RECHTSPRECHUNG DER BESCHWERDEKAMMERN UND DER GROSSEN BESCHWERDEKAMMER 2020
I. PATENTIERBARKEIT
A. Ausnahmen von der Patentierbarkeit
1. Erzeugnisansprüche auf Pflanzen oder Pflanzenmaterial
(Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019 ("CLB"), I.B.3.3.3)
In ihrer Stellungnahme G 3/19 (ABl. 2020, A119) analysierte die Große Beschwerdekammer zunächst Umfang und Schwerpunkt der Vorlage und stellte fest, dass die beiden zugrunde liegenden Fragen zusammenhingen und in einer einzigen Frage zusammengefasst werden konnten:
"Könnte unter Berücksichtigung der Entwicklungen, die nach einer Entscheidung der Großen Beschwerdekammer eingetreten sind, bei der eine Auslegung des Umfangs des Patentierbarkeitsausschlusses von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren in Art. 53 b) EPÜ getroffen wurde, dieser Ausschluss negative Auswirkungen auf die Gewährbarkeit von auf Pflanzen, Pflanzenmaterial oder Tiere gerichteten Erzeugnisansprüchen oder Product-by-Process-Ansprüchen haben, wenn das beanspruchte Erzeugnis ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen wird oder das beanspruchte Verfahrensmerkmal ein im Wesentlichen biologisches Verfahren definiert?"
Hinsichtlich des Art. 53 b) EPÜ für sich genommen, d. h. ohne Bezugnahme auf R. 28 (2) EPÜ, bestätigte die Große Beschwerdekammer ihre früheren Entscheidungen G 1/98 (ABl. 2000, 111), G 2/07 (ABl. 2012, 130) und G 1/08 (ABl. 2012, 206) sowie G 2/12 (ABl. 2016, A27) und G 2/13 (ABl. 2016, A28). Sie fand keine spätere Übereinkunft oder Übung im Sinne von Art. 31 (3) a) und b) des Wiener Übereinkommens zur früheren Auslegung.
Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer führt die Anwendung der verschiedenen Auslegungsmethoden nach Art. 31 und 32 des Wiener Übereinkommens, bei der auch die späteren Entwicklungen in den Vertragsstaaten berücksichtigt werden, nicht zu der Feststellung, dass der Begriff "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" in Art. 53 b) EPÜ klar und eindeutig so zu verstehen wäre, dass er sich auf Erzeugnisse erstreckt, die durch solche Verfahren definiert oder gewonnen werden. Sie bestätigte daher ihre diesbezüglichen Schlussfolgerungen in G 2/12.
Gleichzeitig räumte die Große Beschwerdekammer jedoch ein, dass Art. 53 b) EPÜ einem solchen umfassenderen Verständnis des Verfahrensausschlusses auch nicht entgegensteht. Außerdem erkannte sie an, dass sich die der Entscheidung G 2/12 zugrunde liegende Rechts- und Sachlage mit dem Erlass der R. 28 (2) EPÜ wesentlich geändert hat. Diese Änderung stellt einen neuen Aspekt dar, der sich seit der Unterzeichnung des EPÜ ergeben hat und Grund zu der Annahme geben kann, dass eine grammatische und restriktive Auslegung des Wortlauts des Art. 53 b) EPÜ in Widerspruch zu den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen steht, während eine dynamische Auslegung zu einem vom Wortlaut der Vorschrift abweichenden Ergebnis führen könnte. Die Große Beschwerdekammer befand, dass der Patentierbarkeitsausschluss von Erzeugnissen, die ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen werden, nicht mit dem Wortlaut des Art. 53 b) EPÜ unvereinbar ist, der diese breitere Auslegung des Begriffs "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren" nicht ausschließt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Aufnahme der R. 28 (2) EPÜ angesichts der eindeutigen gesetzgeberischen Absicht der im Verwaltungsrat vertretenen Vertragsstaaten und im Hinblick auf Art. 31 (4) des Wiener Übereinkommens eine dynamische Auslegung des Art. 53 b) EPÜ zulässt und sogar verlangt.
Die Große Beschwerdekammer gab deshalb die in G 2/12 getroffene Auslegung des Art. 53 b) EPÜ auf und befand im Lichte der R. 28 (2) EPÜ, dass der Begriff "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren" in Art. 53 b) EPÜ so zu verstehen und anzuwenden ist, dass er sich auf Erzeugnisse erstreckt, die ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen werden, oder auf Fälle, in denen das beanspruchte Verfahrensmerkmal ein im Wesentlichen biologisches Verfahren definiert. Auf dieser Grundlage beantwortete die Große Beschwerdekammer die Vorlagefrage schließlich wie folgt:
"Unter Berücksichtigung der Entwicklungen nach den Entscheidungen G 2/12 (ABl. 2016, A27) und G 2/13 (ABl. 2016, A28) der Großen Beschwerdekammer wirkt sich der Patentierbarkeitsausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren in Art. 53 b) EPÜ negativ auf die Gewährbarkeit von auf Pflanzen, Pflanzenmaterial oder Tiere gerichteten Erzeugnisansprüchen und Product-by-Process-Ansprüchen aus, wenn das beanspruchte Erzeugnis ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen wird oder die beanspruchten Verfahrensmerkmale ein im Wesentlichen biologisches Verfahren definieren.
Diese negative Auswirkung gilt nicht für vor dem 1. Juli 2017 erteilte europäische Patente und für anhängige europäische Patentanmeldungen, die vor diesem Tag eingereicht wurden und noch anhängig sind."
2. Medizinische Methoden
2.1 Chirurgischer Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren
(CLB, I.B.4.3.1)
In T 1631/17 handelte es sich um ein Verfahren zur Herstellung von Zahnersatzteilen. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Patent zu widerrufen. Es war unbestritten, dass der Wortlaut von Anspruch 1 keinen expliziten Verfahrensschritt beinhaltete, der im Sinne von Art. 53 c) EPÜ als chirurgisch anzusehen gewesen wäre. Allerdings umfasste das beanspruchte Verfahren einen solchen Schritt, was ausreichend ist, um unter den Ausschlusstatbestand des Art. 53 c) EPÜ zu fallen (G 1/07, ABl. 2011, 134). Gemäß der Beschreibung beginnt das erfindungsgemäße Verfahren damit, dass eine erste Abformung von einem Gebiss genommen wird, in dem zunächst provisorisch die fehlende Zahnsubstanz ergänzt wurde. Dieses "fertige" Gebiss wird abgeformt und erst danach werden die Zähne für die zweite Abformung präpariert. Mithilfe der beiden Abformungen wird der Zahnersatz hergestellt. Daraus ergab sich, dass das Ergänzen der fehlenden Zahnsubstanz ein wesentliches Merkmal der Erfindung darstellte. Dies gilt im vorliegenden Fall insbesondere auch deshalb, weil dieser Schritt genau den Beitrag darstellte, der über den Stand der Technik hinausging. Dieser Verfahrensschritt musste daher bei der Auslegung des Anspruchs mitgelesen werden. Die Präparation der Zähne, die nach der ersten Abformung stattfindet, lag damit ebenfalls zeitlich und räumlich innerhalb des beanspruchten Verfahrens. Das beanspruchte Verfahren konnte ohne eine unmittelbare Durchführung des Zwischenschritts der Präparation der Zähne nicht durchgeführt werden, weil sonst die zweite Abformung nicht hätte erstellt werden können. Naturgemäß wird die Präparation der Zähne direkt am Patienten durchgeführt und stellt einen chirurgischen Verfahrensschritt dar, weil dabei invasiv und in erheblichem Maße Körpergewebe entfernt wird.
B. Neuheit
1. Zugänglichmachung – Geheimhaltungsverpflichtung
(CLB, I.C.3.4.4)
Die entscheidende Frage in T 72/16 lautete, ob der Vorwurf der offenkundigen Vorbenutzung durch Verkauf und Lieferung von Produkten hinreichend bewiesen war. In dieser Sache hatte Aspen ein Produkt (48 Rohrabschnitte) an Technip verkauft. Die Kammer stimmte dem Patentinhaber zu, dass es sich nicht um den Verkauf und die Lieferung eines kommerziell verfügbaren Endprodukts gehandelt habe, das dadurch öffentlich zugänglich geworden sei. Die Beweismittel zeigten, dass es sich vielmehr um ein Entwicklungsprodukt handelte, einen Prototypen, der im Rahmen eines laufenden Programms zur Zusammenarbeit geliefert worden sei. Somit konnte Technip nicht als reiner Kunde und keiner der beiden Partner als Mitglied der Öffentlichkeit betrachtet werden. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann ein solches Verhältnis zwischen zwei Firmen, von denen die eine die andere beauftragt, Prototypen und Produkte für Testzwecke zu entwickeln und zu liefern, nicht mit dem Verhältnis zwischen Händler und Kunden gleichgesetzt werden, und in solchen Fällen gilt eine Geheimhaltungsverpflichtung. Gemäß der üblichen Praxis besteht hier zumindest eine implizite Geheimhaltungspflicht für beide Unternehmen. Somit trug der Beschwerdeführer (Einsprechende) die Beweislast dafür, dass es keine Geheimhaltungsvereinbarung gab. Das Argument des Zeugen, dass die Geheimhaltungsvereinbarung asymmetrisch, d. h. nur für Aspen bindend war, nicht aber für Technip, erscheint nicht wahrscheinlich und steht erfahrungsgemäß eher im Widerspruch zur Situation in vergleichbaren Zusammenarbeitsprojekten; es wurde auch nicht durch weitere Beweismittel gestützt. Es war keine Überraschung, dass der Zeuge, ein Ingenieur und kein IP-Experte, nicht alle Geheimhaltungsverpflichtungen kannte, die für die andere Partei bindend waren.
Die Kammer kam zu dem Schluss, dass Technip kein reiner Kunde war. Aspen und Technip waren vielmehr Partner in einem Produktentwicklungsprojekt, und ihrer Zusammenarbeit lag zumindest eine implizite Geheimhaltungsvereinbarung zugrunde. Keine der Vorbenutzungen war bewiesen, sodass keine zum Stand der Technik gehörte.
2. Feststellung von Unterschieden – unterscheidende Merkmale
(CLB, I.C.5.2.5)
In T 1930/14 ging es um ein Verfahren zur Aufreinigung von Antikörpern. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem befunden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu sei.
Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) brachte vor, dass Anspruch 1 nur für Verfahren gelte, in denen die Trennung monomerer Antikörper von Aggregaten mit dem Schritt eines schwachen CM-Kationenaustausches erzielt werde. Er brachte weiter vor, dass der Anspruch gemäß den in T 1931/14 beschriebenen Grundsätzen auszulegen sei. Seiner Auffassung nach definierte der im Anspruch genannte Zweck, d. h. die "Aufreinigung eines monoklonalen Antikörpers von Aggregaten davon" die Anwendung oder Nutzung des beanspruchten Verfahrens (im Gegensatz zu seiner Wirkung). In Einklang mit der Entscheidung T 1931/14 sei dieser Zweck als funktionelles technisches Merkmal des Anspruchs zu betrachten, d. h. er stelle eine Beschränkung des Verfahrens dar.
Nach Meinung der Kammer kann die Feststellung in T 1931/14 "Wenn die Zweckangabe die spezifische Verwendung des Verfahrens definiert, sind bestimmte zusätzliche Schritte erforderlich, die nicht in den übrigen im Anspruch definierten Schritten impliziert oder inhärent enthalten sind und ohne die das beanspruchte Verfahren nicht das angegebene Ziel erreichen würde" (Nr. 2.2.4 der Gründe) nur in Fällen Bestand haben, in denen es unmissverständlich klar ist, dass der Zweck solche Schritte impliziert, und in denen es ebenfalls unmissverständlich klar ist, wie diese Schritte tatsächlich aussehen. In T 1930/14 konnte die Kammer weder im Anspruch selbst noch in der Beschreibung eine Angabe ermitteln, aufgrund deren der Fachmann verstehen würde, dass der genannte Zweck "zur Aufreinigung eines monoklonalen Antikörpers von Aggregaten davon" impliziere, dass das beanspruchte Verfahren zusätzliche Schritte umfasse. Das beanspruchte Verfahren enthielt keine durch seinen Zweck begründeten impliziten zusätzlichen Schritte. Daher gab es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine angeblich durch den Zweck implizierten Schritte, die dazu dienten, das beanspruchte Verfahren von dem in Dokument D1 offenbarten zu unterscheiden. Anspruch 1 erfüllte nicht die Erfordernisse des Art. 54 EPÜ.
3. Chemische Erfindungen und Auswahlerfindungen – Listen
(CLB, I.C.6.2.1b))
In T 2350/16 argumentierte der Beschwerdeführer (Einsprechende), der Gegenstand von Anspruch 1 sei von der Druckschrift D1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Kammer befand zunächst, dass D1 alle Merkmale von Anspruch 1 als solche offenbarte. Es blieb jedoch noch zu prüfen, ob D1 diese Merkmale auch in Kombination offenbarte. Die Kammer fasste in einer Tabelle zusammen, wo und in welchem Kontext die Merkmale 1d bis 1h offenbart waren, und gab auch an, aus wie vielen Varianten ausgewählt werden musste, um das Merkmal zu erhalten. Sie kam zu dem Schluss, dass alle Merkmale in Kombination offenbart waren. Die Kammer stellte zudem fest, dass die Rechtsprechung betreffend die Auswahl aus Listen hier nicht zur Anwendung kommen konnte, da es sich nicht um (lange) Listen handelte, wie sie in der Chemie gebräuchlich sind, sondern jeweils nur um eine Auswahl aus höchstens zwei oder drei Elementen. Da die D1 alle Merkmale von Anspruch 1 in Kombination offenbarte, war der Gegenstand dieses Anspruchs durch die D1 neuheitsschädlich vorweggenommen.
Die Kammer machte auch Ausführungen zur Rolle des Fachmanns bei der Neuheitsprüfung. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) hatte wiederholt geltend gemacht, dass die D1 Stand der Technik im Sinne von Art. 54 (3) EPÜ darstelle und es daher nicht zulässig sei, "dauernd den Fachmann zu bemühen". Die Kammer konnte dem nicht zustimmen. Auch wenn dies nicht immer explizit erwähnt wurde, ist eine Neuheitsprüfung ohne ständige Bemühung des Fachmanns gar nicht denkbar. Allerdings ist es ihm in diesem Zusammenhang verwehrt, Fragen der Plausibilität oder des Naheliegens, wie sie sich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellen können, zu behandeln.
4. Zweite medizinische Verwendung
(CLB, I.C.7.2.4)
In T 264/17 stellte die Kammer fest, dass das beanspruchte Schmiermittel zum Ersatz der Synovialflüssigkeit als Stoff oder Stoffgemisch im Sinne von Art. 54 (4) und (5) EPÜ gilt. Die therapeutische Wirkung der beanspruchten perfluorierten Polyether bestand darin, einen Ersatz für die Synovialflüssigkeit in erkrankten Gelenken darzustellen. Nach Ansicht der Kammer wurde diese Wirkung durch die stofflichen Eigenschaften der beanspruchten Schmiermittel erzielt. Wie in der Beschreibung erklärt, basierte die schmierende Wirkung der perfluorierten Polyether auf ihren omniphoben Eigenschaften, d. h. darauf, dass sie gegenüber sowohl hydrophoben als auch hydrophilen Flüssigkeiten abstoßend wirken, sich selbständig zusammenziehen und dadurch permanent ein neuer Gleitfilm ausgebildet wird. Diese Stoffeigenschaften werden durch die chemische Struktur der Polyether verursacht. Die physiologische Wirkung der Polyether wurde also über ihre Art der Wechselwirkung (oder Nicht-Wechselwirkung) mit biologischem Gewebe erzielt.
Der therapeutische Effekt wurde auch unzweifelhaft von einer chemischen Zusammensetzung verursacht, nämlich von den im Anspruch definierten perfluorierten Polyethern. Ob diese im klassischen Sinn als "Aktivstoffe" bezeichnet werden oder nicht, sei dabei laut Kammer nebensächlich.
5. Zweite (bzw. weitere) nicht medizinische Verwendung
(CLB, I.C.8.1.1)
In T 1385/15 stellte die Kammer fest, dass einem Anspruch auf eine weitere nicht medizinische Verwendung die Neuheit nicht abgesprochen werden kann, wenn die beanspruchte technische Wirkung des Stoffes und die beanspruchte Verwendungsweise nicht in Kombination im Stand der Technik offenbart sind.
Der unabhängige Anspruch 1 des Patents, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhte, betraf die Verwendung eines Reinigungsmittels, das wenigstens zwei verschiedene Tenside enthielt, ausgewählt aus wenigstens zwei der drei Gruppen kationische, nichtionische und amphotere Tenside, und anwendungsfertig verdünnt in wässriger Lösung einen pH-Wert von wenigstens 10,5 aufwies, zur Abtötung/Inaktivierung von Mikroorganismen ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Bakterien, Viren und Pilzen bei der maschinellen Desinfektion von Gegenständen.
In der angefochtenen Entscheidung berief sich die Einspruchsabteilung auf die Dokumente D1a und D2 und gelangte zu der Auffassung, der unabhängige Verwendungsanspruch 1 sei nicht neu gegenüber dem Dokument D1a, unter Berücksichtigung von D2. Zwar offenbarten weder D1a noch D2 für sich genommen alle Merkmale des Anspruchs 1 des Patents. Nach Analyse der Entscheidung G 6/88 (ABl. 1990, 114), die für die Beurteilung der Neuheit von Ansprüchen die auf eine zweite nicht medizinische Verwendung gerichtet sind, einschlägig war, kam sie aber zu dem Schluss, dass das Merkmal "zur Abtötung von […] Bakterien, Viren und Pilzen" nicht geeignet sei, Neuheit gegenüber D1a herzustellen. Diese technische Wirkung der im Anspruch definierten Reinigungsmittel sei nämlich bereits aus D2 bekannt und könne daher gemäß dem Leitsatz der G 6/88 ("wenn dieses technische Merkmal nicht bereits früher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist") dem Anspruch keine Neuheit verleihen.
Nach Überzeugung der Kammer war die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Rechtsauffassung von G 6/88 nicht gedeckt. In G 6/88 selbst werde in Nummer 8 der Entscheidungsgründe ausgeführt, dass auf mangelnde Neuheit nur erkannt werden kann, sollten alle technischen Merkmale der beanspruchten Erfindung in Verbindung miteinander der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein. Die Kammer war daher der Ansicht, dass ein Neuheitseinwand nicht auf die Kombination der Lehre der D1a und D2 gestützt werden konnte.
Zusammenfassend wurde in G 6/88 dargelegt, dass das neuheitsbegründende funktionelle technische Merkmal darin besteht, eine technische Wirkung in einem bestimmten Zusammenhang zu erzielen. Im vorliegenden Fall war daher das funktionelle technische Merkmal die antimikrobielle Aktivität im Zusammenhang mit der im Anspruch genannten maschinellen Desinfektion von Gegenständen. Dieses Merkmal war in D2 nicht offenbart und konnte diesem Dokument deshalb ohnehin nicht entnommen werden.
C. Erfinderische Tätigkeit
1. Unterscheidung zwischen Plausibilität und Naheliegen
(CLB, I.D.4.6.)
In T 184/16 hielt die Kammer nach Beurteilung der ausreichenden Offenbarung und der erfinderischen Tätigkeit die beanspruchte Wirkung für plausibel und entschied daher, das nachveröffentlichte Beweismittel D4 zu berücksichtigen. Laut Kammer stehe die Anerkennung der Plausibilität nicht im Widerspruch zu der Feststellung, dass der beanspruchte Gegenstand gegenüber dem Stand der Technik nicht naheliegend war. Für Plausibilität und Naheliegen gälten unterschiedliche Kriterien. So reiche es für die Anerkennung der Plausibilität einer beanspruchten Wirkung aus, wenn prima facie keine ernsthaften Zweifel bestünden, dass die Wirkung erzielt werden könne, und umgekehrt im allgemeinen Fachwissen a priori kein Grund oder Hinweis darauf vorliege, dass die Wirkung nicht erzielt werden könne. Über das Naheliegen hingegen werde im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes entschieden, bei dem eine wichtige Überlegung in der Regel sei, ob die beanspruchte Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt werde. Siehe auch Kapitel II.C.2. "Erforderlicher Umfang der Offenbarung bei einer medizinischen Verwendung – Plausibilität".
2. Nächstliegender Stand der Technik – erfolgversprechendster Ausgangspunkt
(CLB, I.D.3.4.)
In T 1450/16 hatte der Beschwerdeführer (Anmelder) argumentiert, dass der Fachmann das Dokument D1 nicht als nächstliegenden Stand der Technik ausgewählt hätte. Die Kammer stimmte der Ansicht des Beschwerdeführers nicht zu, wonach gemäß dem maßgebenden Aufgabe-Lösungs-Ansatz der Fachmann damit betraut werden könne, den nächstliegenden Stand der Technik oder einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auszuwählen, was der erste von mehreren Schritten des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes ist. Nach Ansicht der Kammer würde dies bedeuten, dass dieselbe (fiktive) Person, die letztlich das Naheliegen eines bestimmten beanspruchten Gegenstands beurteilt, von vornherein ihr "favorisiertes" Dokument aus dem Stand der Technik auswählen würde, um diese Beurteilung durchzuführen. Da die objektive technische Aufgabe aus den festgestellten Unterscheidungsmerkmalen gegenüber dem gewählten nächstliegenden Stand der Technik abzuleiten ist, würde eine solche Auswahl ferner implizieren, dass dieser Fachmann sich die objektive Aufgabe selbst stellen könnte. Dies widerspräche jedoch dem eigentlichen Ziel des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, nämlich eine objektive Methode zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bereitzustellen und soweit wie möglich eine unzulässige rückschauende Analyse zu vermeiden. Obwohl es Rechtsprechung gibt, die zumindest implizit besagt, dass der Fachmann seinen "eigenen" nächstliegenden Stand der Technik auswählen kann (s. z. B. T 1841/11, T 2057/12, T 1248/13), folgte die Kammer im vorliegenden Fall den Schlussfolgerungen aus z. B. T 422/93 (ABl. 1997, 24, Leitsatz 1) und T 1140/09, wonach der maßgebende Fachmann ausgehend von der objektiven technischen Aufgabe zu bestimmen ist. Nach Auffassung der Kammer kommt somit der Fachmann nach Art. 56 EPÜ erst ins Spiel, wenn die objektive technische Aufgabe bereits formuliert worden ist. Der Fachmann nach Art. 56 EPÜ ist somit die Person, die zur Lösung der festgelegten objektiven technischen Aufgabe berufen ist (s. z. B. T 32/81, ABl. 1982, 225; T 26/98; T 1523/11), und nicht zwingend die Person, die auf dem Gebiet der zugrunde liegenden Anmeldung oder des ausgewählten nächstliegenden Stands der Technik versiert ist, wie offenbar in T 25/13 argumentiert wurde. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass gemäß den Feststellungen aus T 855/15 das jeweilige Entscheidungsorgan (dessen Mitglieder nicht mit dem fiktiven Fachmann gleichgesetzt werden können; s. T 1462/14) – sei es die Prüfungsabteilung, die Einspruchsabteilung oder die zuständige Beschwerdekammer – den nächstliegenden Stand der Technik auswählen muss, und nicht der Fachmann nach Art. 56 EPÜ. Die Kammer fasste ihre Feststellungen wie folgt im Orientierungssatz zusammen: Bei der Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kommt der Fachmann im Sinne des Art. 56 EPÜ erst ins Spiel, wenn die objektive technische Aufgabe ausgehend vom ausgewählten "nächstliegenden Stand der Technik" formuliert worden ist. Erst dann können das einschlägige Fachgebiet des fiktiven Fachmanns und der Umfang dieses Fachgebiets angemessen definiert werden. Deshalb kann die Auswahl des nächstliegenden Stands der Technik im ersten Schritt des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes nicht vom "Fachmann" vorgenommen werden. Diese Auswahl ist vielmehr vom zuständigen Entscheidungsorgan auf der Grundlage der etablierten Kriterien zu treffen, um eine rückschauende Analyse zu vermeiden.
In T 787/17 bestimmte die Kammer, dass die D2 dem Erfindungsgegenstand am nächsten kommt und daher als "nächstliegender Stand der Technik" im Sinne des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes dient. Innerhalb der D2 kam das Ausführungsbeispiel der Fig. 11a der Erfindung am nächsten. Die Kammer konnte sich dem Vortrag nicht anschließen, dass dieses Ausführungsbeispiel keinen realistischen Ausgangspunkt darstelle, weil es dem Fachmann keine Hinweise liefere, wie er zur Lösung der Aufgabe vorgehen solle. Grundsätzlich ist jedes Element des Stands der Technik auf dem Gebiet der Erfindung, das einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde, ein möglicher Ausgangspunkt. Einer besonderen Rechtfertigung, z. B. basierend auf Überlegungen des Fachmanns, bedarf es dazu nicht. Insbesondere ist die Frage, ob ein solches Element einen Hinweis zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe enthält, für seine Wahl als Ausgangspunkt irrelevant. Dies geht schon daraus hervor, dass die objektive technische Aufgabe erst auf Grundlage des Ausgangspunktes definiert werden kann. Es bedarf auch keiner Rechtfertigung, warum der Fachmann innerhalb einer vorveröffentlichten Druck-schrift, die eine große Zahl von Ausführungsbeispielen umfasst, gerade von einem bestimmten Ausführungsbeispiel ausgehen würde. Jedes der Ausführungsbeispiele stellt ein Element des Stands der Technik dar, das als solches dem (fiktiven) Fachmann bekannt ist und deshalb auch als Ausgangspunkt dienen kann.
3. Wissensstand des Fachmanns
(CLB, I.D.8.3.)
In T 1601/15 stellte die Kammer fest, dass der Fachmann keiner Anregung bedarf, um sein Fachwissen zur Anwendung zu bringen. Die Kammer war von dem Argument, dass der Fachmann keinen Anlass gehabt hätte, auf sein Fachwissen zurückzugreifen, nicht überzeugt. Der Fachmann bedarf keines Anlasses, um sein Fachwissen zur Anwendung zu bringen. Sein Fachwissen bildet gewissermaßen den technischen Hintergrund für jede Tätigkeit des Fachmanns und fließt in alle seine Entscheidungen ein. In dieser Hinsicht ist das allgemeine Fachwissen von der Lehre fachspezifischer Druckschriften zu unterscheiden. Im vorliegenden Fall wäre die Lösung der Aufgabe für den Fachmann angesichts seines Fachwissens, wie es insbesondere durch die Druckschrift D15 belegt ist, naheliegend gewesen.
4. Wirkung nicht über den gesamten Schutzbereich glaubhaft gemacht – neuronales Netz
(CLB, I.D.4.3.)
In T 161/18 unterschied sich das beanspruchte Verfahren vom Stand der Technik nur durch ein künstliches neuronales Netz. Allerdings war dessen Training nicht im Detail offenbart, wodurch die Verwendung des künstlichen neuronalen Netzes nicht zu einem speziellen technischen Effekt führte, der erfinderische Tätigkeit begründen konnte. Anspruch 1 sah vor, dass "die Transformation der an der Peripherie gemessenen Blutdruckkurve in den äquivalenten Aortendruck mit Hilfe eines künstlichen neuronalen Netzes vorgenommen wird, dessen Gewichtungswerte durch Lernen bestimmt werden". Nach Ansicht der Kammer ging der bloße Hinweis darauf, dass Gewichtswerte durch Lernen bestimmt werden, nicht über das hinaus, was der Fachmann unter einem künstlichen neuronalen Netz versteht. Daher war das beanspruchte neuronale Netz nicht für die spezielle, beanspruchte Anwendung angepasst. Es erfolgte hier nur eine nicht näher spezifizierte Anpassung der Gewichtswerte, die in der Natur jedes künstlichen neuronalen Netzes lag. Die Kammer war daher nicht davon überzeugt, dass der vorgetragene Effekt in dem beanspruchten Verfahren über den gesamten beanspruchten Bereich erzielt wurde. Dieser Effekt konnte daher nicht im Sinne einer Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden. Siehe auch Kapitel II.C.1. "Ausführbarkeit – neuronales Netz".
5. Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit
5.1 Technischer Charakter einer Erfindung
(CLB, I.D.9.1.1)
In T 1798/13 sollte mit der Erfindung der Wert eines wetterbasierten strukturierten Finanzprodukts prognostiziert werden. Dieser beruhte auf spezifischen Wetterkennzahlen wie Temperatur, Niederschlag, Sonnenstunden, Heiz- und Kühlgradtagen oder Windstärke.
Die Prüfungsabteilung war im Wesentlichen der Auffassung, dass die Erfindung zwei Aspekte umfasse, nämlich a) die Definition und Berechnung einer Wettervorhersage und b) die Definition und Berechnung des Einflusses, den die Wettervorhersage auf ein bestimmtes Finanzprodukt hat. Sie konnte keine technische Aufgabe finden, die durch die Umsetzung eines dieser Aspekte gelöst wurde. In ihrer Entscheidung stellte sie ferner fest, dass auch die Aufnahme mathematischer Gleichungen Anspruch 1 nicht technisch mache, weil nicht klar sei, welche technische Aufgabe dadurch gelöst würde.
Die Kammer stimmte mit dem Beschwerdeführer darin überein, dass ein System zur Wettervorhersage, das beispielsweise Sensoren zur Messung spezifischer Wetterdaten umfasst, technischen Charakter hat. Die Erfindung beruhte jedoch auf der Verwendung bereits gemessener Wetterdaten. Es ließe sich argumentieren, dass diese (rohen) Wetterdaten Messungen der physischen Welt darstellten und daher auch technisch seien. Die Situation wäre somit ähnlich wie in T 2079/10, wonach physikalische Parameter technische Daten darstellten und die Auswahl, welche Parameter zu messen sind, in die Zuständigkeit des technischen Fachmanns falle.
In T 2079/10 wurde die Erfindung jedoch in der Verbesserung der Messtechnik selbst gesehen, die technische Überlegungen zu den Sensoren und deren Positionierung einschloss. Im vorliegenden Fall spielten die Messungen selbst keine Rolle; die Verbesserung lag in der Verarbeitung der Daten mit dem Ziel, eine bessere Wettervorhersage bereitzustellen.
Das zweite Argument des Anmelders war im Wesentlichen, dass eine Verbesserung der Wetterdaten durch deren Berechnung und Weiterverarbeitung ebenfalls technisch sei. Nach Ansicht der Kammer führte dies zu der zentralen Frage in diesem Fall, nämlich ob die Verbesserung der Genauigkeit bestimmter Daten einer Wettervorhersage technisch ist. Ist sie das nicht, ändern daran auch die Einzelheiten des Algorithmus – die "Mathematik", wie die Abteilung es ausdrückte – nichts.
Die Kammer verneinte den technischen Charakter. Das "Wetter" ist kein technisches System, das der Fachmann verbessern oder auch nur zu Verbesserungszwecken simulieren kann. Es ist ein physisches System, das zur Veranschaulichung seiner Funktionsweise modelliert werden kann. Bei dieser Art der Modellierung handelt es sich eher um eine Entdeckung oder eine wissenschaftliche Theorie, die beide nach Art. 52 (2) a) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind und somit nicht zum technischen Charakter der Erfindung beitragen können.
5.2 Angabe einer Zielsetzung bei der Formulierung der technischen Aufgabe
(CLB, I.D.9.1.4)
In T 1749/14 lag die Erfindung auf dem Gebiet mobiler Point-of-Sale-Terminals zur Durchführung von Transaktionen, z. B. per Kreditkarte. Solche mobilen POS-Terminals sind üblicherweise in Ladengeschäften im Einsatz, und die Kunden müssen Identifikationsdaten wie Kontonummer und PIN an das Gerät übermitteln. Mit der Erfindung sollte eine mögliche Weitergabe vertraulicher Kundendaten durch Manipulation des Geräts verhindert werden, indem die Transaktionen ohne Angabe von Kontoinformationen und PIN durchgeführt werden. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass der fiktive Geschäftsmann zwar auf den abstrakten Gedanken kommen könnte, die Angabe von PIN und Kontoinformationen durch den Kunden zu vermeiden, die Erfindung aber eine neue Infrastruktur, neue Geräte und ein neues Protokoll erfordere, die auf technischen Überlegungen zu modifizierten Geräten und deren Funktionen beruhten, sowie sicherheitsrelevante Änderungen bei der Übertragung vertraulicher Informationen unter Ausnutzung neuer Möglichkeiten, die durch Modifikationen der bisher bekannten mobilen POS-Infrastruktur erreicht werden. Dies übersteigt die Kenntnisse des fiktiven Geschäftsmanns und betrifft Einzelheiten der technischen Umsetzung, die über eine einfache 1:1-Programmierung einer abstrakten Geschäftsidee hinausgehen. Es gehört in die Sphäre des technischen Experten und ist im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu prüfen (s. T 1082/13).
In T 232/14 betraf die Erfindung die Kennzeichnung von speziell besteuerten oder markengeschützten Produkten (auch Einheiten oder Packungen genannt, z. B. Zigarettenpackungen), die in Behälter (auch Kisten genannt) verpackt werden. Mithilfe der Kennzeichnung war es möglich, die Echtheit der Produkte festzustellen und sie nachzuverfolgen, wodurch Schmuggelware und Fälschungen entdeckt werden konnten. Die Kammer befand, dass die Verwendung von Bereichen von Einheitenkennungen zur Etikettierung einer Reihe von (aufeinanderfolgenden) Produkt-Einheitenkennungen so allgemein, wie sie hier beansprucht wurde, an der Trennlinie zwischen technischen und nichttechnischen Gegenständen eher dem geschäftlichen Bereich zuzuordnen war (s. z. B. T 144/11, Nrn. 2.1 sowie 3.6 bis 3.9 der Gründe). Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers stellte die Kammer fest, dass die Bereiche von Einheitenkennungen für den Geschäftsmann durchaus von Bedeutung waren. Sie entsprachen Chargen von Einheiten, die an einer Fertigungsanlage produziert werden (Nr. 2.6 der Gründe). Auch wenn die "Bestimmung von Bereichen von Einheitenkennungen" eine technische Wirkung erziele, wie z. B. einen verringerten Bedarf an Datenspeicher und -bandbreite, sei es eine gestalterische Routineangelegenheit für den Fachmann, einen Softwareprogrammierer oder einen Datenbankexperten, ausgehend vom allgemeinen Fachwissen das erste und das letzte Element einer Liste von Gegenständen zu speichern anstatt die gesamte Liste. Deshalb hänge die Bestimmung von Bereichen von Einheitenkennungen eher damit zusammen, auf wie viele Arten Gegenstände aus einer Gruppe von Gegenständen nach dem Kriterium ihrer Herstellung, d. h. nach der Zahl von Chargen organisiert werden können, und nicht damit, wie Daten gespeichert werden können.
Die Kammer stimmte der Prüfungsabteilung darin zu, dass sich die Verwendung einer (elektronischen) Datenbank für die Speicherung von Daten, d. h. der Bereiche der Einheitenkennungen, direkt aus der Anforderungsspezifikation ergibt, wenn diese in einem Datenverarbeitungssystem umgesetzt wird. Der Fachmann würde bei der Umsetzung der Geschäftsanforderungen auf direktem Wege für jeden Behälter eine Behälter-Kennung in der Datenbank speichern, wobei jeder Behälter in der Datenbank mit dem oder den Bereichen von Einheitenkennungen verknüpft wäre, die dem Behälter zugeordnet sind. Die Einsparung von Speicherplatz war ein bloßer "Bonuseffekt".
In T 2314/16 betraf die Erfindung die Verteilung von Boni an Teilnehmer eines angeschlossenen Marketingsystems, wobei ein Influencer (in Anspruch 1 "Nutzer" genannt) einen Bonus dafür erhielt, dass er ein Produkt oder eine Dienstleistung in einem Blog oder in den sozialen Medien bewarb. Den teilnehmenden Influencern wurde jeweils ein Abschnitt eines auf einer Website angezeigten Werbebanners zugewiesen. Die Besucher der Website konnten die Nutzerbereiche nicht sehen, sondern nur das Werbebanner. Wenn der Besucher auf das Banner klickte, erhielt der Nutzer, dessen Abschnitt angeklickt wurde, einen Bonus, der entsprechend der Größe der Bildabschnitte verteilt wurde. Die Teilbereiche wurden so zugewiesen, dass die Verteilungsquoten des Bonus dem Umfang des Werbebeitrags des einzelnen Nutzers entsprachen.
Die Kammer erklärte, dass die Beschreibung der Geschäftsmethode mit der Ermittlung der Verteilungsquote für den Bonus endete. Die Merkmale der Aufteilung des Werbebereichs in Teilbereiche und der Zuweisung eines jeden Teilbereichs zu einem bestimmten Nutzer, sodass dieser einen Bonus erhielt, wenn sein Teilbereich angeklickt wurde, beruhten auf technischen Überlegungen des Webpage-Systems. Sie beruhten nicht auf geschäftlichen Überlegungen. Um zu dieser Idee zu gelangen, benötigte man ein Verständnis für den Aufbau einer Website und insbesondere für die Funktionsweise einer verweissensitiven Grafik. Dieses Merkmal konnte somit nicht Teil der nichttechnischen Anforderungen sein. Es war vielmehr Teil der Lösung, die auf Naheliegen zu prüfen war.