4.3. Chirurgische Verfahren
In T 1631/17 handelte es sich um ein Verfahren zum Herstellen von Zahnersatzteilen. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Patent zu widerrufen. Es war unbestritten, dass der Wortlaut von Anspruch 1 keinen expliziten Verfahrensschritt beinhaltete, der im Sinne von Art. 53 c) EPÜ als chirurgisch anzusehen gewesen wäre. Allerdings umfasste das beanspruchte Verfahren einen solchen Schritt, was ausreichend ist um unter den Ausschlusstatbestand des Art. 53 c) EPÜ zu fallen G 1/07, ABl. 2011, 134). Gemäß der Beschreibung beginnt das erfindungsgemäße Verfahren damit, dass eine erste Abformung von einem Gebiss genommen wird, in dem zunächst provisorisch die fehlende Zahnsubstanz ergänzt wurde. Dieses "fertige" Gebiss wird abgeformt und erst danach werden die Zähne für die zweite Abformung präpariert. Mithilfe der beiden Abformungen wird der Zahnersatz hergestellt. Daraus ergab sich, dass das Ergänzen der fehlenden Zahnsubstanz ein wesentliches Merkmal der Erfindung darstellte. Im vorliegenden Fall insbesondere auch deshalb, weil dieser Schritt genau den Beitrag darstellte, der über den Stand der Technik hinausging. Dieser Verfahrensschritt musste daher bei der Auslegung des Anspruchs mitgelesen werden. Die Präparation der Zähne, die nach der ersten Abformung stattfindet, lag damit ebenfalls zeitlich und räumlich innerhalb des beanspruchten Verfahrens. Das beanspruchte Verfahren konnte ohne eine unmittelbare Durchführung des Zwischenschrittes der Präparation der Zähne nicht durchgeführt werden, weil sonst die zweite Abformung nicht hätte erstellt werden können. Naturgemäß wird die Präparation der Zähne direkt am Patienten durchgeführt und stellt einen chirurgischen Verfahrensschritt dar, weil dabei invasiv und in erheblichem Maße Körpergewebe entfernt wird.
4.3.1 Chirurgischer Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In G 1/07 bestätigte die Große Kammer den bereits in der Stellungnahme G 1/04 (ABl. 2006, 334) enthaltenen Grundsatz, auf dem die gesamte bisherige Praxis und Rechtsprechung beruht (s. z. B. T 820/92, ABl. 1995, 113) und dem zufolge ein Verfahrensanspruch dann unter das jetzt in Art. 53 c) EPÜ verankerte Patentierungsverbot für Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung fällt, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt. Dieser Grundsatz sei nicht nur formal dadurch gerechtfertigt, dass der Ausschluss in Art. 53 c) EPÜ keinerlei Einschränkung dahingehend enthält, dass die dort definierten Verfahren nur auszuschließen sind, wenn sie als solche beansprucht werden. Er sei vielmehr auch in der Sache gerechtfertigt, denn er diene dem gesetzgeberischen Zweck, den es mit dem Ausschluss zu erreichen gilt (s. dieses Kapitel I.B.4.1.).
- Rechtsprechung 2020