2.3. Vorlage durch eine Beschwerdekammer
2.3.1 Allgemeines
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach Art. 112 (1) a) EPÜ befasst eine Beschwerdekammer die Große Beschwerdekammer, wenn sie eine Entscheidung für erforderlich hält, sei es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder weil sich eine "Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung" stellt. Mit dem EPÜ 2000 wurde der englische Wortlaut von "important" auf "of fundamental importance" geändert, um ihn mit der deutschen und der französischen Fassung in Einklang zu bringen (s. G 1/12, ABl. 2014, A114).
Der Großen Beschwerdekammer können nur Fragen zu einem bestimmten Thema vorgelegt werden, aber nicht der ganze Fall (s. z. B. T 184/91 vom 25. Oktober 1991 date: 1991-10-25, T 198/12). Die Große Beschwerdekammer ist keine dritte Instanz innerhalb des EPA, sondern Teil der von den Beschwerdekammern gebildeten zweiten Instanz (T 79/89, ABl. 1992, 283). Die Antworten der Großen Beschwerdekammer zu den ihr vorgelegten Rechtsfragen sind jedoch für die Entscheidung der vorlegenden Kammer über die anhängige Beschwerde bindend (Art. 112 (3) EPÜ; s. auch J 8/07 vom 1. Juli 2010 date: 2010-07-01).
Die Große Beschwerdekammer ist an die Formulierung der Frage durch die vorlegende Kammer nicht gebunden und kann die Vorlagefrage umformulieren (s. z. B. G 2/08 date: 2010-02-19, ABl. 2010, 456, G 2/10, ABl. 2012, 376, und G 1/13, ABl. 2015, A42). Sie fasst die ihr vorgelegten Fragen nicht eng auf, sondern so, dass die dahinterstehenden Rechtsfragen geklärt werden (G 3/14 unter Verweis auf G 2/88 und G 6/88, ABl. 1990, 93 und 114).
Im Überprüfungsverfahren nach Art. 112a EPÜ ist die Große Beschwerdekammer keine "Beschwerdekammer" im Sinne des Art. 112 (1) a) EPÜ, die in Anwendung dieser Vorschrift ein Vorlageverfahren einleiten könnte (R 7/08, R 1/11, R 7/12). Ebenso ist die Befassung der Großen Beschwerdekammer durch die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten ausgeschlossen (D 5/82, D 7/82, D 9/91, D 30/05).
Ist eine Kammer nicht befugt, über eine Frage zu entscheiden, so ist sie auch nicht befugt, die Große Beschwerdekammer mit dieser Frage zu befassen (T 1142/12).
Eine Kammer kann der Großen Beschwerdekammer eine Frage von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten vorlegen. Weist die Beschwerdekammer den Antrag auf Vorlage zurück, so hat sie dies in ihrer Endentscheidung zu begründen (Art. 112 (1) a) EPÜ). Dies wurde für notwendig erachtet, um den Beteiligten gewisse Garantien zu bieten und zugleich ein gewisses Maß an Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu ermöglichen (Travaux préparatoires, BR/177/72 S. 31). Es wurde jedoch davon abgesehen, den Beteiligten ein Vorlagerecht einzuräumen (BR/168/72 S. 51).
Die am Beschwerdeverfahren Beteiligten sind am Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer beteiligt (Art. 112 (2) EPÜ). Die Große Beschwerdekammer kann den Präsidenten des EPA auffordern, sich zu Fragen von allgemeinem Interesse zu äußern; die Verfahrensbeteiligten sind berechtigt, zu diesen Äußerungen Stellung zu nehmen (Art. 9 VOGBK). Dritte können schriftliche Stellungnahmen (Amicus-curiae-Schriftsätze) bei der Großen Beschwerdekammer einreichen (Art. 10 VOGBK).