2. Das Recht auf mündliche Verhandlung
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T 247/20 × View decision
Oral proceedings would serve no purpose if the parties were limited to present a mere repetition of the arguments put forward in writing. Instead, parties must be allowed to refine their arguments, even to build on them provided they stay within the framework of the arguments, and of course the evidence, submitted in a timely fashion in the written proceedings.
G 2/19 × View decision
1. Ein Dritter im Sinne von Artikel 115 EPÜ, der gegen die Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents Beschwerde eingelegt hat, hat keinen Anspruch darauf, dass vor einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes mündlich über sein Begehren verhandelt wird, zur Beseitigung vermeintlich undeutlicher Patentansprüche (Artikel 84 EPÜ) des europäischen Patents den erneuten Eintritt in das Prüfungsverfahren anzuordnen. Eine solchermaßen eingelegte Beschwerde entfaltet keine aufschiebende Wirkung.
2. Mündliche Verhandlungen der Beschwerdekammern an deren Standort in Haar verstoßen nicht gegen die Artikel 113 (1) und 116 (1) EPÜ.
In G 2/19 entschied die Große Beschwerdekammer, dass die Vorlagefrage 1 unzulässig war. Im Hinblick darauf formulierte die Große Beschwerdekammer die Vorlagefragen 2 und 3 wie folgt um: 2. Ist das Recht gemäß Art. 116 EPÜ auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingeschränkt, wenn ein Dritter im Sinne von Art. 115 EPÜ gegen den Patenterteilungsbeschluss "Beschwerde" einlegt und dies damit rechtfertigt, im Rahmen des EPÜ sei kein alternativer Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der Prüfungsabteilung gegeben, seine Einwendungen betreffend die angebliche Verletzung von Art. 84 EPÜ nicht zu berücksichtigen? 3. Kann eine Beschwerdekammer ohne Verletzung von Art. 113 (1) und Art. 116 (1) EPÜ die mündliche Verhandlung in Haar durchführen, wenn eine Verlegung der Verhandlung nach München beantragt wird? Hinsichtlich der Vorlagefrage 2 wies die Große Beschwerdekammer darauf hin, dass in Art. 116 (1) Satz 1 EPÜ ganz allgemein bestimmt ist, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, wenn ein Beteiligter dies beantragt. Die vorlegende Kammer hatte angenommen, der Dritte sei durch Einlegung seiner Beschwerde zum Beteiligten des Beschwerdeverfahrens geworden und könne demgemäß die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verlangen (T 831/17). Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass diese Sichtweise zu kurz greift, indem sie für das Tatbestandsmerkmal der Beteiligtenstellung isoliert auf die Beteiligung am Beschwerdeverfahren abstellt. Bei verständiger Auslegung zwingt Art. 116 (1) Satz 1 EPÜ nicht zu einem derartigen prozessualen Automatismus. Vielmehr lässt die Regelung Ausnahmen zu. Die Vielfalt im Anwendungsbereich von Art. 116 (1) Satz 1 EPÜ spricht dagegen, dieser Vorschrift gleichsam Absolutheitscharakter beizulegen. Die Norm ist vom Konventionsgeber ersichtlich als Grundsatzregelung für die typischen Fallgestaltungen gedacht, mit denen die Verfahrensorgane des EPA in ihrer täglichen Praxis konfrontiert sind. Ausnahmen vom Grundsatz sind aber nicht ausgeschlossen, wenn die Anwendung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls sinnwidrig wäre. Art. 116 (1) Satz 1 EPÜ ist vielmehr dahin einschränkend auszulegen, dass die bloße formale Position als faktischer Beteiligter am Beschwerdeverfahren nicht ausreicht, um die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verlangen zu können, wenn der Petent nicht zur Beschwerdeeinlegung befugt ist, weil er im Rechtssinne nicht am vorangegangenen Verfahren beteiligt war oder wenn er einen der Beschwerde nicht zugänglichen Gegenstand verfolgt. Hinsichtlich der Vorlagefrage 3 wies die Große Beschwerdekammer darauf hin, dass die Tatsache, dass die Kammern ihre rechtsprechende Tätigkeit zurzeit am Standort Haar ausüben, auf Organisationsakte zurückgeht, die die dazu berufenen Organe der EPO im Rahmen ihrer Zuständigkeiten beschlossen und vorgenommen hatten. Bezüglich des Einwands, die Verlagerung der Beschwerdekammern nach Haar befinde sich nicht in Einklang mit den Bestimmungen des EPÜ, sei insoweit also gewissermaßen rechtswidrig, stellte die Große Beschwerdekammer Folgendes fest: Dieser Einwand betraf für sich genommen nicht die Jurisdiktion der Kammern. Ihnen obliegt nach dem EPÜ, an der Erfüllung der dem EPA übertragenen Aufgabe, europäische Patente zu erteilen (Art. 4 (3) EPÜ), durch Ausübung der rechtsprechenden Gewalt mitzuwirken (Art. 23 EPÜ). Die Überprüfung einer statusbezogenen Frage wie der, ob der Standort der Beschwerdekammern in Haar in Einklang mit den objektiv institutionellen Bestimmungen des EPÜ gewählt ist, betrifft dies zumindest nicht unmittelbar. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nach Art. 106 ff. EPÜ kann sie deshalb allenfalls im Zusammenhang mit der Frage sein, ob geschützte oder schützenswerte subjektive Rechtspositionen eines Verfahrensbeteiligten bei der Wahrnehmung seiner Rechte vor der Kammer durch die Verlagerung ihres Standorts nach Haar beeinträchtigt werden können. Dies war jedoch vorliegend nicht der Fall. Die Große Beschwerdekammer entschied: 1. Ein Dritter im Sinne von Art. 115 EPÜ, der gegen die Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents Beschwerde eingelegt hat, hat keinen Anspruch darauf, dass vor einer Beschwerdekammer des EPA mündlich über sein Begehren verhandelt wird, zur Beseitigung vermeintlich undeutlicher Patentansprüche (Art. 84 EPÜ) des europäischen Patents den erneuten Eintritt in das Prüfungsverfahren anzuordnen. Eine solchermaßen eingelegte Beschwerde entfaltet keine aufschiebende Wirkung. 2. Mündliche Verhandlungen der Beschwerdekammern an deren Standort in Haar verstoßen nicht gegen die Art. 113 (1) und 116 (1) EPÜ.
2. Das Recht auf mündliche Verhandlung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |