1.2. Prüfungsantrag (Regel 70 EPÜ)
1.2.1 Allgemeines
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach Art. 94 (1) EPÜ prüft das EPA nach Maßgabe der Ausführungsordnung auf Antrag, ob die europäische Patentanmeldung und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Der Antrag gilt erst als gestellt, wenn die Prüfungsgebühr entrichtet worden ist (Art. 94 (1), Satz 2 EPÜ; früher Art. 94 (2) EPÜ 1973). Wird ein Prüfungsantrag nicht rechtzeitig gestellt, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen (Art. 94(2) EPÜ).
R. 70 EPÜ behandelt die praktischen Modalitäten für die Stellung des Prüfungsantrags einschließlich Form und Frist. Gemäß R. 70 (1) EPÜ kann der Anmelder bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem Tag, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Veröffentlichung des europäischen Recherchenberichts hingewiesen worden ist, die Prüfung der europäischen Patentanmeldung beantragen. Der Antrag kann nicht zurückgenommen werden.
In J 21/98 (ABl. 2000, 406) wurde festgestellt, dass der Prüfungsantrag im Rahmen des Erteilungsverfahrens einen eigenständigen und von dem (vorangehenden) Schritt der Einreichung der europäischen Patentanmeldung gesonderten Schritt darstellt. Insbesondere zeigt die Vorschrift des Art. 94 (1) EPÜ 1973, der zufolge der Anmelder einen schriftlichen Antrag stellen muss, damit mit der Prüfung der Anmeldung begonnen wird, dass gemäß dem EPÜ die Patentanmeldung nicht als der einzige notwendige Schritt angesehen wird, den der Anmelder für die Erteilung eines Patents vornehmen muss, da ein weiterer Schritt erforderlich ist, nämlich ein schriftlicher Prüfungsantrag, d. h. eine neue Willenserklärung, das Erteilungsverfahren fortzusetzen. Der Anmelder ist somit berechtigt, das Ergebnis des Recherchenberichts zu erfahren, bevor er entscheidet, ob er durch Stellung des Prüfungsantrags und die Zahlung der entsprechenden Gebühr die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens bewirkt oder ob er das Verfahren abbricht. Die Vorschriften des EPÜ zielen eindeutig darauf ab, dem Anmelder die Möglichkeit zu verschaffen, die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens im Lichte des Ergebnisses des Recherchenberichts sorgfältig zu überdenken.
In J 12/82 (ABl. 1983, 221) befand die Juristische Kammer, die eindeutige Formulierung des Art. 94 EPÜ 1973 lasse eine extensive Auslegung nicht zu. Dieser Artikel schreibe vor, dass der Prüfungsantrag schriftlich und innerhalb einer bestimmten Frist zu stellen sei und die Prüfungsgebühr innerhalb derselben Frist entrichtet werden müsse. Sie wies darauf hin, dass die Verfasser des EPÜ 1973, d. h. die Vertragsstaaten, den fristgerecht gestellten Prüfungsantrag mit weitreichenden Wirkungen ausgestattet hätten. Er könne nicht mehr zurückgenommen werden (Art. 94 (2) letzter Satz EPÜ 1973), werde er aber verspätet gestellt, so gelte die Patentanmeldung automatisch als zurückgenommen (Art. 94 (3) EPÜ 1973). Die Juristische Kammer war der Auffassung, die Zahlung der Prüfungsgebühr innerhalb der in Art. 94 (2) EPÜ 1973 EPÜ 1973 vorgesehenen Fristen könne für sich genommen kein Ersatz für die rechtzeitige Stellung des Prüfungsantrags sein.
In J 4/00 vertrat die Juristische Kammer die Auffassung, dass die Entrichtung der Prüfungsgebühr allein für die Stellung eines Prüfungsantrags nach Art. 94 EPÜ 1973 nicht ausreiche, sondern darüber hinaus eine schriftliche Erklärung des Anmelders oder seines Vertreters erforderlich sei, die an das EPA gerichtet ist und dort fristgerecht eingeht und in der der Anmelder seine Absicht bekundet, die Anmeldung prüfen zu lassen. Obwohl es sich dabei um ein von der Entrichtung der Prüfungsgebühr deutlich zu unterscheidendes Erfordernis handle, gebe es für den Prüfungsantrag keinen festgelegten Wortlaut und er könne mit einem Abbuchungsauftrag oder einer sonstigen Zahlungsanweisung in ein und demselben Dokument enthalten sein. Um unter den konkreten Umständen als Prüfungsantrag zu gelten, dürfe der dem EPA übermittelte Wortlaut keine andere Interpretation zulassen als die, dass der Anmelder damit dem EPA seine Absicht kundtun wollte, die Anmeldung gemäß Art. 94 EPÜ 1973 prüfen zu lassen.