6. Chemische Erfindungen und Auswahlerfindungen
Übersicht
T 386/17 × View decision
A claimed feature that an angle has a magnitude of "more than 0 degrees" does not establish novelty over a prior art disclosure in which the corresponding angle is equal to 0 degrees, since the feature encompasses values closer to 0 degrees than the finite error margin to which the determination of the magnitude of the angle would always be subject, and such values would, in practice, be indistinguishable from 0 degrees (see Reasons, point 2.8, confirming T 594/01).
In T 2350/16 argumentierte der Beschwerdeführer (Einsprechende), der Gegenstand von Anspruch 1 sei von der Druckschrift D1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Kammer befand zunächst, dass D1 alle Merkmale von Anspruch 1 als solche offenbarte. Es blieb jedoch noch zu prüfen, ob D1 diese Merkmale auch in Kombination offenbarte. Die Kammer fasste in einer Tabelle zusammen, wo und in welchem Kontext die Merkmale 1d bis 1h offenbart waren und gab auch an, aus wie vielen Varianten ausgewählt werden musste, um das Merkmal zu erhalten. Sie kam zum dem Schluss, dass alle Merkmale in Kombination offenbart waren. Die Kammer stellte zudem fest, dass die Rechtsprechung betreffend die Auswahl aus Listen hier nicht zur Anwendung kommen konnte, da es sich nicht um (lange) Listen handelte, wie sie in der Chemie gebräuchlich sind, sondern jeweils nur um eine Auswahl aus höchstens zwei oder drei Elementen. Da die D1 alle Merkmale von Anspruch 1 in Kombination offenbarte, war der Gegenstand dieses Anspruchs durch die D1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Kammer machte auch Ausführungen zur Rolle des Fachmanns bei der Neuheitsprüfung. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) hatte wiederholt geltend gemacht, dass die D1 Stand der Technik im Sinne von Art. 54 (3) EPÜ darstelle und es daher nicht zulässig sei, "dauernd den Fachmann zu bemühen". Die Kammer konnte dem nicht zustimmen. Auch wenn dies nicht immer explizit erwähnt wurde, ist eine Neuheitsprüfung ohne ständige Bemühung des Fachmanns gar nicht denkbar. Allerdings ist es ihm in diesem Zusammenhang verwehrt, Fragen der Plausibilität oder des Naheliegens, wie sie sich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellen können, zu behandeln.
In T 1085/13 entschied die Kammer, dass ein Anspruch, der eine Verbindung mit einem bestimmten Reinheitsgrad definiert, nur dann gegenüber einem Stand der Technik mit derselben Verbindung nicht neu ist, wenn der beanspruchte Reinheitsgrad im Stand der Technik zumindest implizit offenbart ist, z. B. mithilfe eines Verfahrens zur Herstellung der Verbindung, das zwangsläufig zu dem beanspruchten Reinheitsgrad führt. Ein solcher Anspruch ist allerdings neu, wenn die Offenbarung aus dem Stand der Technik z. B. durch geeignete (weitere) Reinigungsverfahren ergänzt werden muss, die dem Fachmann erlauben, den beanspruchten Reinheitsgrad zu erhalten. Die Frage, ob solche (weiteren) Reinigungsverfahren für die Verbindung aus dem Stand der Technik zum allgemeinen Fachwissen gehören und bei Anwendung zu dem beanspruchten Reinheitsgrad führen würden, ist für die Frage der Neuheit irrelevant, dafür aber bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Die Kammer war ferner überzeugt, dass die Begründung in T 990/96 (ABl. EPA 1998, 489) und T 728/98 (ABl. EPA 2001, 319) nicht mit G 2/88 (ABl. EPA 1990, 93) und G 2/10 (ABl. EPA 2012, 376) konform ist.
6. Chemische Erfindungen und Auswahlerfindungen
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
- T 386/17
- Rechtsprechung 2021
- Rechtsprechung 2020
- Rechtsprechung 2019