1.1. Auslegungsgrundsätze des Wiener Übereinkommens
G 4/19 × View decision
1. A European patent application can be refused under Articles 97(2) and 125 EPC if it claims the same subject-matter as a European patent which has been granted to the same applicant and does not form part of the state of the art pursuant to Article 54(2) and (3) EPC.
2. The application can be refused on that legal basis, irrespective of whether it a) was filed on the same date as, or b) is an earlier application or a divisional application (Article 76(1) EPC) in respect of, or c) claims the same priority (Article 88 EPC) as the European patent application leading to the European patent already granted.
1.1.2 Ergänzende Auslegungsmittel
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Es stellt eine allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts dar, dass bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge subsidiär die Materialien zur Entstehungsgeschichte berücksichtigt werden können. Gemäß Art. 32 des Wiener Übereinkommens können ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses, herangezogen werden, um die sich unter Anwendung des Art. 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Art. 31 a) die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder b) zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt (T 128/82, ABl. 1984, 164; s. auch G 2/07, ABl. 2012, 130; G 1/08, ABl. 2012, 206, Nr 4.3 der Gründe; G 2/12 und G 2/13).
In G 2/12 und G 2/13 stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass die vorbereitenden Arbeiten ("Travaux préparatoires") und die Umstände des Abschlusses des EPÜ lediglich als ergänzende Quellen dienen, die das Ergebnis der Auslegung bestätigen oder herangezogen werden, wenn bei Anwendung der allgemeinen Auslegungsregel keine sinnvolle Bedeutung zu bestimmen ist (Art. 32 Wiener Übereinkommen).
In J 8/82 (ABl. 1984, 155) stellte die Kammer jedoch fest, es sei eine anerkannte Tatsache, dass das in Art. 31 und Art. 32 des Wiener Übereinkommens über die Auslegung von Verträgen Gesagte lediglich das bestehende Völkerrecht festschreibe. Beispielsweise griff die Juristische Beschwerdekammer in J 4/91 (ABl. 1992, 402) auf die Materialien zum EPÜ 1973 zurück, um ihre im Wege teleologischer und systematischer Auslegung der Vorschriften über die Nachfrist zur Zahlung von Jahresgebühren gewonnene Auffassung zu stützen. Der Zweck des Art. 53 b) EPÜ 1973, sein Verhältnis zu anderen internationalen Verträgen und Rechtstexten sowie seine Entstehungsgeschichte wurden in G 1/98 (ABl. 2000, 111) erörtert. Wortlautauslegung, systematische Auslegung, die Frage nach dem Willen des Gesetzgebers, die historische Auslegung und Erwägungen zur dynamischen Auslegung des Art. 55 (1) EPÜ 1973 führten die Große Beschwerdekammer zu dem Ergebnis in G 3/98 und G 2/99 (ABl. 2001, 62 und 83).
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