3.8. Zurücknahme einer Anmeldung
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J 7/19 × View decision
The notion of a mistake eligible for correction under Rule 139 EPC does not cover the scenario where a declaration of withdrawal reflects the true intention of the applicant, but is based on wrong assumptions.
In J 6/19 ging der Antrag des Anmelders auf Berichtigung der Zurücknahme der Anmeldung am Tag der Veröffentlichung der Zurücknahmeerklärung im Europäischen Patentregister beim EPA ein. Die Juristische Beschwerdekammer erinnerte daran, dass nach der ständigen Rechtsprechung ein Antrag auf Widerruf der Zurücknahmeerklärung einer Anmeldung nicht mehr zulässig ist, wenn die Zurücknahme der Öffentlichkeit vom EPA offiziell bekannt gegeben worden ist (J 10/87, ABl. 1989, 323) und ein Dritter zum Zeitpunkt der offiziellen öffentlichen Bekanntmachung auch nach einer Akteneinsicht keinen Grund zu der Annahme gehabt hätte, dass die Zurücknahme ein Irrtum war und später widerrufen werden könnte (J 25/03, ABl. 2006, 395). Die Kammer stellte fest, dass der Antrag auf Zurücknahme, den der Anmelder widerrufen wollte, uneingeschränkt, eindeutig und bedingungslos gewesen sei und dass der Antrag auf Widerruf der Zurücknahme frühestens am folgenden Tag für eine Akteneinsicht zur Verfügung gestanden hätte. Die Kammer befand, dass die Begründung in der Sache J 25/03, in der vom Hinweis auf die Zurücknahme im Europäischen Patentregister bis zur Aufnahme des Antrags auf Widerruf der Zurücknahme in die Akte vier Tage vergangen waren, auf den vorliegenden Fall angewandt werden könne. Jener Entscheidung zufolge sei die offizielle öffentliche Bekanntmachung der Zurücknahme ein Schlüsselereignis, und in einem Fall, in dem ein Dritter zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung auch nach Einsicht in die Akte keinen Grund zu der Annahme gehabt hätte, dass die Zurücknahme ein Irrtum war und später widerrufen werden könnte, wäre die Rechtssicherheit in unvertretbarer Weise beeinträchtigt, wenn ein solcher Widerruf doch noch erfolgen dürfte. Die Kammer in J 6/19 kam daher zu dem Schluss, dass es für ihre Entscheidung nicht relevant sei, dass der Antrag auf Widerruf am selben Tag eingegangen war, an dem die Zurücknahme veröffentlicht wurde. Das Zeiterfordernis der R. 139 EPÜ sei nicht erfüllt. In J 7/19 führte die Kammer aus, dass der Anmelder eine Zurücknahme nur unter bestimmten, in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern festgelegten Bedingungen berichtigen kann. Die erste Bedingung ist das Vorliegen einer Unrichtigkeit im Sinne der R. 139 Satz 1 EPÜ. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern dürfte eine Unrichtigkeit in einer beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlage dann vorliegen, "wenn die Unterlage nicht die wirkliche Absicht dessen wiedergibt, für den sie eingereicht worden ist" (s. J 8/80, ABl. 1980, 293; J 4/82, ABl. 1982, 385). Unrichtigkeiten, die zu einer Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der erklärten Absicht des Beteiligten führen, sind daher nach R. 139 EPÜ berichtigungsfähig. Vorliegend hatte der Anmelder irrtümlich angenommen, dass sich die Ansprüche der europäischen Anmeldung nicht wesentlich von den Ansprüchen der korrespondierenden japanischen Anmeldung unterschieden, und auf der Grundlage dieser irrigen Annahme beschlossen, die Anmeldung fallen zu lassen. Die Kammer stellte zwischen der tatsächlichen und der erklärten Absicht des Beteiligten keine Diskrepanz fest und wies die Beschwerde zurück. Nach der Rechtsprechung der Kammern sind nur Unrichtigkeiten in Bezug auf die Erklärung, ihren Inhalt oder ihre Übermittlung eine Unrichtigkeit im Sinne der R. 139 EPÜ. Die Kammer führte gute rechtspolitische Gründe für diese Beschränkung an. Würde man den Begriff der Unrichtigkeit auf ein Szenario ausdehnen, in dem die Erklärung die Absichten eines Beteiligten richtig wiedergibt, aber auf falschen Annahmen beruht, würde jede irrige Beurteilung der Offenbarung der Anmeldung, der Patentierbarkeit der Erfindung, des Prioritätsanspruchs, der gesetzlichen Bestimmungen oder der einschlägigen Rechtsprechung eine Zurücknahme potenziell berichtigungsfähig machen. Dies wäre der Rechtssicherheit abträglich. Ein Anmelder, der eine Entscheidung über die Zurücknahme getroffen hat, ohne alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, muss die Folgen tragen.
3.8. Zurücknahme einer Anmeldung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |