7.2.4 Neuheit der therapeutischen Anwendung
T 694/16 × View decision
If a claim is directed to a known compound or composition for use in a therapeutic method of treatment or prevention of a disease, and the claim specifies that the subject to be treated displays a clearly defined and detectable marker, which is not displayed by all subjects affected by or likely to develop that disease, then the purposive selection of the patients displaying the marker for the specified treatment is a functional feature characterising the claim. (Points 5.1-5.21 of the Reasons)
In T 694/16 war der Anspruch auf eine Nahrungsmittelzusammensetzung für Prodromaldemenzpatienten gerichtet. Die Kammer befand, dass für die Durchführung des therapeutischen Verfahrens und die Erzielung der gewünschten Wirkung der Fachmann zunächst in der Lage sein muss, diejenigen Patienten zu identifizieren, die eine Behandlung benötigen und die einen Nutzen aus der Verabreichung der beanspruchten Zusammensetzung haben werden. "Prodromal(demenz)patienten" sind Patienten, die zwar noch nicht an Demenz leiden, aber diese zwangsläufig entwickeln werden. Im Patent waren "Prodromalpatienten" als Personen definiert, die zumindest eines und bevorzugt mindestens zwei Kriterien aus einer Liste aufweisen, zu denen insbesondere das Vorliegen bestimmter Marker gehört. In Anspruch 1 waren diese Kriterien jedoch nicht genannt; dort wurde vielmehr auf nicht spezifizierte "Charakteristika eines Patienten mit prodromaler Demenz" hingewiesen. Die Schwierigkeit, weitere Charakteristika zu identifizieren, wurde dadurch verstärkt, dass laut Patent andere Anzeichen wie leichte kognitive Einschränkungen, die vor dem Ausbruch einer Alzheimererkrankung zu beobachten sind, nicht ausreichten, um jemanden als "Prodromalpatienten" einzustufen. Die Kammer befand daher, dass die Patientengruppe nicht ausreichend offenbart war. Sie entschied wie folgt: Wenn ein Anspruch auf eine bekannte Verbindung oder Zusammensetzung zur Verwendung in einem therapeutischen Verfahren zur Behandlung oder Prävention einer Krankheit gerichtet ist und der Anspruch besagt, dass der zu behandelnde Patient einen klar definierten und nachweisbaren Marker aufweist, den nicht alle Patienten aufweisen, die die Krankheit haben oder wahrscheinlich entwickeln werden, dann ist die gezielte Auswahl der den Marker aufweisenden Patienten für die besagte Behandlung ein funktionales Merkmal, das den Anspruch charakterisiert.
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann die Behandlung derselben Krankheit mit demselben Stoff bei einer bestimmten Gruppe von Individuen dennoch als neue therapeutische Anwendung angesehen werden, sofern sie an einer neuen Gruppe von Individuen vorgenommen wird, die sich von der früheren Gruppe durch ihren physiologischen oder pathologischen Zustand unterscheidet (s. T 19/86, ABl. 1989, 24, T 893/90, T 233/96, T 1399/04, T 734/12).
In T 19/86 (ABl. 1989, 25) hatte die Kammer darüber zu befinden, ob die Anwendung eines bekannten Arzneimittels zur prophylaktischen Behandlung derselben Krankheit bei einer Tierpopulation derselben Art, die aber immunologisch anders reagiert, als neue therapeutische Anwendung beansprucht werden kann. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass die Frage, ob eine neue therapeutische Verwendung den Vorgaben der Entscheidung G 1/83 entspricht, nicht nur aufgrund der zu behandelnden Krankheit, sondern auch aufgrund der Art des zu behandelnden Subjekts (im vorliegenden Fall einer neuen Gruppe von Ferkeln) entschieden werden muss. Eine therapeutische Anwendung ist unvollständig, wenn das zu behandelnde Subjekt nicht bezeichnet wird; eine technische Lehre ist nur dann vollständig, wenn sowohl die Krankheit als auch das zu behandelnde Subjekt offenbart werden. Die in der Anmeldung vorgeschlagene Lösung, Tieren zum Schutz vor einer Krankheit, gegen die sie vorher nicht geschützt werden konnten, ein bekanntes Serum intranasal zu verabreichen, kann nicht als bekannt angesehen werden und stellt somit eine neue therapeutische Anwendung im Sinne der Entscheidung G 1/83 dar.
In T 233/96 vertrat die Kammer die Ansicht, dass, wenn die Verwendung einer Zusammensetzung für die Behandlung oder Diagnose einer Erkrankung bei einer bestimmten Gruppe von Individuen bekannt sei, die Behandlung oder Diagnose der gleichen Erkrankung mittels der gleichen Zusammensetzung auch eine neue therapeutische oder diagnostische Anwendung darstellen könne, vorausgesetzt, dass sie an einer anderen Gruppe von Individuen vorgenommen wird, die sich physiologisch oder pathologisch von der ersten Gruppe unterscheide (T 19/86, ABl. 1989, 25; T 893/90). Dies gelte jedoch nicht, wenn es zwischen der gewählten Gruppe und der zuvor behandelten Gruppe Überlappungen gibt oder wenn die neue Gruppe willkürlich gewählt wurde, d. h., dass zwischen den physiologischen oder pathologischen Bedingungen dieser Gruppe von Individuen (hier Menschen mit eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit) und der erzielten therapeutischen oder pharmakologischen Wirkung kein Zusammenhang besteht.