2.6.3 Inhalt der Beschwerdebegründung
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T 2884/18 × View decision
Ein vollständiger Sachvortrag, wie ihn Artikel 108 EPÜ und Artikel 12 VOBK seit jeher verlangen, erfordert bei kumulativ aufeinander aufbauenden Argumentationslinien die Darlegung sämtlicher Tatsachen, die erst gemeinsam das behauptete rechtliche Ergebnis tragen (hier: Offenkundigkeit der Vorbenutzung und neuheitsschädliche Vorwegnahme aller Merkmale der Erfindung durch diese bei Beschwerde gegen die Einstufung einer Erfindung als neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ). Erst dann ist dargelegt, dass die Entscheidung aufgehoben werden sollte, vgl. T 922/05, Gründe Nr. 3 und 4, für den spiegelbildlichen Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, die mehrere alternative Gründe für die f e h l e n d e Patentfähigkeit einer Erfindung aufzählt. Wird von mehreren kumulativ zur Änderung der Entscheidung darzulegenden Tatsachen nur eine ausreichend substantiiert, ist die Beschwerde unzulässig.
In T 2884/18 wurde die Beschwerde als unzulässig verworfen. Die Kammer erachtete es für nicht ausreichend, dass die Beschwerdebegründung sich im Wesentlichen nur mit der Feststellung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, wonach die behauptete offenkundige Vorbenutzung nicht ausreichend bewiesen ist, auseinandersetzte. Fehlende Neuheit gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung wurde nicht im gebotenen Umfang substantiiert. Die Kammer erklärte, dass ein vollständiger Sachvortrag, wie ihn Art. 108 EPÜ und Art. 12 VOBK 2020 verlangen, bei einer kumulativ aufeinander aufbauenden Argumentationslinie die Darlegung sämtlicher Tatsachen erfordert, die erst gemeinsam das behauptete rechtliche Ergebnis tragen. Es kann insoweit spiegelbildlich nichts anderes gelten als beim Vorgehen gegen eine Entscheidung, die mehrere alternative Gründe aufzählt, warum ein Patent nicht erteilbar bzw. bestandsfähig ist. Hier ist es in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern anerkannt, dass eine Beschwerdeschrift nur ausreichend substantiiert ist, wenn sie sich mit allen Gründen, die der Patentfähigkeit entgegenstehen, befasst. Erst dann ist dargelegt, dass die Entscheidung aufgehoben werden sollte, vgl. T 922/05. Gleiches muss umgekehrt gelten, wenn mehrere Gründe nur kumulativ die Patentfähigkeit eines aufrecht erhaltenen Patents infrage stellen, wie hier Zugehörigkeit einer Vorbenutzung zum Stand der Technik und Vorwegnahme der Erfindung durch die Vorbenutzung. Wird von mehreren kumulativ zur Änderung der Entscheidung darzulegenden Tatsachen nur eine ausreichend substantiiert, ist die Beschwerde unzulässig.
Nach Art. 108 Satz 3 EPÜ in Verbindung mit R. 99 (2) EPÜ ist in der Beschwerdebegründung anzugeben, aus welchen Gründen die Entscheidung aufzuheben ist. Es ist ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, dass sich eine für die Zulässigkeit einer Beschwerde ausreichende Begründung mit allen tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss. In T 1904/14 stellte die Kammer fest, dass dies auch dann gilt, wenn die Begründung in der angefochtenen Entscheidung falsch oder widersprüchlich ist. In der angefochtenen Entscheidung war die Prüfungsabteilung zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des damaligen Hilfsantrags 1, der identisch mit dem jetzigen Hauptantrag ist, nicht klar im Sinne von Art. 84 EPÜ sei. Mangelnde Klarheit war ein tragender Grund der angefochtenen Entscheidung für die fehlende Gewährbarkeit sämtlicher Anträge. Der Beschwerdeführer hat sich jedoch zu dem Zurückweisungsgrund nach Art. 84 EPÜ in der Beschwerdebegründung überhaupt nicht geäußert. Er hat weder dargelegt, dass die beanstandeten Ansprüche klar wären, noch dass die Entscheidungsbegründung zu Art. 84 EPÜ hinsichtlich der damaligen Hilfsanträge falsch, widersprüchlich oder sonst unzureichend gewesen wäre, und er hat auch keine neuen Anträge vorgelegt, um die beanstandeten Klarheitseinwände auszuräumen. Einen Widerspruch in der Begründung der angefochtenen Entscheidung hat der Beschwerdeführer vielmehr erst in Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer gerügt. Die Zulässigkeitsvoraussetzung gemäß R. 99 (2) EPÜ, das heißt eine hinreichende Beschwerdebegründung, muss jedoch innerhalb der nach Art. 108 Satz 3 EPÜ vorgesehenen Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung erfüllt sein und kann nicht durch einen verspäteten Vortrag nachträglich geheilt werden. Dementsprechend hätte der Beschwerdeführer auch den von ihm erst in dem vorgenannten Schreiben geltend gemachten Verfahrensfehler der Prüfungsabteilung aufgrund mangelhafter Entscheidungsgründe bereits mit der Beschwerdebegründung rügen müssen. Eine fehlerhafte, widersprüchliche oder unvollständige Entscheidung entbindet einen Beschwerdeführer nicht davon, sich in der Beschwerdebegründung mit solchen Mängeln auseinanderzusetzen. Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen.
2.6.3 Inhalt der Beschwerdebegründung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
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