1. Patentschutz für technische Erfindungen
1.2. Gesonderte und voneinander unabhängige Patentierbarkeitserfordernisse
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Art. 52 (1) EPÜ 1973 i. V. m. Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 wird im Allgemeinen so verstanden, dass eine beanspruchte Erfindung das Erfordernis des technischen Charakters erfüllen muss, um patentfähig zu sein (s. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 5. Auflage, 2006). Wurde der technische Charakter früher anhand des "Beitragsansatzes" beurteilt, so hat die jüngere Rechtsprechung diesen zugunsten eines Ansatzes aufgegeben, bei dem das Erfordernis des technischen Charakters als ein von den übrigen Erfordernissen des Art. 52 (1) EPÜ 1973 – insbesondere von denen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit – getrenntes und unabhängiges Erfordernis angesehen wird, dessen Erfüllung dementsprechend ohne Berücksichtigung des Stands der Technik beurteilt werden kann (T 1543/06).
Nach T 154/04 (ABl. 2008, 46) geht aus dem Wortlaut von Art. 52 (1) EPÜ 1973 und der Verwendung des Begriffs "Erfindung" im Zusammenhang mit den Patentfähigkeitskriterien klar hervor, dass es sich bei den Erfordernissen der Erfindung, der Neuheit, der erfinderischen Tätigkeit und der gewerblichen Anwendbarkeit um jeweils eigenständige und voneinander unabhängige Kriterien handelt, die hinsichtlich der Erfordernisse mehrere Einwände gleichzeitig begründen können. So ist insbesondere Neuheit nicht etwa Voraussetzung für eine Erfindung im Sinne von Art. 52 (1) EPÜ 1973, sondern ein eigenständiges Erfordernis der Patentfähigkeit. Für diese Auslegung von Art. 52 (1) EPÜ 1973 findet sich eine eindeutige Grundlage in der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer (G 2/88, ABl. 1990, 93, sowie G 1/95, ABl. 1996, 615).