RECHTSPRECHUNG DER BESCHWERDEKAMMERN UND DER GROSSEN BESCHWERDEKAMMER 2020
IV. VERFAHREN VOR DER ERSTEN INSTANZ
A. Prüfungsverfahren
1. Entscheidungen mangels einer vom Anmelder vorgelegten oder gebilligten Fassung (Artikel 113 (2) EPÜ)
(CLB, IV.B.3.2.3 a))
In T 2277/19 stellte die Kammer fest, dass die in der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannte Fassung als die für die Erteilung vorgesehene Fassung anzusehen sei. Da diese Fassung, auf deren Grundlage das Patent erteilt wurde, vom Anmelder (Beschwerdeführer) gebilligt worden sei, seien die Erfordernisse des Art. 113 (2) EPÜ erfüllt. Der Anmelder könne somit nicht als im Sinne des Art. 107 Satz 1 EPÜ durch die angefochtene Entscheidung beschwert gelten. Demnach sei die vom Anmelder eingelegte Beschwerde nach R. 101 (1) EPÜ unzulässig.
Der Beschwerdeführer hatte (vorbehaltlich der Berichtigung einiger geringfügiger Fehler in der Beschreibung) sein Einverständnis mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung erklärt. Die Kammer vertrat daher die Auffassung, dass die Prüfungsabteilung zu Recht davon ausgegangen sei, dass der Anmelder das Druckexemplar überprüft habe, insbesondere weil er einige Änderungen an der für die Erteilung vorgesehenen Fassung beantragt habe. Die Prüfungsabteilung habe keinen Grund zu der Annahme gehabt, dass das Einverständnis unter dem Vorbehalt gestanden habe, dass tatsächlich nur die Zeichnungsblätter 1 bis 7 zur Veröffentlichung bestimmt seien. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer ausdrücklich auf sein Recht auf eine weitere Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ verzichtet. Obwohl also er nach R. 71 (6) EPÜ weitere Berichtigungen in der ihm mitgeteilten Fassung der Anmeldung hätte beantragen können, habe der Beschwerdeführer offenbar nicht bemerkt, dass die in der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannten Unterlagen nicht den Unterlagen seines früheren Antrags, d. h. den mit seinem Schreiben vom 20. Februar 2018 geänderten Anmeldungsunterlagen, entsprachen.
Der Beschwerdeführer brachte vor, dass der Sachverhalt im vorliegenden Fall dem in der Entscheidung T 1003/19 sehr ähnlich sei, und verwies auch auf T 2081/16. In T 1003/19 habe die Kammer festgestellt, dass das Einverständnis des Anmelders mit der ihm mitgeteilten Fassung nicht maßgeblich sei, da ihm nicht die Fassung mitgeteilt worden sei, in der die Prüfungsabteilung das Patent zu erteilen beabsichtigte, und die Bestimmungen der R. 71 (5) EPÜ nur in diesem Fall gegriffen hätten.
Die Kammer ist den Entscheidungen T 1003/19 und T 2081/16 nicht gefolgt. Ihrer Auffassung nach gibt es im EPÜ keine Rechtsgrundlage für eine Unterscheidung zwischen der in einer Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannten Fassung und der Fassung, die der tatsächlichen Absicht der Prüfungsabteilung entspricht. Zudem wird in R. 71 (6) EPÜ die Möglichkeit berücksichtigt, dass die nach R. 71 (3) EPÜ mitgeteilte Fassung nicht den Anträgen des Beschwerdeführers entspricht. Nach Auffassung der Kammer erlegt Art. 71 (3) EPÜ dem Anmelder somit die Pflicht auf, diese Fassung zu überprüfen. Dass ein Anmelder sein Recht nicht ausübt, Änderungen nach R. 71 (6) EPÜ zu beantragen, kann deshalb nur als Einverständnis mit der ihm mitgeteilten, d. h. der für die Erteilung vorgesehenen Fassung ausgelegt werden. Ob der Anmelder einen etwaigen Fehler bemerkt, ändert nichts daran, dass dieses Einverständnis bindend ist.
2. Zustimmung des Anmelders zum Text
(CLB, IV.B.3.2.)
In T 265/20 stellte die Kammer fest, dass der Anmelder (Beschwerdeführer) nach Erhalt der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung, in der die Zeichnungsblätter 1/4 bis 4/4 in der Liste der Dokumente fehlten, keine Stellungnahme abgegeben hat. Stattdessen entrichtete er die Erteilungs- und Veröffentlichungsgebühr und reichte innerhalb der Frist von 4 Monaten die Übersetzungen der Ansprüche in den anderen Amtssprachen ein. Die Kammer befand, dass damit die in R. 71 (5) EPÜ genannten Voraussetzungen für das Eintreten der Rechtsfolge erfüllt waren, nämlich dass dies als Einverständnis des Anmelders mit der ihm nach R. 71 (3) EPÜ mitgeteilten Fassung galt. Der eindeutige Wortlaut der R. 71 (5) EPÜ lässt keine andere Auslegung als die vorgesehene Rechtsfolge zu. Erstens gibt es im EPÜ keine Rechtsgrundlage für eine Unterscheidung zwischen der in einer Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannten Fassung und der Fassung, die der tatsächlichen Absicht der Prüfungsabteilung entspricht (s. auch T 2277/19, Nr. 1.3 der Gründe). Zweitens führte nicht der Inhalt des Textes dazu, dass das Einverständnis nach R. 71 (5) EPÜ als erteilt galt, sondern die Entrichtung der Gebühr und Einreichung der Übersetzungen nach R. 71 (5) EPÜ durch den Anmelder. Daraus folgt, dass es sinnlos wäre, nach dem "wahren Willen" der Mitglieder der Prüfungsabteilung bei der Abfassung der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ zu forschen. Die endgültige Verantwortung für den Text lag beim Anmelder selbst, nicht bei der Prüfungsabteilung.
Die Kammer befand, dass es in der Verantwortung des Anmelders liege zu prüfen, ob die ihm mitgeteilte Fassung dem entspricht, was er beantragt hat. Dass ein Anmelder sein Recht nicht ausübt, Änderungen nach R. 71 (6) EPÜ zu beantragen, kann deshalb nur als Einverständnis mit der ihm mitgeteilten Fassung, d. h. der für die Erteilung vorgesehenen Fassung ausgelegt werden. Ob der Anmelder einen möglichen Fehler im Text bemerkt hat oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, dass sein Einverständnis bindend ist, unabhängig davon, ob dieses ausdrücklich erteilt wurde oder nach R. 71 (5) EPÜ als erteilt gilt.
Weiter sah die Kammer in den Entscheidungen T 1003/19 und T 2081/16 keine divergierende Rechtsprechung, die eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer nach Art. 112 (1) EPÜ zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung erforderlich machen würde. Für sie ließ der Wortlaut der R. 71 EPÜ zweifelsfrei nicht die Schlussfolgerung zu, dass der "wahre Wille" der Prüfungsabteilung berücksichtigt werden müsse, wenn beurteilt wird, ob das Einverständnis als erteilt gilt und bindend ist. Darüber hinaus konnte sie in den genannten Entscheidungen keine überzeugenden Gründe dafür ausmachen. Siehe auch Kapitel V.A.2. "Materielle Beschwerdeberechtigung (Artikel 107 EPÜ)".
3. Änderungen nach dem Erteilungsbeschluss
(CLB, IV.B.3.6.; IV.B.3.2.2)
In T 646/20 fand die Kammer keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Prüfungsabteilung verpflichtet wäre, einen Erteilungsbeschluss bis zum Ablauf der viermonatigen Frist aufzuschieben, wenn der Anmelder innerhalb dieser Frist der Erteilung zugestimmt und damit der Prüfungsabteilung erlaubt hat, einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Es wäre ziemlich merkwürdig, wenn die Prüfungsabteilung einen Beschluss für den Fall aufschieben müsste, dass der Anmelder es sich anders überlegt hat. Im vorliegenden Fall erteilte der Anmelder nach Erhalt der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ seine ausdrückliche Zustimmung, den Erteilungsbeschluss zu erlassen; nach dem Erteilungsbeschluss erklärte der Beschwerdeführer dann jedoch sein Nichteinverständnis und reichte am Tag der geplanten Veröffentlichung des Erteilungsbeschlusses im Europäischen Patentblatt einen Antrag auf Weiterbehandlung ein. Die Kammer unterschied den vorliegenden Fall von T 1/92 (ABl. 1993, 685), in dem es um widersprüchliche Aussagen des Anmelders ging, die dem Erteilungsbeschluss der Prüfungsabteilung vorangingen. Die Kammer im vorliegenden Fall war auch nicht von dem Argument des Beschwerdeführers überzeugt, eine in Reaktion auf eine Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ verschickte Zustimmung könne nicht als Verzicht auf weitere Optionen oder Rechtsbehelfe ausgelegt werden. Jedes Einverständnis mit der Fassung eines Patents bedeutet einen Verzicht auf die verbleibende unendliche Zahl von Fassungen, in denen ein Patent erteilt werden könnte.
Die Kammer stellte in ihrem Orientierungssatz fest, dass nach der Erteilung keine weiteren Mitgliedstaaten benannt werden können. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung G 1/10 (ABl. 2013, 194) kam die Kammer zu dem Schluss, dass das Patent in der erteilten Fassung im Interesse der Rechtssicherheit nicht mehr geändert werden darf und dass dem Anmelder "angemessene Mittel zur Verfügung standen", um im Vorfeld Abhilfe zu schaffen. Nach Auffassung der Kammer oblag es dem Anmelder, die vollständige Akte zu überprüfen, um alle Unstimmigkeiten zu erkennen, auf die er gegebenenfalls aufmerksam machen wollte. Unstimmigkeiten, die die Fassung und die benannten Mitgliedstaaten in der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ betreffen und nicht in Erwiderung darauf beanstandet wurden, sind als vom Anmelder gebilligt zu betrachten.
4. Zurücknahme der Patentanmeldung
4.1 Berichtigung der Zurücknahme der Anmeldung nach Regel 139 EPÜ
(CLB, IV.B.3.8.2)
In J 6/19 ging der Antrag des Anmelders auf Berichtigung der Zurücknahme der Anmeldung am Tag der Veröffentlichung der Zurücknahmeerklärung im Europäischen Patentregister beim EPA ein.
Die Juristische Beschwerdekammer erinnerte daran, dass nach der ständigen Rechtsprechung ein Antrag auf Widerruf der Zurücknahmeerklärung einer Anmeldung nicht mehr zulässig ist, wenn die Zurücknahme der Öffentlichkeit vom EPA offiziell bekannt gegeben worden ist (J 10/87, ABl. 1989, 323) und ein Dritter zum Zeitpunkt der offiziellen öffentlichen Bekanntmachung auch nach einer Akteneinsicht keinen Grund zu der Annahme gehabt hätte, dass die Zurücknahme ein Irrtum war und später widerrufen werden könnte (J 25/03, ABl. 2006, 395).
Die Kammer stellte fest, dass der Antrag auf Zurücknahme, den der Anmelder widerrufen wollte, uneingeschränkt, eindeutig und bedingungslos gewesen sei und dass der Antrag auf Widerruf der Zurücknahme frühestens am folgenden Tag für eine Akteneinsicht zur Verfügung gestanden hätte. Die Kammer befand, dass die Begründung in der Sache J 25/03, in der vom Hinweis auf die Zurücknahme im Europäischen Patentregister bis zur Aufnahme des Antrags auf Widerruf der Zurücknahme in die Akte vier Tage vergangen waren, auf den vorliegenden Fall angewandt werden könne. Jener Entscheidung zufolge sei die offizielle öffentliche Bekanntmachung der Zurücknahme ein Schlüsselereignis, und in einem Fall, in dem ein Dritter zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung auch nach Einsicht in die Akte keinen Grund zu der Annahme gehabt hätte, dass die Zurücknahme ein Irrtum war und später widerrufen werden könnte, wäre die Rechtssicherheit in unvertretbarer Weise beeinträchtigt, wenn ein solcher Widerruf doch noch erfolgen dürfte. Die Kammer in J 6/19 kam daher zu dem Schluss, dass es für ihre Entscheidung nicht relevant sei, dass der Antrag auf Widerruf am selben Tag eingegangen war, an dem die Zurücknahme veröffentlicht wurde. Das Zeiterfordernis der R. 139 EPÜ sei nicht erfüllt.
In J 7/19 führte die Kammer aus, dass der Anmelder eine Zurücknahme nur unter bestimmten, in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern festgelegten Bedingungen berichtigen kann. Die erste Bedingung ist das Vorliegen einer Unrichtigkeit im Sinne der R. 139 Satz 1 EPÜ. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern dürfte eine Unrichtigkeit in einer beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlage dann vorliegen, "wenn die Unterlage nicht die wirkliche Absicht dessen wiedergibt, für den sie eingereicht worden ist" (s. J 8/80, ABl. 1980, 293; J 4/82, ABl. 1982, 385). Unrichtigkeiten, die zu einer Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der erklärten Absicht des Beteiligten führen, sind daher nach R. 139 EPÜ berichtigungsfähig.
Vorliegend hatte der Anmelder irrtümlich angenommen, dass sich die Ansprüche der europäischen Anmeldung nicht wesentlich von den Ansprüchen der korrespondierenden japanischen Anmeldung unterschieden, und auf der Grundlage dieser irrigen Annahme beschlossen, die Anmeldung fallen zu lassen. Die Kammer stellte zwischen der tatsächlichen und der erklärten Absicht des Beteiligten keine Diskrepanz fest und wies die Beschwerde zurück. Nach der Rechtsprechung der Kammern sind nur Unrichtigkeiten in Bezug auf die Erklärung, ihren Inhalt oder ihre Übermittlung eine Unrichtigkeit im Sinne der R. 139 EPÜ. Die Kammer führte gute rechtspolitische Gründe für diese Beschränkung an. Würde man den Begriff der Unrichtigkeit auf ein Szenario ausdehnen, in dem die Erklärung die Absichten eines Beteiligten richtig wiedergibt, aber auf falschen Annahmen beruht, würde jede irrige Beurteilung der Offenbarung der Anmeldung, der Patentierbarkeit der Erfindung, des Prioritätsanspruchs, der gesetzlichen Bestimmungen oder der einschlägigen Rechtsprechung eine Zurücknahme potenziell berichtigungsfähig machen. Dies wäre der Rechtssicherheit abträglich. Ein Anmelder, der eine Entscheidung über die Zurücknahme getroffen hat, ohne alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, muss die Folgen tragen.
B. Einspruchsverfahren
1. Einspruchseinlegung und Zulässigkeitsvoraussetzungen – Entrichtung der Einspruchsgebühr
(CLB, IV.C.2.2.3)
In T 1000/19 hatten die Vertreter des Einsprechenden in ihrem Begleitschreiben zur Einspruchsschrift (die zwei Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht wurde) erwähnt, dass sie die zuständige Abteilung des EPA ermächtigten, die Einspruchsgebühr von ihrem laufenden Konto abzubuchen. Allerdings hatten sie versäumt, im Feld X des elektronischen EPA-Formblatts 2300E die Zahlungsmethode anzugeben. Die Einspruchsabteilung befand, dass der Einspruch als nicht eingelegt galt (Art. 99 (1) EPÜ).
Die Kammer merkte zunächst an, dass es höchst fraglich ist, ob die Rechtsprechung (z. B. T 1265/10, T 152/82, ABl. 1987, 191 und T 806/99), wonach unter bestimmten Umständen die Absicht der Gebührenzahlung per Abbuchungsauftrag auch bei einem mangelhaften Abbuchungsauftrag als wirksame Zahlung betrachtet werden kann, nach der seit 1. Dezember 2017 geltenden Fassung der VLK weiterhin Anwendung findet. Allerdings musste im vorliegenden Fall weder diese Rechtsfrage noch die Frage, ob der Grundsatz des Vertrauensschutzes Anwendung findet, geklärt werden, weil die Kammer der Auffassung war, dass R. 139 EPÜ anwendbar war und die darin genannten Erfordernisse erfüllt waren.
Die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass R. 139 EPÜ keine zeitliche Beschränkung kenne und deshalb nicht auf die nicht verlängerbare Frist für die Einlegung eines Einspruchs angewandt werden könne, wurde von der Kammer als juristisch falsch zurückgewiesen. Die Kammer verwies auf G 1/12 (ABl. 2014, A114), in der die Große Beschwerdekammer befunden hatte, dass das Verfahren für die Berichtigung von Mängeln nach R. 139 Satz 1 EPÜ im Falle einer fehlerhaften Angabe des Namens des Beschwerdeführers in einer Beschwerdeschrift greift. Wie die Kammer feststellte, ist die Frage, ob eine Beschwerdeschrift Namen und Anschrift des Beschwerdeführers enthält, untrennbar mit der Frage verbunden, ob die Beschwerde wirksam innerhalb der Frist nach Art. 108 Satz 1 EPÜ eingelegt worden ist. Es steht außer Zweifel, dass der Grundgedanke von G 1/12 auch greift, wenn es um die Zulässigkeit eines Einspruchs oder die Frage geht, ob ein Einspruch als eingelegt gilt (T 615/14, T 579/16). Die Kammer sah außerdem keinen Grund, warum die Argumentationslinien aus G 1/12 zur Anwendbarkeit der R. 139 EPÜ nicht ebenso für die Berichtigung eines fehlerhaft ausgefüllten Zahlungsformblatts gelten sollen (s. T 317/19). Die Anwendbarkeit der R. 139 EPÜ auf Abbuchungsaufträge war von den Beschwerdekammern bejaht oder zumindest nicht ausgeschlossen worden (T 152/82, T 17/83 vom 20. September 1983).
Die Kammer stellte unter Verweis auf T 152/85 fest, dass R. 139 EPÜ nur für einen Fehler in einer Unterlage, nicht aber für einen Fehler durch Unterlassung einer Handlung gilt. Im vorliegenden Fall hatte der Einsprechende das EPA-Formblatt 2300E und damit eine Unterlage im Sinne der R. 139 Satz 1 EPÜ eingereicht; der Fehler in der Unterlage bestand darin, dass die Zahlungsmethode nicht aktiviert war. Die Kammer war auch überzeugt, dass die in G 1/12 genannten Erfordernisse für Berichtigungen nach R. 139 Satz 1 EPÜ erfüllt waren.
2. Verspätetes Vorbringen – Begriff der "Verspätung"
(CLB, IV.C.4.3)
In T 2734/16 stellte die Kammer fest, dass eine neue Angriffslinie auf die erfinderische Tätigkeit, die als Reaktion und unter Verwendung der vom Patentinhaber mit der Einspruchserwiderung eingereichten Dokumente verfolgt wird, nicht per se als verspätet anzusehen ist. Sie kann aus Gründen der Waffengleichheit in das Einspruchsverfahren zugelassen werden, auch wenn die Dokumente im Ergebnis nicht relevanter als andere Dokumente sind. Im vorliegenden Fall hatte der Patentinhaber geltend gemacht, dass Großfräsen, von denen die mit der Einspruchserwiderung eingereichten Dokumente Beispiele darstellen sollten, den nächstliegenden Stand der Technik bildeten. Ausgehend hiervon war dem Beschwerdeführer im Rahmen der Waffengleichheit zuzugestehen, die ihm erst durch von der Gegenseite neu eingereichte Dokumente zur Kenntnis gebrachten Tatsachen in seinem eigenen Sinne aufzugreifen und zu einem Gegenangriff mit einer neuen Angriffslinie gegen die erfinderische Tätigkeit zu verwenden. Da dieser Gegenangriff erst möglich geworden war, nachdem der Beschwerdegegner diese Dokumente zu seiner Verteidigung eingereicht hatte, erschien es der Kammer bei Abwägung aller Umstände nicht sachgerecht, die Zulassung der neuen Angriffslinie unter dem Gesichtspunkt der Verspätung und der mangelnden Relevanz der Dokumente, auf die sie gestützt war, abzulehnen. Siehe auch Kapitel V.A.6.4 "Verfahrensstand – Verfahrensökonomie – VOBK 2007".
3. Änderungen im Einspruchsverfahren
3.1 Regel 80 EPÜ
(CLB, IV.C.5.1.1)
In T 2450/17 enthielt Absatz [0008] der Patentschrift nach einer Änderung im Erteilungsverfahren einen unzutreffenden Hinweis auf den Stand der Technik. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer reichte der Beschwerdeführer einen geänderten Absatz [0008] ein, in welchem die unzutreffenden Angaben gestrichen wurden. Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer lehnte die Kammer ab, da sie in der Lage war, die aufgeworfenen Fragen auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung der Kammern zu beantworten. Zu der Frage, ob die beanstandeten Änderungen nach R. 80 EPÜ zulässig sind, führte sie folgendes aus: In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Bezugnahmen auf den Stand der Technik, soweit dieser im Sinne von R. 42 (1) b) EPÜ relevant ist, auch nachträglich eingefügt werden können, ohne dass dies notwendigerweise als unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Patentanmeldung anzusehen wäre. Abgrenzungen vom relevanten Stand der Technik dürfen dabei aber nicht unrichtig oder irreführend sein, andernfalls könnten sie den Gegenstand des Patents doch verändern. Die Beseitigung derartiger Unrichtigkeiten verstößt damit nicht gegen Art. 123 (2) EPÜ, sondern ist im Gegenteil geeignet und geboten, um Konformität mit dieser Vorschrift herbeizuführen. Die Streichung unrichtiger Angaben zum Stand der Technik, von dem die Patentschrift sich abgrenzt, ist daher geeignet, dem Einspruchsgrund gemäß Art. 100 c) EPÜ Rechnung zu tragen. Die Kammer kam auch zu dem Schluss, dass es unzutreffend ist, dass jede Änderung eines unrichtigen Verweises auf den Stand der Technik, der nach R. 80 EPÜ – weil von Art. 100 c) EPÜ veranlasst – zulässig ist, zugleich eine Verletzung von Art. 123 (3) EPÜ darstellt. Sie wies darauf hin, dass zum einen R. 80 EPÜ bereits erfüllt ist, wenn Änderungen an den Patentunterlagen im Hinblick auf einen potentiell relevanten Einspruchsgrund vorgenommen werden und dass zum anderen im vorliegenden Fall eine Schutzbereichserweiterung nicht gegeben ist.
In T 1285/15 war der letzte Satz in einem Absatz des Patents gestrichen worden, um die Beschreibung an einen Anspruchssatz anzupassen, der geändert worden war, um Einwände der Einsprechenden auszuräumen. Die Kammer stellte fest, dass die Änderung somit durch einen Einspruchsgrund nach Art. 100 EPÜ veranlasst war und bei ihrer Durchführung den Erfordernissen der R. 80 EPÜ entsprach. Wie die Kammer erklärte, wird bereits durch den Wortlaut der R. 80 EPÜ ("... durch einen Einspruchsgrund ... veranlasst …") klargestellt, dass bei der Prüfung, ob dieses Erfordernis erfüllt wurde, auf den Sachverhalt zum Zeitpunkt der Änderung abzustellen ist. Aus dem Umstand, dass die Ansprüche später nochmals geändert wurden und folglich die Streichung des Satzes nicht mehr erforderlich war, konnte nicht geschlossen werden, dass die Änderung der Beschreibung rückwirkend gegen R. 80 EPÜ verstieß. Die ursprüngliche Änderung konnte weiter als durch einen Einspruchsgrund veranlasst betrachtet werden.
In T 2063/15 umfasste der strittige Antrag zwei unabhängige Ansprüche. Während allerdings Anspruch 2 auf eine Kombination der Ansprüche 1 und 9 in der erteilten Fassung gestützt war, basierte Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 auf einer Kombination der Ansprüche 1 und 2 in der erteilten Fassung mit zusätzlichen, der Beschreibung entnommenen Merkmalen. Da der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung für nicht neu befunden worden war, war es zwar möglich – so die Kammer –, einen oder mehrere unabhängige Ansprüche auf der Grundlage einer Kombination aus dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung und Merkmalen von erteilten, von Anspruch 1 abhängigen Ansprüchen als durch den Einspruchsgrund nach Art. 100 a) EPÜ veranlasst zu sehen. Unter Verweis auf G 1/84 (ABl. 1985, 299), T 610/95 und T 223/97 befand die Kammer jedoch, dass die Aufnahme des zusätzlichen unabhängigen Anspruchs 1, basierend auf den Ansprüchen 1 und 2 in der erteilten Fassung in Kombination mit Merkmalen aus der Beschreibung, nicht mehr nur durch einen Einspruchsgrund veranlasst war, weil auf diesen Grund bereits mit der Einreichung des unabhängigen Anspruchs 2 reagiert worden war; der zusätzliche unabhängige Anspruch 1 führte ferner einen beanspruchten Gegenstand ein, der keine Entsprechung in den Ansprüchen des erteilten Patents hatte (s. z. B. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019, IV.C.5.1.5 b)).
Auch in T 1764/17 betonte die Kammer, dass der Ersatz eines einzigen erteilten unabhängigen Anspruchs durch zwei unabhängige Ansprüche nur in Ausnahmefällen als durch einen Einspruchsgrund veranlasst angesehen werden kann. Eine Ausnahme kann vorliegen, wenn zwei erteilte abhängige Ansprüche parallel mit einem einzigen unabhängigen Anspruch verbunden sind. Dann kann die Einreichung von zwei unabhängigen Ansprüchen mit jeweils einer der zwei parallelen Anspruchskombinationen möglich sein, und separate Fragmente des Schutzumfangs des Patents bleiben so erhalten. Diese Ausnahme gilt aber nicht für die Hinzufügung eines unabhängigen Anspruchs, der auf einen nicht im erteilten Anspruchssatz enthaltenen Aspekt der Erfindung gerichtet ist. Im vorliegenden Fall war mindestens einer der zwei unabhängigen Ansprüche der betreffenden Hilfsanträge auf einen Gegenstand gerichtet, der aus der Beschreibung entnommene neue Merkmale umfasste, was zudem für die Frage der Patentierbarkeit von Belang sein konnte. Bei diesen unabhängigen Ansprüchen handelte es sich somit nicht um direkte Kombinationen erteilter Ansprüche, und die genannte Ausnahme war nicht gegeben.
3.2 Zeitrahmen für die Einreichung von Änderungen
(CLB, IV.C.5.1.3)
In T 756/18 befand die Kammer, dass die Einspruchsabteilung die Grenzen ihres Ermessens überschritten hatte, da sie nur einen Hilfsantrag zuließ und weitere Anträge sofort und ohne offensichtliche triftige Gründe zurückwies, ohne zumindest geprüft zu haben, ob die Änderungen alle bis dahin wirksam vorgebrachten Einwände zu entkräften vermocht hätten, ohne neue zu begründen, sodass sie potenziell zulässig gewesen wären. Der Fall ließ keine Anzeichen eines Verfahrensmissbrauchs oder einer Verzögerungstaktik des Beschwerdeführers erkennen.
In T 966/17 argumentierte der Beschwerdeführer (Patentinhaber), dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei, da die Einspruchsabteilung die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge nicht zum Verfahren zugelassen hatte.
Die Kammer führte zunächst aus, dass sich das Ermessen der Einspruchsabteilung, geänderte Anträge zum Verfahren zuzulassen, grundsätzlich aus Art. 123 (1) EPÜ (erster Satz) in Verbindung mit R. 79 (1) und 81 (3) EPÜ ergibt, und begründete dies wie folgt: Nach Art. 123 (1) EPÜ kann die europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent im Verfahren vor dem Europäischen Patentamt nach Maßgabe der Ausführungsordnung geändert werden. R. 79 (1) EPÜ eröffnet darüber hinaus im Einspruchsverfahren dem Patentinhaber die Möglichkeit, innerhalb einer von der Einspruchsabteilung gesetzten Frist die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen zu ändern. Die Zulassung späterer Änderungen steht dagegen im Ermessen der Einspruchsabteilung, wie sich etwa aus R. 81 (3) EPÜ ("wird gegebenenfalls Gelegenheit gegeben") erkennen lässt.
Die Kammer befand, dass eine Änderung der Auffassung der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf ihre mit der Ladung kommunizierte vorläufige Meinung alleine nicht dazu führen kann, dass in der mündlichen Verhandlung beliebige Anträge ohne ein Ermessen der Einspruchsabteilung zugelassen werden müssen. Nach Auffassung der Kammer war die vom Beschwerdeführer angezogene Entscheidung T 688/16 vorliegend nicht einschlägig, da die vom Beschwerdeführer eingereichten Hilfsanträge, anders als in T 688/16, einen bereits im schriftlichen Verfahren geäußerten Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ hätten berücksichtigen müssen. Nach Ansicht der Kammer kann, soweit der Beschwerdeführer mit neuen Anträgen auf eine neue Angriffslinie des Einsprechenden und ein neu eingereichtes Dokument reagiert, bei der Entscheidung über die Zulassung berücksichtigt werden, ob die Anträge prima facie gewährbar erscheinen oder ohnehin aufgrund anderer schon länger im Verfahren befindlicher Einwände zurückzuweisen wären.
Die Kammer stellte ferner klar, dass die Parteien in einem strittigen Verfahren kein Anrecht auf eine "detaillierte Anleitung" durch das entscheidende Organ zur Behebung des diskutierten Mangels haben. Stattdessen obliege es jeder Partei, selbst auf den Vortrag des Verfahrensgegners adäquat zu reagieren.
In T 84/17 beantragte der Beschwerdeführer (Patentinhaber), die Entscheidung der Einspruchsabteilung wegen fehlerhafter Ermessensausübung aufzuheben. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dessen in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsanträge nicht zum Verfahren zuzulassen. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien ausgeübt habe, denn sie habe nur geprüft, ob die Anträge rechtzeitig eingereicht wurden, und nicht auch, ob sie prima facie begründet waren.
Die Kammer gelangte jedoch zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen in vertretbarer Weise ausgeübt und die richtigen Kriterien angewandt hatte, wie sie in G 7/93 (ABl. 1994, 775, auf die in T 129/12, T 2415/13 verwiesen wird) dargelegt sind. Wie die Einspruchsabteilung richtigerweise betont habe, seien die Hilfsanträge ohne angemessene Begründung sehr spät eingereicht worden, wo doch die zugrunde liegenden Einwände seit Einlegung des Einspruchs aktenkundig waren und ihre Relevanz in der Anlage zur Ladung kommentiert worden war. Nach Ansicht der Kammer bewirkte die Zulassung bestimmter, von den Beschwerdegegnern in Erwiderung auf die Mitteilung der Einspruchsabteilung eingereichter Dokumente nicht, dass neue Argumente eingeführt wurden, die die Einreichung der Hilfsanträge hätten rechtfertigen können. Im Übrigen basierte die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Anträge nicht zuzulassen, nicht ausschließlich auf der ungerechtfertigten Verspätung, sondern auch auf der Feststellung, dass von den Einsprechenden nicht erwartet werden konnte, sich mit dem spezifischen, durch diese Hilfsanträge eingeführten beschränkten Gegenstand zu befassen, d. h. die Einspruchsabteilung hatte die Änderungen auch materiell geprüft.
Nach Auffassung der Kammer war es unter den gegebenen Umständen nicht nötig, alle Kriterien zu erörtern, die die Ermessensentscheidung theoretisch hätten beeinflussen können. Vielmehr erübrige es sich, alle Kriterien zu erörtern, wenn die Argumente im konkreten Einzelfall zeigten, dass einige Kriterien so viel Gewicht haben, dass andere sie nicht aufwiegen können. Die vom Beschwerdeführer angeführten Entscheidungen (T 463/95, T 1485/08, T 544/12) widersprachen dem nicht, denn keine davon stellte fest oder implizierte, dass die richtigen Kriterien für die Ermessensausübung es der Einspruchsabteilung auferlegten, stets zu prüfen, ob ein neuer Antrag prima facie begründet sei.