3. Vom Anmelder (Patentinhaber) vorgelegte oder gebilligte Fassung – Artikel 113 (2) EPÜ
Übersicht
In T 1227/14 trug der Beschwerdeführer I (Patentinhaber) vor, dass er nicht, wie in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung festgehalten, die Anpassung der Beschreibung an die Einspruchsabteilung übertragen habe. Vielmehr habe er für die Anpassung der Beschreibung die Überleitung ins schriftliche Verfahren beantragt, was nicht in der Niederschrift vermerkt war. Er hatte jedoch keinen Antrag auf Korrektur der Niederschrift durch die Einspruchsabteilung gestellt. Allerdings hatte die Einspruchsabteilung die angefochtene Zwischenentscheidung über die Fassung, in der das einspruchsbehaftete Patent aufrechterhalten werden kann, erlassen, ohne diese Fassung, einschließlich der von ihr angepassten Beschreibung, vorher dem Patentinhaber vorzulegen. Damit hat sie den in Art. 113 (2) EPÜ verankerten Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Auch und gerade in dem Fall, dass die Anpassung der Beschreibung an ein Organ des EPA übertragen wird, kann es von dieser Verpflichtung nicht entbunden werden.
In T 861/16 verwies die Kammer darauf, dass nirgendwo – weder in der Niederschrift noch in der Entscheidung – vermerkt war, dass der Patentinhaber sein Einverständnis mit der geänderten Fassung erklärt hatte. Auch blieb der Beschwerdegegner (Einsprechende) einen Beweis schuldig, dass der Patentinhaber einer vor der Entscheidung der Einspruchsabteilung präsentierten Fassung ausdrücklich zugestimmt hatte. Die Kammer erklärte, dass der Grundsatz "Qui tacet consentire videtur" nicht im EPÜ verankert ist und es daher nicht ausreicht, den Patentinhaber zu fragen, ob er sich zu den von der Einspruchsabteilung vorgeschlagenen Änderungen in der Beschreibung äußern wolle. Die Einspruchsabteilung hat sicherzustellen, dass der Patentinhaber sein Einverständnis erklärt. Mangels eines solchen Einverständnisses des Patentinhabers mit der aufrechterhaltenen Fassung entschied die Kammer, dass das Verfahren vor der Einspruchsabteilung mit einem wesentlichen Verfahrensfehler behaftet war (Art. 113 (2) EPÜ).
In R 8/16 wies die Große Beschwerdekammer darauf hin, dass ein angeblicher Verstoß nicht schwerwiegend im Sinne von nicht hinnehmbar sein kann, wenn er keine nachteilige Wirkung hervorruft. Im vorliegenden Fall urteilte die Große Beschwerdekammer, dass die Nichtangabe von Gründen für die Zulassung des Hauptantrags zwar keine Praxis sei, die sie ausdrücklich unterstütze, dass sie aber nicht als schwerwiegender Verstoß gegen Art. 113 (1) EPÜ angesehen wurde, weil der Antragsteller sich nicht äußerte und die Große Beschwerdekammer keine nachteilige Wirkung aufgrund der Nichtanhörung des Antragstellers in der Sache erkennen konnte und weil die Zulassung des Hauptantrags für den Antragsteller eindeutig zu einem positiven Ergebnis führte. Die Große Beschwerdekammer stellte ferner fest, dass es den Kammern grundsätzlich freisteht, in welcher Reihenfolge sie die (anhängigen) Anträge prüfen, und somit auch, in welcher Reihenfolge sie diese behandeln, ohne dass sie dies begründen müssten. Die dem Beteiligten in Art. 113 (2) EPÜ eingeräumte Dispositionsbefugnis reicht nicht so weit, dass er einem Entscheidungsorgan des EPA diktieren kann, wie und in welcher Reihenfolge es die ihm vorliegende Sache prüft. Die einzige dem EPA obliegende Verpflichtung besteht darin, in der endgültigen Entscheidung keinen noch anhängigen Antrag zu übergehen. Die Reihenfolge der Prüfung oder Erörterung ist eine Frage der Verfahrensökonomie, und für diese ist in erster Linie das Entscheidungsorgan verantwortlich. Eine Kammer ist insbesondere nicht verpflichtet, ihr Vorgehen zu begründen. Die Angabe von Gründen zu zurückgenommenen Anträgen hätte zu einem Einwand nach Art. 113 (2) EPÜ führen können.
3. Vom Anmelder (Patentinhaber) vorgelegte oder gebilligte Fassung – Artikel 113 (2) EPÜ
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
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