5. Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung
Übersicht
T 2773/18 × View decision
Reasons 3.2 on argument that claimed invention is insufficiently disclosed across whole breadth
T 54/17 × View decision
1. Wenn eine Beschwerde vor der Beschwerdekamme anhängig ist, hat die Rechtsabteilung keine ausschließliche Zuständigkeit für die Frage der Unterbrechung des Verfahrens (siehe 1.4 der Entscheidungsgründe).
2. Setzt ein Patentinhaber in Kenntnis der Unterbrechungs-voraussetzungen, die ausschließlich in seiner Sphäre liegen, nach dem Wegfall der Unterbrechungsvoraussetzungen das Verfahren über Jahre uneingeschränkt fort, ohne sich darauf zu berufen, so erscheint es unbillig die Unterbrechung zu einem so späten Zeitpunkt geltend zu machen, mit der Folge, dass das bis dahin erfolgte Verfahren, an dem er bis dato aktiv mitgewirkt hat, zu wiederholen wäre. Dies widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben (siehe 1.5 der Entscheidungs-gründe).
3. Wird die Lösung eines technischen Problems mithilfe eines neu formulierten und damit unüblichen Parameters definiert, so trifft den Patentinhaber eine besondere Pflicht, sämtliche Informationen zu offenbaren. Das beanspruchte "Betriebsereignis" und das beanspruchte "Reaktionsmuster" sind als solche "unüblichen Parameter" zu verstehen. Zwar haben sie einen gewissen Sinn in der deutschen Sprache, aber nicht ohne Weiteres einen technischen Sinn im Rahmen der Steuerung eines Prozessorssystems. Der Beitrag der Erfindung ist nur eine sehr allgemeine Idee, nämlich Umgebungsparameter in einem Überwachungs- und Steuerungsprozess zu berücksichtigen. Die Beschreibung enthält kein Ausführungsbeispiel, das diese Idee erläutern und darstellen würde. Weiterhin ist es nicht möglich diese Idee hinsichtlich der Parameter "Betriebsereignis" und "Reaktionsmuster" durch die Offenbarung der Beschreibung zu abstrahieren. (siehe Entscheidungsgründe 3.7, 3.8 and 3.13).
T 2007/16 × View decision
Objection of insufficient disclosure based on the subject-matter of a dependent claim (see point 5).
T 1845/14 × View decision
In case of an unclear parameter defined in a claim whose values required in the claim are indicated in the specification to be essential to solving the problem underlying the patent at issue, the ability of the skilled person to solve that problem by reproducing what is claimed is not a suitable criterion for assessing sufficiency of disclosure when the problem or an effect derivable from it are not explicitly or implicitly part of the definition of the claimed subject-matter (point 9.8 of the Reasons).
Die Entscheidung T 1845/14 betraf die Frage, ob die unbestrittene Mehrdeutigkeit zweier Parametermerkmale (SCBD und CDBI) in Anspruch 1 eine unzureichende Offenbarung zur Folge hat, wie von den Einsprechenden (Beschwerdegegnern) behauptet. Die Kammer analysierte die beiden Parameter eingehend und schloss, dass der Fachmann geeignete Messverfahren zur Feststellung der SCBD und des CDBI benötigte, um die Erfindung ausführen zu können. Entsprechende Verfahren waren dem Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents zugänglich (ungeachtet der Mehrdeutigkeit hinsichtlich der Definition des CDBI). Eine andere Argumentation der Beschwerdegegner betraf die Befähigung des Fachmanns, die dem Patent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen. Die Kammer analysierte den entsprechenden Beitrag der Entscheidungen T 593/09, T 815/07 und T 172/99 und nahm zudem Bezug auf die Entscheidung Kirin-Amgen Inc v. Hoechst Marion Roussel Ltd [2004] UKHL 46 des britischen House of Lords (Absatz 126), auf T 608/07 und im Zusammenhang damit auf die Entscheidung Zipher Ltd v. Markem Systems Ltd [2008] EWHC 1379 des High Court of England and Wales (in denen drei Arten von Einwänden beschrieben wurden: unzureichende Offenbarung im klassischen Sinn, unzureichende Offenbarung im Sinne der Biogen-Entscheidung (vgl. T 1727/12) und unzureichende Offenbarung aufgrund von Mehrdeutigkeit). Sie kam zu dem Schluss, dass all diesen Entscheidungen über einen mehrdeutig definierten Parameter in einem Anspruch eine Definition des Begriffs "Erfindung" zugrunde lag, die nicht auf die Kombination der im betreffenden Anspruch begrifflich definierten Merkmale gerichtet war, sondern vielmehr auf die erfinderische Idee, die der Erfinder im Sinn hatte und die den Patentinhaber bewogen hatte, für den beanspruchten Gegenstand Schutz zu begehren. In den Entscheidungen T 593/09, T 815/07 und insbesondere T 172/99 wurde für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung dasselbe Kriterium verwendet, nämlich die Befähigung des Fachmanns, bei der Nacharbeitung des beanspruchten Gegenstands die dem strittigen Patent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen, die zwar in der Beschreibung erwähnt, aber nicht als Teil des beanspruchten Gegenstands definiert wird. Die Kammer in T 1845/14 sah dagegen die Befähigung des Fachmanns, die dem angefochtenen Patent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen, indem er versucht, die Erfindung auszuführen, nicht als geeignetes Kriterium für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung, wenn die Aufgabe nicht als Teil des beanspruchten Gegenstands definiert ist. Die Kammer sah keinen Grund, dem Begriff "Erfindung" in Zusammenhang mit ausreichender Offenbarung eine andere Bedeutung beizumessen. So gebe es keinen Grund, die Erfindung auf der Grundlage einer laut Patent mit dem beanspruchten Gegenstand zu erzielenden Wirkung zu definieren oder auf der Grundlage spezifischer Bedingungen für die Messung eines Parameters, wenn der Anspruchswortlaut dies nicht erfordere. Dadurch würde nämlich die ausreichende Offenbarung auf der Grundlage einer beschränkten Auslegung des Anspruchs beurteilt. Bei der Beurteilung anderer Patentierbarkeitserfordernisse wie Neuheit und erfinderische Tätigkeit sei dies nicht der Fall, und es sei nicht ersichtlich, warum die ausreichende Offenbarung auf einer anderen Grundlage beurteilt werden sollte. Es gebe also keinen Grund, die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung darauf zu stützen, ob herausgefunden werden kann, welche Definition ein beanspruchter Parameter oder welche Bedingungen dessen Messung erfordere bzw. der Patentinhaber bei der Abfassung des Patents im Sinn gehabt habe, wenn diese Definition bzw. diese Bedingungen zur tatsächlichen Lösung der dem Patent zugrunde liegenden Aufgabe für erforderlich gehalten würden, aber weder die Aufgabe selbst noch eine daraus ableitbare Wirkung in den Ansprüchen definiert sei. Die Erfindung werde durch die in den Ansprüchen verwendeten Begriffe definiert, denen in ihrem Kontext die breiteste technisch sinnvolle Bedeutung zuzuweisen sei. Diese Position wird auch durch G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) (nichtfunktionsfähige Ausführungsformen) gestützt. Da die Bedeutung des Begriffs "Erfindung" durch G 2/98 (ABl. EPA 2001, 413) und G 1/03 gestützt werde, sei eine Vorlage nicht erforderlich. Die Kammer schloss, dass bei einem unklaren Parameter, der in einem Anspruch definiert wird und dessen anspruchsgemäßen Werte laut Beschreibung für die Lösung der dem strittigen Patent zugrunde liegenden Aufgabe wesentlich sind, die Befähigung des Fachmanns, diese Aufgabe zu lösen, indem er den beanspruchten Gegenstand nacharbeitet, kein angemessenes Kriterium für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung ist, wenn die Aufgabe oder eine daraus ableitbare Wirkung weder explizit noch implizit Teil der Definition des beanspruchten Gegenstands ist. Diese Schlussfolgerung bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Mehrdeutigkeit des CDBI lediglich die Klarheit betrifft.
In T 54/17 wurde auf die gängige Rechtsprechung verwiesen, dass bzgl. Art. 100 b) EPÜ zwei Bedingungen erfüllt sein müssen. Zum einem muss der Fachmann der Patentschrift zumindest einen Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung entnehmen können, zum anderen muss er die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ausführen können. In Bezug auf die erste Bedingung stimmte die Kammer dem Beschwerdegegner (Einsprechenden) zu, dass die Beschreibung kein Ausführungsbeispiel für die vom Beschwerdeführer als "zentral" bezeichnete Idee gab, nämlich Betriebsparameter einzelner Komponenten und gleichzeitig Umgebungsparameter zu erfassen und aus diesen Messwerten auf Betriebsereignisse zu schließen. Selbst wenn sich der Fachmann ein Ausführungsbeispiel vorstellen könnte, würde dies nicht ausreichen, um die zweite Bedingung zu erfüllen, nämlich dass die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sein muss. Die Beschreibung war sehr allgemein gefasst, indem von der Abschaltung einer stark überhitzten Komponente gesprochen wurde, nicht aber, wie entschieden werden sollte, dass die andere, benachbarte Komponente nicht auch abgeschaltet wird. Die Kammer stellte hierzu fest, dass diese (zweite) Bedingung eine besondere Bedeutung habe, vor allem wenn der Anspruch unübliche Parameter enthalte. Die Kammer verwies auf die in T 172/99 aufgelisteten Bedingungen. Wird die Lösung eines technischen Problems mithilfe eines neu formulierten und damit unüblichen Parameters definiert, so trifft den Patentinhaber eine besondere Pflicht, sämtliche Informationen zu offenbaren. Im vorliegenden Fall waren nach Meinung der Kammer das beanspruchte "Betriebsereignis" und das beanspruchte "Reaktionsmuster" als eben solche "unüblichen Parameter" zu verstehen. Zwar haben sie einen gewissen Sinn in der deutschen Sprache, aber nicht ohne Weiteres einen technischen Sinn im Rahmen der Steuerung eines Prozessorssystems. Der Beitrag dieser Erfindung war nach Ansicht der Kammer nur eine sehr allgemeine Idee, nämlich Umgebungsparameter in einem Überwachungs- und Steuerungsprozess zu berücksichtigen. Die Beschreibung enthielt kein Ausführungsbeispiel, das diese Idee erläutern und darstellen würde. Weiterhin war es nicht möglich diese Idee hinsichtlich der Parameter "Betriebsereignis" und "Reaktionsmuster" durch die Offenbarung der Beschreibung zu abstrahieren. Daher war die Kammer der Meinung, dass ein Fachmann die Erfindung nicht ausführen konnte (s. auch zur Unterbrechung des Verfahrens Kapitel III.D.2.).
5. Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
- T 2773/18
- T 54/17
- T 2007/16
- T 1845/14
- Rechtsprechung 2021
- Rechtsprechung 2019