9.8. Rücknahme der Beschwerde
T 2044/16 × View decision
Einer Rückzahlung nach Regel 103(4)(c) EPÜ steht nicht entgegen, dass die Kammer bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen ausführlicheren Vorbereitungsbescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 erlassen hatte. Die Frist nach Regel 103(4)(c) EPÜ wird durch jede weitere vorbereitende Mitteilung der Kammer erneut ausgelöst, auch wenn diese im wesentlichen organisatorischen Inhalt hat und erst einen Monat vor der mündlichen Verhandlung ergeht. Die zum Rückzahlungstatbestand der Regel 103(2)(b) EPÜ (nun Regel 103(3)(b) EPÜ) in T 265/14 diskutierten Erwägungen sind auch auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Entscheidend ist der mit der Regelung beabsichtigte Arbeitszeitgewinn, der durch die auf die Mitteilung erklärte Antragsrücknahme und die dadurch ermöglichte effiziente Verfahrensbeendigung im schriftlichen Verfahren erreicht wird. (siehe Gründe, Ziffern 5 bis 5.6)
In T 265/14 wurde die Beschwerde nach Ablauf der im ersten Bescheid nach R. 100 (2) EPÜ, aber vor Ablauf der im zweiten Bescheid der Kammer nach R. 100 (2) EPÜ gesetzten Stellungnahmefrist zurückgenommen. Die Kammer stellte fest, dass R. 103 (2) b) EPÜ nicht so auszulegen sei, dass eine Rückzahlung der hälftigen Beschwerdegebühr nach Verstreichenlassen einer Stellungnahmefrist gemäß R. 100 (2) EPÜ endgültig ausgeschlossen wäre. Setzt die Kammer eine erneute Stellungnahmefrist, eröffnet sie vielmehr eine neue Möglichkeit, innerhalb dieser Frist mit gebührenreduzierender Wirkung die Beschwerde zurückzunehmen. Der Fall des Erlasses eines zweiten Bescheides nach R. 100 (2) EPÜ ist daher der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nach Verstreichen der in einem ersten Bescheid gesetzten Frist gleichzusetzen, die ebenfalls eine erneute Rückzahlungsmöglichkeit nach R. 103 (2) a) EPÜ nach sich zieht. Die Kammer stellte fest, dass die Existenz der Rückzahlungsmöglichkeit in dieser Konstellation doch dafür spräche, die Gesamtregelung R. 103 (2) EPÜ ihrem Ziel und Zweck nach im Sinne der weiten Auslegung zu verstehen, sodass beide Fallkonstellationen gleich behandelt werden können.
In T 683/14 hatte die Prüfungsabteilung die irrige Annahme vertreten, dass das am 1. August 2013 vorgelegte Dokument zur Vertraulichkeit nicht berücksichtigt werden könne, weil die sachliche Debatte beendet worden sei und in der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2012 eine "Entscheidung" ergangen sei. Die Kammer stellte fest, dass die Prüfungsabteilung in zweierlei Hinsicht fehl ging. Erstens wurde die mündliche Verhandlung nicht mit einer formalen Entscheidung abgeschlossen, zweitens hätte die Debatte, selbst wenn sie formal beendet wurde, wieder eröffnet werden können. Die Kammer führte T 595/90 an: "Danach [nach Abschluss der sachlichen Debatte] eingehende Schriftsätze könnten nur berücksichtigt werden, wenn die Kammer die Debatte wieder eröffnen würde (Art. 113 EPÜ), was in ihrem Ermessen liegt." Die Kammer vertrat die Ansicht, dass dies analog auch für die erste Instanz des EPA gelte. Die Prüfungsabteilung habe einen Fehler gemacht, aber einen materiellrechtlichen und keinen (unabhängigen) verfahrensrechtlichen. Die verfahrensrechtlichen Konsequenzen seien ausschließlich aus der Umsetzung ihrer irrigen materiellrechtlichen Annahme entstanden. Nachdem der Anmelder Beschwerde gegen die Zurückweisungsentscheidung eingelegt hatte, berichtigte die Prüfungsabteilung ihre Entscheidung. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 50 % nach R. 103 (2) EPÜ wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Prüfungsabteilung mit der Berichtigung die angefochtene Entscheidung aufgehoben und der Beschwerde stattgegeben habe. Der Antrag des Anmelders auf Zurücknahme seiner Beschwerde war somit gegenstandslos, und ohne eine anhängige Beschwerde, die zurückgenommen werden könnte, findet R. 103 (2) EPÜ keine Anwendung.
9.8.2 Rücknahme einer Beschwerde nach Regel 103 (2) EPÜ
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Gemäß R. 103 (2) EPÜ in der durch Beschluss des Verwaltungsrats vom 13. Dezember 2013 geänderten Fassung (CA/D 16/13; ABl. 2014, A3) wird die Beschwerdegebühr in Höhe von 50 % zurückgezahlt, wenn die Beschwerde nach Ablauf der Frist nach R. 103 (1) b) EPÜ zurückgenommen wird und bestimmte Bedingungen erfüllt sind (s. dieses Kapitel V.A.9.1.). Dies gilt für Beschwerden, die bei Inkrafttreten des Beschlusses am 1. April 2014 anhängig waren, und für Beschwerden, die nach diesem Zeitpunkt eingelegt werden. In T 1086/09 stellte die Kammer fest, dass ein am 28. März 2014 eingegangenes Schreiben, wonach die Beschwerde "hiermit" zurückgenommen wird, bedeutet, dass die Beschwerde am 28. März 2014 zurückgenommen wurde und daher am 1. April 2014 nicht mehr anhängig war. In T 370/11 entschied die Kammer, dass der Anteil von 50 % auf der Grundlage der tatsächlich gezahlten Beschwerdegebühr zu berechnen ist und nicht auf der Grundlage der am Tag der Zurücknahme oder der Rückzahlung geltenden Gebührenhöhe.
In T 1402/13 vom 31. Mai 2016 date: 2016-05-31 befand die Kammer, dass nach R. 103 (1) b) EPÜ und R. 103 (2) EPÜ die Beendigung eines Beschwerdeverfahrens aufgrund eines Rechtsverlusts wegen Nichtentrichtung von Jahresgebühren nicht mit einer Erklärung der Rücknahme der Beschwerde gleichgesetzt werden könne. Diese Auffassung wurde auch durch die Travaux préparatoires (CA/90/13 rev. 1) gestützt, nach denen ausdrücklich eine entsprechende Verfahrenserklärung des Beschwerdeführers erforderlich ist. Für das Entstehen des Rückzahlungsanspruchs nach R. 103 (2) EPÜ musste der Beschwerdeführer zu einem Zeitpunkt, als seine Anmeldung noch anhängig war, eine Verfahrenserklärung abgeben, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Beschwerde zurückgenommen werden soll. Da dies nicht geschah, wurde der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr abgewiesen.
In T 265/14 wurde die Beschwerde nach Ablauf der im ersten Bescheid nach R. 100 (2) EPÜ, aber vor Ablauf der im zweiten Bescheid der Kammer nach R. 100 (2) EPÜ gesetzten Stellungnahmefrist zurückgenommen. Die Kammer stellte fest, dass R. 103 (2) b) EPÜ nicht so auszulegen sei, dass eine Rückzahlung der hälftigen Beschwerdegebühr nach Verstreichenlassen einer Stellungnahmefrist gemäß R. 100 (2) EPÜ endgültig ausgeschlossen wäre. Setzt die Kammer eine erneute Stellungnahmefrist, eröffnet sie vielmehr eine neue Möglichkeit, innerhalb dieser Frist mit gebührenreduzierender Wirkung die Beschwerde zurückzunehmen. Der Fall des Erlasses eines zweiten Bescheides nach R. 100 (2) EPÜ ist daher der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nach Verstreichen der in einem ersten Bescheid gesetzten Frist gleichzusetzen, die ebenfalls eine erneute Rückzahlungsmöglichkeit nach R. 103 (2) a) EPÜ nach sich zieht. Die Kammer stellte fest, dass die Existenz der Rückzahlungsmöglichkeit in dieser Konstellation doch dafür spräche, die Gesamtregelung R. 103 (2) EPÜ ihrem Ziel und Zweck nach im Sinne der weiten Auslegung zu verstehen, so dass beide Fallkonstellationen gleich behandelt werden können.