7.5. Zurückverweisung bei neuem Vorbringen im Beschwerdeverfahren
7.5.5 Zurückverweisung an die erste Instanz wurde angeordnet
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In T 611/90 (ABl. 1993, 50) wurde mit der Beschwerdebegründung zum ersten Mal eine öffentliche Vorbenutzung auf der Grundlage neuer Beweise geltend gemacht. Die Kammer sah dies als neuen Sachverhalt an, der eine Zurückverweisung rechtfertigte. Sie wies darauf hin, dass das Interesse der Öffentlichkeit und der Beteiligten an einer zügigen Verfahrensführung in diesem Fall hinter der Forderung zurückzustehen hat, dass das Beschwerdeverfahren nicht zu einer bloßen Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens werden darf. In T 147/95 wurden durch die Einführung einer neuen Druckschrift in das Verfahren grundlegend neue Argumente im Hinblick auf einen Einspruchsgrund eingeführt, die die Aufrechterhaltung des Patents in vorliegender Form in Frage stellten. Die Kammer hielt es daher für erforderlich, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
In T 1600/06 stellte die Kammer unter Hinweis auf T 402/01 vom 21. Februar 2005 date: 2005-02-21 fest, dass der Patentinhaber zwar nicht automatisch Anspruch auf eine Zurückverweisung hat, wenn ihm ein neues Dokument entgegengehalten wird; der Anspruch des Patentinhabers auf rechtliches Gehör nach Art. 113 (1) EPÜ könne jedoch eine Zurückverweisung erforderlich machen, wenn die neue Entgegenhaltung wie im vorliegenden Fall den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Falles erheblich ändere und sich daraus ein “neuer Fall” ergebe.
In T 736/01 führte die Kammer aus, dass es nicht Zweck einer Beschwerde sei, einen neuen Fall, der sich aus einem neu vorgebrachten und in das Verfahren zugelassenen Stand der Technik ergebe, zu prüfen und darüber zu entscheiden und verwies die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurück.
In T 361/03 wurde durch ein vom Beschwerdeführer (Einsprechenden) einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorgelegtes Dokument der tatsächliche Rahmen des Falls im Beschwerdeverfahren grundlegend geändert. Die Kammer ließ das Dokument zu, hielt aber eine Zurückverweisung für gerechtfertigt. Damit wurde zweierlei bezweckt, nämlich eine Prüfung des neuen Sachverhalts in zwei Instanzen zu ermöglichen und dem Beschwerdegegner angemessen Gelegenheit zu geben, als Rückfallposition geeignete Änderungen sowie mögliche Beweismittel zur Abwehr der geänderten Anträge in Erwägung zu ziehen.
In dem der Entscheidung T 125/93 zugrunde liegenden Fall wurde ein hochrelevantes Dokument, welches kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden war, zum Verfahren zugelassen. Dies hatte zur Folge, dass sich der faktische Rahmen gegenüber dem Rahmen änderte, auf den sich die Entscheidung gestützt hatte. Die Kammer verwies die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück.
In T 1469/07 wiesen der Beschwerdeführer und die Beitretenden darauf hin, dass es im öffentlichen Interesse liege und der Rechtssicherheit diene, dass möglichst rasch eine endgültige Entscheidung ergehe. Die Kammer stellte jedoch fest, dass die neue Sachlage nicht durch den Beschwerdegegner verursacht worden war, sondern durch die vom Beschwerdeführer und von den Beitretenden eingereichten neuen Beweismittel. In Ausübung ihres Ermessens befand sie daher, dass sich das gegen das Patent gerichtete Vorbringen so sehr geändert hatte, dass der Beschwerdegegner einen berechtigten Grund hatte, seinen Fall in vollem Umfang in zwei Instanzen prüfen zu lassen (s. auch T 78/11).