. Die Kammer stellte fest: Selbst wenn die Messbedingungen – wie vom Beschwerdeführer behauptet – zu Variationen im gemessenen Alkalimetallgehalt führten, bedeute dies alleine noch keine unzureichende Offenbarung des beanspruchten Gegenstands insgesamt, da nicht gezeigt worden sei, dass die Ungewissheit bezüglich des Alkalimetallgehalts das beanspruchte Verfahren in solchem Umfang beeinflusse, dass der Fachmann, der das Verfahren durchführen wolle, mit einem unzumutbaren Aufwand konfrontiert sei. Der Beschwerdeführer habe gezeigt, dass der Fachmann aufgrund der Ungewissheit bezüglich des Messverfahrens für den Alkalimetallgehalt nicht feststellen könne, ob der von ihm ermittelte Wert innerhalb oder außerhalb des beanspruchten Bereichs liege. Allerdings wurde nicht gezeigt, dass der Fachmann infolge dieser Ungewissheit grundsätzlich daran gehindert würde, einen Polyether gemäß Anspruch 1 herzustellen. Die Kammer erklärte, dass T 83/01 (Fachmann nicht in der Lage, den beanspruchten Parameter zu messen) und T 815/07 (in Anspruch 1 definiertes Testverfahren, das völlig willkürliche Werte ergab) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind.
Dass kein unmittelbares, eigenständiges Verfahren speziell zur Bestimmung des Parameters beschrieben wird, ist jedoch dem ausreichenden Charakter der Beschreibung an sich nicht abträglich, wenn die Ansprüche nicht auf ein Verfahren zur Bestimmung des Parameters gerichtet sind (T 256/87, betrifft Art. 83 und 84 EPÜ, Einhaltung der geänderten Anspruch 1). In der Sache T 83/01 stellte die Kammer fest, dass das Patent die Anforderungen des Art. 83 EPÜ 1973 nicht erfüllt, wenn der Fachmann zwar keinen Grund hat, die gegebene Definition des Parameters in Zweifel zu ziehen, aber im Patent jede Angabe dazu fehlt, wie dieser Parameter gemessen werden soll. In T 808/09 war dem Patent (Patrone zur Verwendung in einer Getränkezubereitungsmaschine/flüssige Schokoladenzutat) nach Ansicht der Kammer nicht zu entnehmen, wie der maßgebliche Parameter der Erfindung, nämlich die Viskosität der flüssigen Schokoladenzutat, zu messen war. Selbst wenn dieses Viskositätsmerkmal in den Oberbegriff des Verfahrensanspruchs 1 verschoben worden wäre und sich der Oberbegriff auf den Stand der Technik bezogen hätte, hätte dies das Problem der unzureichenden Offenbarung nicht gelöst. Damit nämlich die Bezugnahme auf einen Stand der Technik im Oberbegriff diesen Zweck angemessen erfüllt, muss das Streitpatent trotzdem alle nötigen Informationen so detailliert enthalten, dass der Fachmann die Erfindung ausführen kann. Im vorliegenden Fall wären dafür Angaben erforderlich gewesen, mit welcher Vorrichtung die Viskosität zu messen ist und welche Parameter dabei zu beachten sind. Diese Angaben fehlten jedoch völlig. In ihrer im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung getroffenen Entscheidung verwies die Kammer auf T 805/93 (Viskositätsmessung bei "Raumtemperatur"), T 83/01 und T 1250/01 (beide: Messung eines maßgeblichen Parameters).
In T 2096/12 konnte der Fachmann anhand der im Patent enthaltenen Offenbarung nicht wissen, nach welchem Messverfahren der beanspruchte Parameter für die Dicke zu bestimmen war. Die Kammer stimmte den Aussagen in T 593/09 zu und betonte, dass ein fehlendes Testverfahren für einen Parameter, bei dem es sich um ein beanspruchtes Merkmal handele, an sich nicht zu einer mangelnden Offenbarung führe. In einem Fall, der beispielsweise Bereiche für die Länge oder Breite eines klar strukturierten Artikels betrifft, könnten die Parameter eindeutig und ohne jeden Zweifel festgelegt werden. Allerdings müsse im Einzelfall beurteilt werden, ob dies möglich sei. Wenn der Schutzbereich des Patents nicht definiert sei und nicht zuverlässig bestimmt werden könne, wie im vorliegenden Fall, in dem weder die Ansprüche noch die Beschreibung einen Hinweis darauf lieferten, wie das Parametermerkmal auszulegen sei, könne nur der Schluss gezogen werden, dass die Erfordernisse von Art. 100 b) EPÜ nicht erfüllt waren.
In T 1064/15 konnte der Fachmann aufgrund des nicht definierten Parameters "Durchmesser (SD)" nicht wissen, welchen Querschnitt er wählen sollte, um die gewünschte technische Wirkung zu erzielen. Um die Voraussetzungen für eine ausreichende Offenbarung zu erfüllen, reicht es nicht aus, einen Gegenstand herstellen zu können, der unter den Wortlaut eines Anspruchs fällt. Dieser Gegenstand muss auch die angebliche oder gewünschte technische Wirkung aufweisen, die mit der Erfindung erzielt wird (T 815/07). Das Feld der nicht kreisförmigen Querschnitte ist aufgrund der enormen Formenvielfalt sehr viel größer als das der kreisförmigen Querschnitte. Daher war es umso wichtiger zu wissen, wie der Schlüsselparameter solcher Formen, nämlich der Durchmesser, bestimmt wird.
In T 602/10 kam die Kammer zu dem Schluss, dass sich der Patentinhaber bewusst dafür entschieden habe, zur Messung der Runzligkeit ein anderes Verfahren als das im Stand der Technik gebräuchliche heranzuziehen. Folglich war er verpflichtet, vollständige Angaben bezüglich der Mittel und Prozesse zu dessen Umsetzung zu machen. Allgemein ausgedrückt: Geht es in der Frage der ausreichenden Offenbarung um die Beschreibung eines Verfahrens zur Ermittlung eines Parameters, so sollten die Angaben in der Beschreibung umso präziser sein, je weniger gebräuchlich das Verfahren ist. Im vorliegenden Fall hätte sich der Fachmann bei der Umsetzung des patentgemäßen Verfahrens zur Messung der Runzligkeit primär auf die Lehre des Streitpatents verlassen müssen, da aus dem Stand der Technik keine Verwendung eines entsprechenden Verfahrens bekannt war.
Lassen sich (nicht offenbarte) Versuchsbedingungen einstellen, obwohl die Verfahren zur Bestimmung des Parameters nur unvollständig beschrieben werden, so kann die Erfindung dennoch hinreichend offenbart sein. S. z. B. T 1062/98. Sowohl in T 485/00 als auch in T 225/93 waren im Stand der Technik drei Verfahren zur Bestimmung der spezifischen Flächenausdehnung von CaCO3-Partikeln bekannt. In beiden Fällen wurde weder in der Beschreibung noch im allgemeinen Fachwissen einem Verfahren der Vorzug gegeben. In T 485/00 urteilte die Kammer, dass die Nachbildung eines Beispiels und das Vermessen der Oberfläche des erhaltenen Erzeugnisses anhand von zwei oder drei wohlbekannten Verfahren für den Fachmann keinen unzumutbaren Aufwand darstelle. In T 225/93 stellte die Kammer jedoch fest, dass es drei unterschiedliche Messverfahren gebe, die nicht immer zu demselben Ergebnis führten, was einen unzumutbaren Aufwand bedeute.
In T 417/13 wies die Kammer darauf hin, dass es in der Entscheidung T 225/93 von Bedeutung war, dass der Stand der Technik keinen Hinweis darauf enthielt, welches Messverfahren insbesondere für die CaCO3-Partikel geeignet war. Im Gegensatz zum Sachverhalt in T 225/93 wurde im vorliegenden Fall festgestellt, dass der Fachmann ein bestimmtes Messverfahren ausgewählt hätte. Die Kammer gelangte in der Sache T 417/13 schließlich zu dem Schluss, dass sich der Fachmann im vorliegenden Fall der PVC-Partikel nicht für ein Mess-, sondern für ein Siebverfahren, z. B. nach der Norm ISO 1624, entschieden hätte. Es gab keinen aktenkundigen Nachweis, dass unterschiedliche Messbedingungen bei einem solchen Verfahren zur Auswahl von PVC-Partikeln geführt hätten, die den Fachmann daran gehindert hätten, die Erfindung anspruchsgemäß auszuführen.
In T 641/07 vertrat die Kammer unter Hinweis auf T 485/00 die Auffassung, dass keine unzureichende Beschreibung vorliegt, wenn der Fachmann in die Lage versetzt wird, die Erfindung nachzuarbeiten, und es ausreicht, eines der Beispiele nachzuarbeiten, um das Verfahren zur Messung eines Parameterwerts zu identifizieren, da ein solches Identifizierungsverfahren nicht als unzumutbarer Aufwand bezeichnet werden kann. In T 1712/09 befand die Kammer, dass der Einsprechende nicht hinreichend nachgewiesen hatte, dass das Verfahren zur Messung der Parameter nicht ausführbar war. Die in seinen Versuchsberichten beschriebenen Tests waren nämlich nicht entsprechend den Anweisungen im Streitpatent durchgeführt worden, da andere Messapparaturen verwendet worden waren als die im Patent genannten. Nach Ansicht der Kammer hatte er gar nicht versucht, die Erfindung nachzuarbeiten (kein Kalibrierungsversuch), was jedoch Grundvoraussetzung der Art. 100 b) und 83 EPÜ ist. Sie verwies auf T 815/07 (Erfordernis gleichbleibender Werte) sowie T 1062/98 und T 485/00 (Möglichkeit der Kalibrierung des Verfahrens zur Bestimmung der strittigen Parameter). In der Entscheidung T 548/13 wurde festgestellt, dass die Rechtsprechung zu Parametern, darunter T 815/07, insofern nicht greift, als es sich in T 548/13 nicht um einen quantitativen Parameter handelte.
Auch die Entscheidung T 45/09 betraf einen Fall, in dem die Bedingungen hinterfragt wurden, unter denen der Einsprechende seine Tests – und zwar unter Verwendung eines handelsüblichen Produkts – durchgeführt hatte, denn die Eigenschaften eines zu einem Zeitpunkt T1 im Handel erhältlichen Produkts sind nicht zwangsläufig identisch mit denen eines zum Zeitpunkt T2 unter derselben Handelsbezeichnung vermarkteten Produkts und im vorliegenden Fall war deren Identität nicht belegt worden. Auch bemängelte die Kammer die Kalibrierung des Messverfahrens. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Einsprechende nicht nachgewiesen hatte, dass das Messverfahren für den Parameter nicht ausführbar und somit die Offenbarung der Erfindung mangelhaft war, obwohl ihm die Beweislast oblag und er diesen Beweis hätte erbringen können, wenn er versucht hätte, das fragliche Verfahren anhand mindestens einer der erfindungsgemäßen Kieselsäuren nachzuarbeiten.
Wenn offensichtlich ist, dass der Fachmann bei Abwägung von Einfachheit und Bequemlichkeit und der erforderlichen Genauigkeit ein bestimmtes analytisches Messverfahren wählen wird (da im Patent keines offenbart wird), sind die Erfordernisse des Art. 83 EPÜ erfüllt (s. z. B. T 492/92). Ganz anders lag der Fall in der Sache T 466/05. In T 492/92 war festgestellt worden, dass die Tatsache, dass zwei vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Verfahren zur Messung eines bestimmten Parameters nicht unbedingt zum gleichen Ergebnis führten, noch nicht beweise, dass ein Fachmann diesen Parameter des beanspruchten Stoffgemisches nicht mit der erforderlichen Genauigkeit bestimmen könne. In T 466/05 hingegen wusste der Fachmann nicht einmal, welcher Parameter bestimmt werden sollte, und die Erfindung war daher nicht ausreichend offenbart.
In T 2403/11 befand die Kammer, dass die Mehrdeutigkeit eines Parameters im Anspruch für sich genommen nicht genügt, um die ausreichende Offenbarung zu verneinen. Ob aufgrund der Mehrdeutigkeit eine unzureichende Offenbarung vorliegt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden (s. T 593/09 und T 472/14). Anders gelagert waren die Fälle T 882/03, wo es ebenfalls um Viskosität ging, aber die Mehrdeutigkeit nur geringfügige Variationen nach sich zog, und T 492/92, wo der Fachmann wusste, welche Methode er wählen musste. In T 2403/11 war dem Fachmann nicht bekannt, welche Methode und welche Messparameter auszuwählen waren. Auch T 482/09 betrifft eine Messmethode der Viskosität (s. auch T 808/09 und T 805/93 oben). In T 1697/12 deckten die Ansprüche durch offene Bereichsangaben Ausführungsformen ab, die mit dem im Patent offenbarten Verfahren nicht herstellbar waren, die aber mit anderen, künftig zu erfindenden Verfahren herstellbar sein könnten (unzureichende offenbarte Erfindung).
Soweit Erfindungen durch Ansprüche definiert sind, die unklare Merkmale, wie z. B. unklare Parameter enthalten, die auch nicht durch die Beschreibung klargestellt werden, kann die Erfindung möglicherweise nur durch den zu erreichenden Effekt verstanden werden. Dieser Effekt, der somit berücksichtigt werden muss, wird dann unter Art. 83 EPÜ begutachtet, um die Ausführbarkeit der Erfindung zu beurteilen (T 862/11).
S. schließlich T 1845/14 (unklarer Parameter; s. Catchword – diese Entscheidung behandelte zahlreiche Fragen).
S. auch dieses Kapitel II.C.8.2.