2. Billigkeit einer anderweitigen Kostenverteilung – Fallgruppen
Übersicht
In T 101/17 lehnte die Kammer den Antrag des Beschwerdegegners (Einsprechenden) auf anderweitige Kostenverteilung ab. Der Beschwerdegegner hatte argumentiert, dass die Einreichung von Hilfsanträgen im Beschwerdeverfahren – statt im Einspruchsverfahren – einen Verfahrensmissbrauch darstelle. Obwohl die Hilfsanträge nicht zugelassen worden seien, habe man sich für den Fall ihrer Zulassung vorbereiten und sich inhaltlich mit ihnen beschäftigen müssen. Die Kammer befand, dass die Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine anderweitige Kostenverteilung nicht stützte. Sie schloss sich dem in T 1848/12 vertretenen Ansatz an, wonach – in Anwendung des Grundsatzes, dass jeder Beteiligte seine eigenen Kosten trägt – Vorbereitungen auf die Erörterung der Frage, ob verspätet eingereichte Dokumente zugelassen werden sollen, Teil der normalen Arbeit sind, die von einem Beteiligten erwartet werden kann. Um einen Kausalzusammenhang zwischen den Ausgaben des Beschwerdegegners und dem Verhalten des Beschwerdeführers herzustellen, so die Kammer weiter, müsste der Beschwerdegegner zeigen, dass die Ausgaben vor allem durch die verspätete Einreichung der Anträge und nicht durch deren Einreichung als solche verursacht worden sind. Die Kammer konnte nicht erkennen, welche Zusatzkosten dem Beschwerdegegner durch die Vorbereitung auf eine Erörterung dieser Anträge im Beschwerde- statt im Einspruchsverfahren entstanden sind – abgesehen von der zusätzlichen Erörterung der Zulässigkeit dieser Anträge. Da eine Erörterung der Zulässigkeit von Anträgen in Verfahren allgemein nicht unüblich war, können dafür kaum separate Kosten geltend gemacht werden. Spätestens hieran scheiterte das Vorbringen des Beschwerdegegners, und der Antrag auf anderweitige Kostenverteilung musste abgelehnt werden. Siehe auch das Kapitel V.A.6.3. "Artikel 12 (4) VOBK 2007".
In T 280/15 stellte die Kammer fest, es unterliege keinem Zweifel, dass durch die Ankündigung der Nichtteilnahme des Beschwerdeführers an der mündlichen Verhandlung, die erst am Vorabend der Verhandlung um 18.23 Uhr einging, die Voraussetzungen für eine Kostenverteilung gegen ihn gemäß Art. 104 (1) EPÜ und Art. 16 (1) c) VOBK 2007 vorliegen. Durch diese verspätete Ankündigung sind dem Beschwerdegegner Kosten entstanden, die durch ein pflichtgemäßes Verhalten und die elementaren Gebote der Höflichkeit seitens des Beschwerdeführers hätten vermieden werden können, wie etwa die Reise- und Unterbringungskosten sowie die 12 Stunden Aufwandsentschädigung für die Vorbereitung des zugelassenen Vertreters. Außerdem hat der Beschwerdeführer durch dieses Verhalten, insbesondere auch durch den Umstand, dass er den Beschwerdegegner nicht direkt verständigt hat, dem Beschwerdegegner die Möglichkeit genommen, weitere Kosten für seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu verringern, wenn nicht zu vermeiden. Das Verhalten des Beschwerdeführers angesichts der vorläufigen negativen Meinung der Kammer, die sie in dem der mündlichen Verhandlung vorausgegangenen Bescheid geäußert hat, beeinträchtigte letztendlich auch den effizienten Ablauf der Durchführung der mündlichen Verhandlung durch die Kammer. Wäre die Kammer über die Abwesenheit des Beschwerdeführers früher informiert gewesen, bestünde auch kein Grund, eine mündliche Verhandlung abzuhalten und vier Dolmetscher zu engagieren. So wurden die von dem Beschwerdegegner für die Verhandlung beantragten Dolmetscher ebenso wegen der Anwesenheit des Beschwerdeführers auf Kosten des Amtes bestellt, mussten aber nun die mündliche Verhandlung unverrichteter Dinge verlassen.
In T 2313/15 beantragte der Beschwerdegegner (Einsprechende) für den Fall der Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz eine Kostenauferlegung. Die Kammer entschied, die Sache zurückzuverweisen, ordnete aber keine andere Kostenverteilung gemäß Art. 104 (1) EPÜ an. Die Kammer befand, dass der Patentinhaber im Verfahren vor der Einspruchsabteilung alle vom Einsprechenden vorgebrachten Einwände in der Erwiderung auf die Einspruchsschrift behandelt hatte. Dass er dies nur mit Argumenten tat und weder Hilfsanträge einreichte noch eine mündliche Verhandlung beantragte, sei als legitime Verteidigung gegen einen Einspruch anzusehen, auch wenn er damit das kalkulierte Risiko einer sofortigen abschlägigen Entscheidung einging. Der Patentinhaber hatte demnach keine besondere Verpflichtung, eine mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu beantragen. Sein Recht auf Beschwerde oder Einreichung weiterer Anträge im Beschwerdeverfahren wurde allein dadurch, dass er keine mündliche Verhandlung beantragt hatte, nicht beeinträchtigt. Die Kammer sah keine rechtliche Grundlage für die implizite Behauptung des Beschwerdegegners, dass die Rechte des Patentinhabers im Beschwerdeverfahren in irgendeiner Weise stärker eingeschränkt seien, weil er keine mündliche Verhandlung beantragt hatte. Auch hielt die Kammer es nicht für billig, dem Patentinhaber anzulasten, dass die Einspruchsabteilung anhand nur eines von mehreren vorgebrachten Punkten und ohne Ladung zur mündlichen Verhandlung über den Fall entschieden hatte (wozu sie auch berechtigt war). Ebenso wenig könne dem erfolgreichen Beschwerdeführer (Patentinhaber) angelastet werden, dass die Angelegenheit in Übereinstimmung mit der üblichen Praxis im Beschwerdeverfahren zurückverwiesen wurde. Abschließend sei in keiner Weise zu beanstanden, dass der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren nur Argumente gegen den alleinigen Widerrufsgrund der Neuheit gegenüber D2 vorgebracht hat, denn mehr musste er gar nicht tun.
2. Billigkeit einer anderweitigen Kostenverteilung – Fallgruppen
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Im EPÜ findet sich keine Definition der Billigkeit. Die Beschwerdekammern mussten daher im Einzelfall die Kriterien herausarbeiten, nach denen eine anderweitige Kostenverteilung anzuordnen ist. In vielen Entscheidungen wird allgemein festgehalten, dass eine anderweitige Kostenverteilung dann der Billigkeit entspricht, wenn das Verhalten einer Partei nicht mit der zu fordernden Sorgfalt im Einklang steht, d. h. wenn Kosten durch leichtfertiges oder gar böswilliges Handeln verursacht werden (z. B. T 765/89, T 26/92 und T 432/92).
Anträge auf eine anderweitige Kostenverteilung werden häufig in unterschiedlichen Fallkonstellationen gestellt, in denen Kosten entstehen durch
- verspätete Vorlage von Dokumenten und/oder Anträgen (s. dieses Kapitel III.R.2.1.);
- Handlungen oder Unterlassungen, die die rechtzeitige und effiziente Durchführung der mündlichen Verhandlung beeinträchtigen (s. dieses Kapitel III.R.2.2.);
- Einlegung des Einspruchs oder der Beschwerde (s. dieses Kapitel III.R.2.3.);
- Kurzfristige Rücknahme des Einspruchs oder der Beschwerde (s. dieses Kapitel III.R.2.4.);
- Sonstige Fälle (s. dieses Kapitel III.R.2.5.).
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- T 280/15
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