T 116/18 × View decision
1. Die vorliegende, auf maschinellem Lernen insbesondere im Zusammenhang mit einem künstlichen neuronalen Netz beruhende Erfindung ist nicht ausreichend offenbart, da das erfindungsgemäße Training des künstlichen neuronalen Netzes mangels Offenbarung nicht ausführbar ist.
2. Da sich im vorliegenden Fall das beanspruchte Verfahren vom Stand der Technik nur durch ein künstliches neuronales Netz unterscheidet, dessen Training nicht im Detail offenbart ist, führt die Verwendung des künstlichen neuronalen Netzes nicht zu einem speziellen technischen Effekt, der erfinderische Tätigkeit begründen könnte.
T 2081/15 × View decision
Plausible argument of the appellant about the choice of specific, non-obvious hardware implementation, in favour of an inventive step over the prior art (Article 56 EPC).
T 919/15 × View decision
Plausibilität und Berücksichtigung nachgereichter experimenteller Daten im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 5.5 und 5.6)
In T 184/16 hielt die Kammer nach Beurteilung der ausreichenden Offenbarung und der erfinderischen Tätigkeit die beanspruchte Wirkung für plausibel und entschied daher, das nachveröffentlichte Beweismittel D4 zu berücksichtigen. Laut Kammer stehe die Anerkennung der Plausibilität nicht im Widerspruch zu der Feststellung, dass der beanspruchte Gegenstand gegenüber dem Stand der Technik nicht naheliegend war. Für Plausibilität und Naheliegen gälten unterschiedliche Kriterien. So reiche es für die Anerkennung der Plausibilität einer beanspruchten Wirkung aus, wenn prima facie keine ernsthaften Zweifel bestünden, dass die Wirkung erzielt werden könne, und umgekehrt im allgemeinen Fachwissen a priori kein Grund oder Hinweis darauf vorliege, dass die Wirkung nicht erzielt werden könne. Über das Naheliegen hingegen werde im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes entschieden, bei dem eine wichtige Überlegung in der Regel sei, ob die beanspruchte Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt werde. Siehe auch Kapitel II.C.2. "Erforderlicher Umfang der Offenbarung bei einer medizinischen Verwendung – Plausibilität".
4.6. Lösung der technischen Aufgabe – nachveröffentlichte Dokumente
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die erfinderische Tätigkeit zu dem für das Patent maßgebenden Stichtag anhand der im Patent enthaltenen Informationen in Verbindung mit dem zu diesem Zeitpunkt verfügbaren allgemeinen Fachwissen zu beurteilen (T 609/02, T 1329/04, T 1545/08). Zudem kann nur dann eine Erfindung vorliegen, wenn in der Anmeldung zumindest glaubhaft gemacht wird, dass die in ihr enthaltene Lehre die angeblich gelöste Aufgabe auch tatsächlich löst. Die Kammern haben im Zusammenhang mit der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit regelmäßig geprüft, ob "die Aufgabe gelöst wird" (T 939/92, ABl. 1996, 309), und haben in Fällen, in denen sie nicht überzeugt waren, dass der Anspruchsgegenstand de facto eine Lösung für die betreffende Aufgabe war, die erfinderische Tätigkeit verneint (T 210/02, T 1329/04) oder eine Neuformulierung der Aufgabe verlangt (T 939/92, T 87/08). Ob die beanspruchte Lösung die Aufgabe tatsächlich löst, d. h. ob der beanspruchte Gegenstand tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielt, ist nach T 1329/04 auf der Grundlage der Daten in der Anmeldung zu prüfen. Nachträglich veröffentlichte Beweisstücke dafür, dass der beanspruchte Gegenstand die gestellte Aufgabe löst, werden berücksichtigt, wenn anhand der im Patent enthaltenen Offenbarung bereits glaubhaft erscheint, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wird. Mit anderen Worten, zusätzliche, nachträglich veröffentlichte Beweisstücke können nicht die einzige Grundlage für den Nachweis bilden, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wird (T 1329/04, T 415/11, T 1791/11, T 488/16). Das allgemeine Fachwissen am Prioritätstag kann zur Auslegung der Lehre einer Anmeldung oder eines Patents verwendet werden. Nachträglich veröffentlichte Beweismittel können nur verwendet werden, um die Lehre der Anmeldung zu stützen (T 716/08, T 578/06).
Zur Qualität der Beweismittel führte die Kammer in T 716/08 aus, dass der eindeutige Beweis für die Erzielung einer Wirkung keine Voraussetzung für die Plausibilität der Wirkung sei.
In T 578/06 wies die Kammer darauf hin, dass das EPÜ keinen experimentellen Nachweis der Patentierbarkeit verlangt; eine Offenbarung von Versuchsdaten oder -ergebnissen in der eingereichten Anmeldung und/oder in nachträglich veröffentlichten Beweisstücken ist nicht immer erforderlich, damit als gesichert gilt, dass der beanspruchte Gegenstand die objektive technische Aufgabe löst. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine begründeten Zweifel geäußert werden. Die Kammer betonte jedoch, dass es nach dieser Rechtsprechung im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nur dann auf eine Glaubhaftmachung ankommt, wenn im betreffenden Fall begründete Zweifel daran bestehen können, dass die beanspruchte Erfindung geeignet ist, die gestellte technische Aufgabe zu lösen, und es daher keineswegs offensichtlich ist, dass die beanspruchte Erfindung die gestellte Aufgabe löst. Noch deutlicher ist dies bei Erfindungen, in denen die erfinderische Tätigkeit verneint wurde, weil die gestellte Aufgabe nicht als gelöst angesehen wurde. Als Beispiele nannte die Kammer T 893/02 und T 1329/04.
In T 433/05 verwies die Kammer für ihre Entscheidung darüber, ob die technische Aufgabe zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich durch den Gegenstand von Anspruch 1 gelöst wurde, auf die Entscheidungen T 1329/04 und T 1336/04 (s. auch T 1306/04, T 710/05, T 1396/06).
In T 1329/04 wurde festgestellt, dass aus der Definition einer Erfindung als Beitrag zum Stand der Technik, d. h. als Lösung und nicht bloß als Stellung einer technischen Aufgabe, folgt, dass anhand der in der Anmeldung enthaltenen Offenbarung zumindest glaubhaft gemacht werden muss, dass die darin enthaltene Lehre die angeblich gelöste Aufgabe auch tatsächlich löst. Auch wenn zusätzliche, nachträglich veröffentlichte Beweisstücke unter bestimmten Umständen ebenfalls berücksichtigt werden können, können sie doch nicht die einzige Grundlage für den Nachweis bilden, dass die Anmeldung die angeblich gelöste Aufgabe tatsächlich löst. In dem betreffenden Fall entschied die Kammer, dass die nachträglich veröffentlichten Beweisstücke nicht zur Stützung der in der eingereichten Fassung der Anmeldung enthaltenen Nachweise berücksichtigt werden könnten, da keine vorhanden seien. Die nachträglich veröffentlichten Beweisstücke seien die erste über bloße Spekulation hinausgehende Offenbarung und daher außer Betracht zu lassen, so die Kammer.
In einer technisch hiervon unterschiedlichen Situation wurde die beanspruchte Erfindung von derselben Kammer 3.3.08 (aufgrund der Qualität der im betreffenden Patent angebotenen Beweise) als ernsthafter Lösungsvorschlag für die zu lösende Aufgabe angesehen, sodass die Kammer die Lösung der Aufgabe unter zusätzlicher Heranziehung der Offenbarung in einem nachträglich veröffentlichten Dokument gelten ließ (T 1336/04).
Vor dem Hintergrund der Entscheidungen T 1329/04 und T 1336/04 hielt es die Kammer in T 433/05 unter den Umständen des vorliegenden Falls für angemessen, ein zusätzliches, nachträglich veröffentlichtes Dokuments zu berücksichtigen, um festzustellen, ob die Anmeldung die angeblich gelöste Aufgabe tatsächlich löste. In Anbetracht der Offenbarung in dem streitigen Patent, die durch das nachträglich veröffentlichte Dokument gestützt wurde, gelangte die Kammer zu der Auffassung, dass die Aufgabe durch den Gegenstand der Ansprüche gelöst wurde.
In T 778/08 wurden die nachveröffentlichten Dokumente berücksichtigt, weil sie lediglich bestätigten, dass die allgemeine Idee des erfindungsgemäßen Verfahrens schlüssig war. Mit dieser Feststellung wich die Kammer nicht von T 1329/04 ab. Im vorliegenden Fall ließen die in der ursprünglich eingereichten Anmeldung vorgelegten Versuchsdaten die behauptete Wirkung und ihre Lösung plausibel erscheinen, so dass die nachveröffentlichten Dokumente nicht die erste über bloße Spekulation hinausgehende Offenbarung darstellten, sondern noch einmal bestätigten, dass die allgemeine Idee der beanspruchten Erfindung funktionierte.
In T 2371/13 befand die Kammer hingegen, dass die mangelnde Plausibilität einer Wirkung wegen fehlender Beweise in der Patentanmeldung kein ausreichender Grund ist, um zum Nachweis dieser Wirkung nachgereichte Vergleichsversuche nicht zu berücksichtigen. Würde man die Versuche aus diesem Grund nicht berücksichtigen, widerspräche dies dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz, dem zufolge eine technische Aufgabe ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik zu definieren ist und dieser nicht unbedingt der in der Patentanmeldung genannte sein müsse. Laut der Kammer ist es durchaus üblich, zum Nachweis der erfinderischen Tätigkeit eine technische Wirkung geltend zu machen, die in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht ausdrücklich genannt ist. Der Einwand, wonach die Erfindung nach der Einreichung der Anmeldung erst noch zu machen war, sei eher eine Frage im Zusammenhang mit Art. 83 EPÜ.
- T 184/16
- T 116/18
- T 2081/15
- T 919/15
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