4.3. Artikel 112a (2) c) EPÜ – angeblicher schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ
Übersicht
In R 10/18 entschied die Große Beschwerdekammer, dass der Überprüfungsantrag offensichtlich unbegründet war. Der Antragsteller (Patentinhaber) hatte vorgebracht, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei und die Kammer sein Argument nicht berücksichtigt habe, wonach die Einlegung des Einspruchs mithilfe eines Strohmanns eine missbräuchliche Gesetzesumgehung darstelle und der Einspruch deshalb als unzulässig hätte gelten müssen. Wie die Große Beschwerdekammer einräumte, war in früheren Fällen (z. B. R 2/14) befunden worden, dass ein Beteiligter laut Art. 113 (1) EPÜ in der Lage sein muss, auf objektiver Grundlage die Gründe für die Entscheidung einer Kammer zu verstehen. Nach geltender Rechtsprechung (siehe R 8/15, Orientierungssätze 1 und 2) jedoch beinhaltet der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 113 (1) EPÜ unter anderem das Erfordernis, dass die Kammer das Vorbringen eines Beteiligten würdigen, d. h. die vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel auf ihre Relevanz und Richtigkeit hin prüfen muss. Ein Verstoß gegen Art. 113 (1) EPÜ liegt vor, wenn die Kammer auf ihrer Meinung nach entscheidungsrelevante Vorbringen nicht so ausreichend eingeht, dass klar ist, dass die Beteiligten dazu gehört wurden – die Kammer diese Vorbringen also in der Sache gewürdigt hat. Ferner – so die Große Beschwerdekammer – wird davon ausgegangen, dass eine Kammer das Vorbringen eines Beteiligten, auf das sie in der Beschwerdebegründung nicht eingeht, berücksichtigt hat, was bedeutet, dass sie es erstens zur Kenntnis genommen und zweitens gewürdigt, d. h. auf Relevanz und gegebenenfalls Richtigkeit geprüft hat. Eine Ausnahme kann vorliegen, wenn es gegenteilige Hinweise gibt, z. B. wenn eine Kammer in ihrer Entscheidungsbegründung auf ein Vorbringen eines Beteiligten, das objektiv gesehen für den Ausgang des Falls entscheidend ist, nicht eingeht oder dieses abweist, ohne es vorher auf Richtigkeit zu überprüfen. In der zugrunde liegenden Beschwerde hatte die Kammer erklärt, dass nach ihrer Überzeugung die beiden Beitretenden nicht beteiligt waren, als der Einsprechende 1 den Einspruch einlegte. Die Große Beschwerdekammer stimmte dem Antragsteller zu, dass die Kammer zwar sein Argument zum behaupteten Verfahrensmissbrauch berücksichtigt, es aber nicht ausdrücklich behandelt bzw. ihm die Gründe für diese Entscheidung über die Zulässigkeit des Einspruchs nicht verständlich gemacht habe. Allerdings stelle die Nichtbehandlung des Hauptarguments des Antragstellers in Bezug auf die Zulässigkeit des Einspruchs keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, weil objektiv gesehen aus Abschnitt 1 der zu überprüfenden Entscheidung, in dem die Kammer die vom Antragsteller vorgebrachten Tatsachen und Argumente zur Unzulässigkeit des Einspruchs (und der Beitrittserklärungen) wegen Verfahrensmissbrauchs dargelegt und erörtert hatte, entnommen werden konnte, dass die Kammer diese Vorbringen in der Sache gewürdigt hatte. Die Ausnahme von dem im Orientierungssatz 1 der Entscheidung R 8/15 enthaltenen Grundsatz lag daher nicht vor.
4.3. Artikel 112a (2) c) EPÜ – angeblicher schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
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