2.3. Gegenstand eines auf Grundlage einer Teilanmeldung erteilten Patents
2.3.2 Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In T 475/02 hatte die Kammer zu entscheiden, ob die Patentanmeldung den Erfordernissen des Art. 100 c) EPÜ genügte. Da das angefochtene Patent auf eine Teilanmeldung erteilt worden war, musste der Gegenstand jedes Anspruchs in der erteilten Fassung zwei Tests bestehen, um zulässig zu sein: i) er durfte nicht über den Inhalt der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen und ii) er durfte nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen. Ob der Gegenstand eines Anspruchs den ersten Test besteht, hängt nur vom jeweiligen Anspruch und vom Inhalt der Teilanmeldung in der eingereichten Fassung ab. Besteht der Gegenstand eines Anspruchs den zweiten Test, so bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er auch den ersten besteht, und umgekehrt. Die beiden Tests müssten getrennt durchgeführt werden, vor allem dann, wenn die Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht den vollständigen Wortlaut (Beschreibung und Ansprüche) der Stammanmeldung umfasst.
In T 806/03 hatte die Einspruchsabteilung den ersten Test nach Art. 100 c) EPÜ auf die "Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, sprich auf die Stammanmeldung" angewandt und entschieden, dass diese dem Art. 123 (2) EPÜ nicht genügte. Die Kammer stellte fest, dass nach Art. 100 c) EPÜ für den ersten Test Art. 123 (2) EPÜ und für den zweiten Test Art. 76 (1) EPÜ maßgeblich sei. Dass die Einspruchsabteilung auf die falsche Vorschrift abgestellt habe, wirke sich jedoch inhaltlich nicht auf ihre Entscheidung aus, da die Beschreibung in der Stamm- und in der Teilanmeldung in der jeweils ursprünglich eingereichten Fassung identisch sei.
In T 2233/09 erklärte die Kammer, dass Art. 100 c) EPÜ zwei unterschiedliche Rechtsgründe enthalte: Art. 76 (1) EPÜ und Art. 123 (2) EPÜ. Nachdem im Einspruchsverfahren keine Einwände in Bezug auf Art. 76 (1) EPÜ erhoben worden seien, könne ein diesbezüglicher neuer Rechtsgrund nur mit der Zustimmung des Patentinhabers in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden.
In T 1975/09 befand die Kammer, dass die Einspruchsabteilung bei der Prüfung der Ansprüche des erteilten Patents ihre Entscheidung auf Art. 100 c) EPÜ – und nicht Art. 76 (1) EPÜ – hätte stützen müssen. Bei im Einspruchsverfahren an den Ansprüchen vorgenommenen Änderungen sei es gemäß Art. 101 (3) a) und b) EPÜ Aufgabe der Einspruchsabteilung festzustellen, ob das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand habe, den Erfordernissen des Übereinkommens genügten. Art. 76 (1) EPÜ betreffe ein Erfordernis für die Einreichung einer Teilanmeldung, was nach dem Übereinkommen kein Erfordernis für ein (geändertes) Patent sei. Das Erfordernis nach Art. 123 (2) EPÜ sei daher, obgleich es nicht ausdrücklich auf den Inhalt der "früheren Anmeldung(en)" Bezug nehme, das im Sinne des Art. 101 (3) EPÜ entsprechende Erfordernis des Übereinkommens, welches das geänderte Patent in Bezug auf den Inhalt der früheren und der Teilanmeldung(en) in der ursprünglich eingereichten Fassung erfüllen müsse.